Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.das Spiel noch weiter, es endigte nicht mitten im jubelnden Fortissimo mit einer Vom 20. bis zum 22. September weilte Herzog Carl August auf der In dem Reisetagebnche, das er damals anlegte, ruft er am 30. Oktober, das Spiel noch weiter, es endigte nicht mitten im jubelnden Fortissimo mit einer Vom 20. bis zum 22. September weilte Herzog Carl August auf der In dem Reisetagebnche, das er damals anlegte, ruft er am 30. Oktober, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0401" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142898"/> <p xml:id="ID_1176" prev="#ID_1175"> das Spiel noch weiter, es endigte nicht mitten im jubelnden Fortissimo mit einer<lb/> springenden Saite, einer schrillen Dissonanz, sondern auf das lange Crescendo<lb/> der Einleitung folgte jetzt das Decrescendo, dessen Länge augenblicklich noch<lb/> nicht abzusehen war. Das Ueble war, daß es von keiner Seite zu einer offnen<lb/> Erklärung gekommen zu sein scheint. Unausgesprochen war eines Tags der<lb/> Anfang zum Ende da. Aber wer weiß, wie lauge das Verhältniß sich noch fort¬<lb/> geschleppt hätte, wenn die Erlösung nicht unerwartet von außen gekommen wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_1177"> Vom 20. bis zum 22. September weilte Herzog Carl August auf der<lb/> Reise zu seiner Vermählung in Frankfurt und wiederholte bei dieser Gelegen¬<lb/> heit seine schon früher in Karlsruhe ausgesprochene Einladung Goethe's nach<lb/> Weimar. Diesmal wurde sie ohne Zögern angenommen. Die weiteren Verab¬<lb/> redungen wurden am 12. und 13. Oktober getroffen, als der Herzog mit seiner<lb/> jungen Gemahlin abermals durch Frankfurt kam. Ju Folge des bekaunten<lb/> Mißverständnisses, welches Goethe am Ende von „Dichtung und Wahrheit"<lb/> launig erzählt, verzögerte sich seine Abreise noch bis zum 30. Oktober, und<lb/> anch da wollte er, da das Mißverständniß sich nicht aufklärte, nicht nach<lb/> Weimar, sondern auf den Rath des Vaters nach Italien gehen. In diesen<lb/> seinen letzten Frankfurter Tagen war es, wo er eines Abends, in einen großen<lb/> Mantel gehüllt, um seinen Bekannten, die ihn längst über alle Berge glaubten,<lb/> nicht kenntlich zu sein, nach Lili's Hause ging und am Fenster lauschend sie<lb/> zum letzten Male drin sein eignes Lied am Klaviere singen hörte: „Warum<lb/> ziehst du mich unwiderstehlich". Auf der Reise suchte er dann in Heidelberg<lb/> an einem der ersten Novembertage auch Fräulein Delf, die resolute Verlobungs-<lb/> stifterin, auf, um noch einmal das Vergangene „mit einer werthen, geduldigen<lb/> und nachsichtigen Freundin dnrchschwätzen zu können". Als er aber das Ge¬<lb/> spräch auf Lili lenken wollte, war sie nicht so gefällig und theilnehmend, wie<lb/> er gehofft hatte. „Sie lobte vielmehr — erzählt er — unsern beiderseitigen<lb/> Vorsatz, uns unter den bewandten Umständen zu trennen, und behauptete, man<lb/> müsse sich in das Unvermeidliche ergeben, das Unmögliche aus dem Sinne<lb/> schlagen und sich nach einem neuen Lebensinteresse umsehen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1178" next="#ID_1179"> In dem Reisetagebnche, das er damals anlegte, ruft er am 30. Oktober,<lb/> dem Tage seiner Abreise, der Geliebten im Geiste die Abschiedsworte zu: „Lili<lb/> Adieu! Lili zum zweiten Mal! Das erste Mal schied ich noch hoffnungsvoll,<lb/> unsre Schicksale zu verbinden; es hat sich entschieden, wir müssen einzeln unsre<lb/> Rollen ausspielen. Mir ist in dem Augenblick weder bange für dich noch<lb/> für mich, so verworren es aussieht." Hiermit endigten — wie er schon am<lb/> 18. Oktober an Bürger geschrieben — „die zerstreutesten, verworrensten, ganze¬<lb/> sten, vollsten, leersten, kräfftigsten und lcippischten dreh Vierteljahre", die er bis</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0401]
das Spiel noch weiter, es endigte nicht mitten im jubelnden Fortissimo mit einer
springenden Saite, einer schrillen Dissonanz, sondern auf das lange Crescendo
der Einleitung folgte jetzt das Decrescendo, dessen Länge augenblicklich noch
nicht abzusehen war. Das Ueble war, daß es von keiner Seite zu einer offnen
Erklärung gekommen zu sein scheint. Unausgesprochen war eines Tags der
Anfang zum Ende da. Aber wer weiß, wie lauge das Verhältniß sich noch fort¬
geschleppt hätte, wenn die Erlösung nicht unerwartet von außen gekommen wäre.
Vom 20. bis zum 22. September weilte Herzog Carl August auf der
Reise zu seiner Vermählung in Frankfurt und wiederholte bei dieser Gelegen¬
heit seine schon früher in Karlsruhe ausgesprochene Einladung Goethe's nach
Weimar. Diesmal wurde sie ohne Zögern angenommen. Die weiteren Verab¬
redungen wurden am 12. und 13. Oktober getroffen, als der Herzog mit seiner
jungen Gemahlin abermals durch Frankfurt kam. Ju Folge des bekaunten
Mißverständnisses, welches Goethe am Ende von „Dichtung und Wahrheit"
launig erzählt, verzögerte sich seine Abreise noch bis zum 30. Oktober, und
anch da wollte er, da das Mißverständniß sich nicht aufklärte, nicht nach
Weimar, sondern auf den Rath des Vaters nach Italien gehen. In diesen
seinen letzten Frankfurter Tagen war es, wo er eines Abends, in einen großen
Mantel gehüllt, um seinen Bekannten, die ihn längst über alle Berge glaubten,
nicht kenntlich zu sein, nach Lili's Hause ging und am Fenster lauschend sie
zum letzten Male drin sein eignes Lied am Klaviere singen hörte: „Warum
ziehst du mich unwiderstehlich". Auf der Reise suchte er dann in Heidelberg
an einem der ersten Novembertage auch Fräulein Delf, die resolute Verlobungs-
stifterin, auf, um noch einmal das Vergangene „mit einer werthen, geduldigen
und nachsichtigen Freundin dnrchschwätzen zu können". Als er aber das Ge¬
spräch auf Lili lenken wollte, war sie nicht so gefällig und theilnehmend, wie
er gehofft hatte. „Sie lobte vielmehr — erzählt er — unsern beiderseitigen
Vorsatz, uns unter den bewandten Umständen zu trennen, und behauptete, man
müsse sich in das Unvermeidliche ergeben, das Unmögliche aus dem Sinne
schlagen und sich nach einem neuen Lebensinteresse umsehen."
In dem Reisetagebnche, das er damals anlegte, ruft er am 30. Oktober,
dem Tage seiner Abreise, der Geliebten im Geiste die Abschiedsworte zu: „Lili
Adieu! Lili zum zweiten Mal! Das erste Mal schied ich noch hoffnungsvoll,
unsre Schicksale zu verbinden; es hat sich entschieden, wir müssen einzeln unsre
Rollen ausspielen. Mir ist in dem Augenblick weder bange für dich noch
für mich, so verworren es aussieht." Hiermit endigten — wie er schon am
18. Oktober an Bürger geschrieben — „die zerstreutesten, verworrensten, ganze¬
sten, vollsten, leersten, kräfftigsten und lcippischten dreh Vierteljahre", die er bis
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