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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Schwäche nach, die fort und fort zunahm. "Die Jahreszeiten haben mir diesen
Nebel zugezogen, ich hätte sie nicht schreiben sollen, ich habe mich dabei über¬
nommen", sagte er zu Dies, und es war in der That so.

Wie hatte ihn aber auch der hochfahrende van Swieten geplagt, der als
Gelehrter und Kunstkenner alles besser zu verstehen meinte. So tadelte er die
Arie, wo der Landmann hinter dem Pfluge die Melodie des Andante mit
dem Paukenschlag trällert, und wollte dafür ein Lied aus einer recht populären
Oper. Haydn empfand das Beleidigende dieser Zumuthung und antwortete
mit berechtigtem Selbstgefühl: "Ich ändere nichts, mein Andante ist so gut
und so bekannt wie irgend ein Lied aus jenen Opern." Van Swieten nahm
dies übel und besuchte Haydn nicht mehr. Nach zehn bis zwölf Tagen ging
dieser dann, seiner unverwüstlichen Gutherzigkeit folgend, zu dem vornehmen
Herrn selbst, mußte aber eine starke halbe Stunde im Vorzimmer warten.
Endlich verlor er die Geduld und wandte sich zur Thüre, als er zurückgerufen
und eingelassen wurde. Er konnte jedoch seine Hitze nicht mäßigen und ließ
den hochmüthigen Herrn Direktor an: "Sie lassen mich noch zu rechter Zeit
zurückrufen, beinahe hätte ich heute zum letzten Mal Ihr Vorzimmer gesehen."
Gedenkt man dabei des "Großmoguls" und der Szene in Karlsbad, wo
Beethoven Goethen stehen ließ und mitten dnrch die Fürstengesellschast hindurch¬
ging, so fühlt man in sozialer Hinsicht ein volles Jahrhundert zwischen Haydn
und Beethoven liegen. Die Kunst war mündig geworden und mit ihr der
Künstler. Haydn selbst aber hatte ihr die Zunge lösen helfen, daß sie von
dem tieferen Bestände unseres Inneren reden konnte, und sie dadurch auch als
rein instrumentale Kunst zu höherer Achtung gebracht. Van Swieten sollte
darum Haydn's Zorn auch noch persönlich erfahren: seine briefliche Klage
über den "Froschquark" kam, freilich ohne Haydn's Zuthun, in die Öffentlichkeit.
Van Swieten ließ Haydn seine Entrüstung wohl noch lange Zeit empfinden,
es zeigt sich aber nirgends eine Spur, daß dieser es sich besonders zu Herzen
genommen hätte.

Die erste Aufführung der "Jahreszeiten" fand am 24. April 1801 statt,
die Meinungen über das Werk waren getheilt. In dieselbe Zeit fällt die
Begegnung Haydn's mit seinem Schüler Beethoven und das Gespräch über
den "Prometheus", das eben darum doppelt begreiflich erscheint. "Beethoven
dachte sich bei seinen Kompositionen oft einen bestimmten Gegenstand, obschon
er über musikalische Malereien häufig lachte und schalt, besonders über klein¬
liche der Art. Hierbei mußten die Schöpfung und die Jahreszeiten manchmal
herhalten, ohne daß Beethoven jedoch Haydn's höhere Verdienste verkannte",
erzählt sein Schüler F. Ries. Am schönsten charakterisirt über Haydn selbst
den Unterschied seiner beiden Oratorien. Kaiser Franz fragte ihn bei einer


Schwäche nach, die fort und fort zunahm. „Die Jahreszeiten haben mir diesen
Nebel zugezogen, ich hätte sie nicht schreiben sollen, ich habe mich dabei über¬
nommen", sagte er zu Dies, und es war in der That so.

Wie hatte ihn aber auch der hochfahrende van Swieten geplagt, der als
Gelehrter und Kunstkenner alles besser zu verstehen meinte. So tadelte er die
Arie, wo der Landmann hinter dem Pfluge die Melodie des Andante mit
dem Paukenschlag trällert, und wollte dafür ein Lied aus einer recht populären
Oper. Haydn empfand das Beleidigende dieser Zumuthung und antwortete
mit berechtigtem Selbstgefühl: „Ich ändere nichts, mein Andante ist so gut
und so bekannt wie irgend ein Lied aus jenen Opern." Van Swieten nahm
dies übel und besuchte Haydn nicht mehr. Nach zehn bis zwölf Tagen ging
dieser dann, seiner unverwüstlichen Gutherzigkeit folgend, zu dem vornehmen
Herrn selbst, mußte aber eine starke halbe Stunde im Vorzimmer warten.
Endlich verlor er die Geduld und wandte sich zur Thüre, als er zurückgerufen
und eingelassen wurde. Er konnte jedoch seine Hitze nicht mäßigen und ließ
den hochmüthigen Herrn Direktor an: „Sie lassen mich noch zu rechter Zeit
zurückrufen, beinahe hätte ich heute zum letzten Mal Ihr Vorzimmer gesehen."
Gedenkt man dabei des „Großmoguls" und der Szene in Karlsbad, wo
Beethoven Goethen stehen ließ und mitten dnrch die Fürstengesellschast hindurch¬
ging, so fühlt man in sozialer Hinsicht ein volles Jahrhundert zwischen Haydn
und Beethoven liegen. Die Kunst war mündig geworden und mit ihr der
Künstler. Haydn selbst aber hatte ihr die Zunge lösen helfen, daß sie von
dem tieferen Bestände unseres Inneren reden konnte, und sie dadurch auch als
rein instrumentale Kunst zu höherer Achtung gebracht. Van Swieten sollte
darum Haydn's Zorn auch noch persönlich erfahren: seine briefliche Klage
über den „Froschquark" kam, freilich ohne Haydn's Zuthun, in die Öffentlichkeit.
Van Swieten ließ Haydn seine Entrüstung wohl noch lange Zeit empfinden,
es zeigt sich aber nirgends eine Spur, daß dieser es sich besonders zu Herzen
genommen hätte.

Die erste Aufführung der „Jahreszeiten" fand am 24. April 1801 statt,
die Meinungen über das Werk waren getheilt. In dieselbe Zeit fällt die
Begegnung Haydn's mit seinem Schüler Beethoven und das Gespräch über
den „Prometheus", das eben darum doppelt begreiflich erscheint. „Beethoven
dachte sich bei seinen Kompositionen oft einen bestimmten Gegenstand, obschon
er über musikalische Malereien häufig lachte und schalt, besonders über klein¬
liche der Art. Hierbei mußten die Schöpfung und die Jahreszeiten manchmal
herhalten, ohne daß Beethoven jedoch Haydn's höhere Verdienste verkannte",
erzählt sein Schüler F. Ries. Am schönsten charakterisirt über Haydn selbst
den Unterschied seiner beiden Oratorien. Kaiser Franz fragte ihn bei einer


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[0457] Schwäche nach, die fort und fort zunahm. „Die Jahreszeiten haben mir diesen Nebel zugezogen, ich hätte sie nicht schreiben sollen, ich habe mich dabei über¬ nommen", sagte er zu Dies, und es war in der That so. Wie hatte ihn aber auch der hochfahrende van Swieten geplagt, der als Gelehrter und Kunstkenner alles besser zu verstehen meinte. So tadelte er die Arie, wo der Landmann hinter dem Pfluge die Melodie des Andante mit dem Paukenschlag trällert, und wollte dafür ein Lied aus einer recht populären Oper. Haydn empfand das Beleidigende dieser Zumuthung und antwortete mit berechtigtem Selbstgefühl: „Ich ändere nichts, mein Andante ist so gut und so bekannt wie irgend ein Lied aus jenen Opern." Van Swieten nahm dies übel und besuchte Haydn nicht mehr. Nach zehn bis zwölf Tagen ging dieser dann, seiner unverwüstlichen Gutherzigkeit folgend, zu dem vornehmen Herrn selbst, mußte aber eine starke halbe Stunde im Vorzimmer warten. Endlich verlor er die Geduld und wandte sich zur Thüre, als er zurückgerufen und eingelassen wurde. Er konnte jedoch seine Hitze nicht mäßigen und ließ den hochmüthigen Herrn Direktor an: „Sie lassen mich noch zu rechter Zeit zurückrufen, beinahe hätte ich heute zum letzten Mal Ihr Vorzimmer gesehen." Gedenkt man dabei des „Großmoguls" und der Szene in Karlsbad, wo Beethoven Goethen stehen ließ und mitten dnrch die Fürstengesellschast hindurch¬ ging, so fühlt man in sozialer Hinsicht ein volles Jahrhundert zwischen Haydn und Beethoven liegen. Die Kunst war mündig geworden und mit ihr der Künstler. Haydn selbst aber hatte ihr die Zunge lösen helfen, daß sie von dem tieferen Bestände unseres Inneren reden konnte, und sie dadurch auch als rein instrumentale Kunst zu höherer Achtung gebracht. Van Swieten sollte darum Haydn's Zorn auch noch persönlich erfahren: seine briefliche Klage über den „Froschquark" kam, freilich ohne Haydn's Zuthun, in die Öffentlichkeit. Van Swieten ließ Haydn seine Entrüstung wohl noch lange Zeit empfinden, es zeigt sich aber nirgends eine Spur, daß dieser es sich besonders zu Herzen genommen hätte. Die erste Aufführung der „Jahreszeiten" fand am 24. April 1801 statt, die Meinungen über das Werk waren getheilt. In dieselbe Zeit fällt die Begegnung Haydn's mit seinem Schüler Beethoven und das Gespräch über den „Prometheus", das eben darum doppelt begreiflich erscheint. „Beethoven dachte sich bei seinen Kompositionen oft einen bestimmten Gegenstand, obschon er über musikalische Malereien häufig lachte und schalt, besonders über klein¬ liche der Art. Hierbei mußten die Schöpfung und die Jahreszeiten manchmal herhalten, ohne daß Beethoven jedoch Haydn's höhere Verdienste verkannte", erzählt sein Schüler F. Ries. Am schönsten charakterisirt über Haydn selbst den Unterschied seiner beiden Oratorien. Kaiser Franz fragte ihn bei einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/457>, abgerufen am 27.11.2024.