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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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sammeln und zu ordnen verstand und dasselbe schon dadurch wesentlich erhöhte.
Wenn derselbe trotzdem nicht den begreiflichen Wunsch des Lehrers erfüllte, auf
sein demselben gewidmetes erstes Sonatenwerk (ox. 1) "Schüler von Haydn"
zu setzen, weil er, wie er sich rechtfertigte, "nie etwas von ihm gelernt habe",
so bezieht sich dies eben nur auf den höheren Kompositionsunterricht, zu dem
sie noch gar nicht miteinander vorgedrungen waren. Doch sehen wir ihn im
Sommer 1793 mit Haydn nach Eisenstabe gehen, und dieser hatte sogar die
Absicht, ihn im nächsten Jahre mit nach England zu nehmen. Beethoven's
Schüler Ries sagt denn auch ausdrücklich, daß Haydn Beethoven "sehr geschätzt"
habe, nur sei derselbe "immer so eigensinnig und selbstwollend" gewesen, wes¬
halb Haydn ihn den "Großmogul" nannte. Wie neidlos er sonst jüngere
Künstler zu würdigen wußte, erfahren wir gerade in diesen Tagen aus einem
Billet an seinen Pathen Joseph Weigi, den späteren Komponisten der "Schweizer¬
familie". "Schon seit langer Zeit habe ich keine Musik mit solchem Enthusias¬
mus empfunden, als Ihre gestrige Prinzessin von Amalfi," schreibt er am
11. Januar 1794 an Weigi. "Sie ist gedankenneu, erhaben ausdrucksvoll, kurz
ein Meisterstück. Ich nehme den wärmsten Antheil an dem gerechten Beifall,
den man ihr gab. Erhalten Sie mich alten Knaben in Ihrem Andenken."
Jedenfalls hatte Haydn dem jungen Genius die edlen Musikkreise Wien's willig
erschließen helfen, und dieser konnte nun ungestört sein Glück dort suchen, als
der Lehrer wieder in der Ferne weilte.

Zu dieser zweiten Reise aber die nöthigen Arbeiten zu beschaffen, war eben
die "zu viele Beschäftigung" des alternden Meisters gewesen. Und doch mußte
diese Reise schon aus äußeren Gründen unternommen werden. Denn Haydn hatte
darauf zu sehen, daß er auch in wirklich alten und arbeitslosen Tagen ohne
Einengung in seiner an sich einfachen Weise zu leben habe. Ein eigenwilliger
junger Anfänger, der ohnehin den Unterricht nicht bezahlte -- denn er hatte
von seinem Kurfürsten wohl das Gehalt behalten, bekam aber keine weitere
Unterstützung --, durfte ihm nicht zuviel von dieser kostbaren Zeit rauben.
Auch war es ja solchem Genie gegenüber genug, die Hauptdinge des Unter¬
richts zu betonen und ihn nicht durch stete Aufzeigung kleiner, zum Theil blos
orthographischer Fehler, die sich mit der Zeit von selbst verlieren mußten, von
dem Wichtigerem unnötigerweise abzulenken. Wir haben über Haydn's An¬
schauung in solchen Dingen eine charakteristische Aeußerung ans diesen späteren
Tagen. Der Kontrapunktist Albrechtsberger, Beethoven's nachheriger Lehrer,
der nach dessen witzigen Ausdruck "die Kunst musikalische Gerippe zu schaffe"
aufs höchste getrieben hat", wollte aus dem reinen Satze auch alle Quarten
verbannt wissen. "Was heißt das?" erwiederte Haydn. "Die Kunst ist frei
und soll durch keine Handwerksfesseln beschränkt werden. Solche Künsteleien


sammeln und zu ordnen verstand und dasselbe schon dadurch wesentlich erhöhte.
Wenn derselbe trotzdem nicht den begreiflichen Wunsch des Lehrers erfüllte, auf
sein demselben gewidmetes erstes Sonatenwerk (ox. 1) „Schüler von Haydn"
zu setzen, weil er, wie er sich rechtfertigte, „nie etwas von ihm gelernt habe",
so bezieht sich dies eben nur auf den höheren Kompositionsunterricht, zu dem
sie noch gar nicht miteinander vorgedrungen waren. Doch sehen wir ihn im
Sommer 1793 mit Haydn nach Eisenstabe gehen, und dieser hatte sogar die
Absicht, ihn im nächsten Jahre mit nach England zu nehmen. Beethoven's
Schüler Ries sagt denn auch ausdrücklich, daß Haydn Beethoven „sehr geschätzt"
habe, nur sei derselbe „immer so eigensinnig und selbstwollend" gewesen, wes¬
halb Haydn ihn den „Großmogul" nannte. Wie neidlos er sonst jüngere
Künstler zu würdigen wußte, erfahren wir gerade in diesen Tagen aus einem
Billet an seinen Pathen Joseph Weigi, den späteren Komponisten der „Schweizer¬
familie". „Schon seit langer Zeit habe ich keine Musik mit solchem Enthusias¬
mus empfunden, als Ihre gestrige Prinzessin von Amalfi," schreibt er am
11. Januar 1794 an Weigi. „Sie ist gedankenneu, erhaben ausdrucksvoll, kurz
ein Meisterstück. Ich nehme den wärmsten Antheil an dem gerechten Beifall,
den man ihr gab. Erhalten Sie mich alten Knaben in Ihrem Andenken."
Jedenfalls hatte Haydn dem jungen Genius die edlen Musikkreise Wien's willig
erschließen helfen, und dieser konnte nun ungestört sein Glück dort suchen, als
der Lehrer wieder in der Ferne weilte.

Zu dieser zweiten Reise aber die nöthigen Arbeiten zu beschaffen, war eben
die „zu viele Beschäftigung" des alternden Meisters gewesen. Und doch mußte
diese Reise schon aus äußeren Gründen unternommen werden. Denn Haydn hatte
darauf zu sehen, daß er auch in wirklich alten und arbeitslosen Tagen ohne
Einengung in seiner an sich einfachen Weise zu leben habe. Ein eigenwilliger
junger Anfänger, der ohnehin den Unterricht nicht bezahlte — denn er hatte
von seinem Kurfürsten wohl das Gehalt behalten, bekam aber keine weitere
Unterstützung —, durfte ihm nicht zuviel von dieser kostbaren Zeit rauben.
Auch war es ja solchem Genie gegenüber genug, die Hauptdinge des Unter¬
richts zu betonen und ihn nicht durch stete Aufzeigung kleiner, zum Theil blos
orthographischer Fehler, die sich mit der Zeit von selbst verlieren mußten, von
dem Wichtigerem unnötigerweise abzulenken. Wir haben über Haydn's An¬
schauung in solchen Dingen eine charakteristische Aeußerung ans diesen späteren
Tagen. Der Kontrapunktist Albrechtsberger, Beethoven's nachheriger Lehrer,
der nach dessen witzigen Ausdruck „die Kunst musikalische Gerippe zu schaffe»
aufs höchste getrieben hat", wollte aus dem reinen Satze auch alle Quarten
verbannt wissen. „Was heißt das?" erwiederte Haydn. „Die Kunst ist frei
und soll durch keine Handwerksfesseln beschränkt werden. Solche Künsteleien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/368>, abgerufen am 27.07.2024.