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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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lichen Punkt, daß sie diese Gabe auch an mir geübt habe, jedoch bestraft worden
sei, indem sie auch von mir angezogen worden."

Aber von Anfang an kam die Poesie dieser aufkeimenden Liebe in schmerz¬
lichen Konflikt mit der Prosa der umgebenden Verhältnisse. Nach der ersten
Begegnung hatte Goethe die Geliebte zunächst wohl nur allein oder in Gegen¬
wart der Mutter in ihrer Häuslichkeit wiedergesehen. Wollte er öfter um sie
sein, so mußte er sich entschließen, sie "in ihren Zirkeln" zu sehen, mußte sich
in das Gesellschaststreiben mischen, welches die Wintermonate in dem vornehmen
Hause ausfüllte, Bälle, Konzerte, Abende am Spieltisch mit in Kauf nehmen,
und hieraus erwuchs ihm "mannichfaltige Pein". Die gesellschaftliche Sphäre, in
die er versetzt wurde, war ja eine ganz andre, als er sie gewöhnt war. Bisher
hatte er sich in kleinbürgerlichen Kreisen bewegt, und auch die Mädchengestalten,
die ihn angezogen, hatten auf diesem Hintergrunde gestanden. Mit Friederike
in Sesenheim hatte er in der stillen Laube des Pfarrgartens gesessen, mit Lotte
und Kestner in Wetzlar war er in trautem Gespräche durch die Felder und
Wiesen geschlendert. Die neue Geliebte stand mitten in vornehmen, glänzenden
Salonkreisen, die Gesellschaft machte Anforderungen an sie, sie mußte, so jung
sie war, ihre Mutter in den Aufgaben der Repräsentation unterstützen, den
zahlreichen Gästen gegenüber freundlich und liebenswürdig sein. Das mit an¬
sehen zu müssen, war dem Dichter eine Pein. Er wollte die Geliebte für sich
allein haben, von ihm sollte ihr Herz ausgefüllt sein, hier aber rückte er herab
auf die Stufe jedes unbedeutenden Gesellen, der in der Gesellschaft sich breit
machte -- es war eine unbehagliche Situation. Um der Gesellschaft willen
hätte ihm das ganze Verhältniß verleidet werden können, in seinem Selbstge¬
fühl erschien es ihm wohl manchmal, als ob das ganze Treiben seiner un¬
würdig sei, und doch, um Lili's willen ertrug er alles. Trat sie ihm doch
gerade in diesem Treiben doppelt reizend und anziehend entgegen; hätte er doch
"um Vieles der Freude nicht entbehrt, ihre geselligen Tugenden kennen zu
lernen und einzusehen, sie sei auch weiteren und allgemeineren Zuständen ge¬
wachsen". Dazu kam aber ein andres. Von vornherein mag das Interesse
Lili's für den Dichter in den Kreisen der Freunde und Bekannten des Hauses
allerhand Beurtheilungen ausgesetzt gewesen sein, und so hatte sie doppelten Grund,
in der Gesellschaft zurückhaltend gegen ihn zu sein und auch ihn in gewissen
Grenzen zu halten. Zwar "sprach jeder wechselseitige Blick, jedes begleitende
Lächeln ein verborgenes edles Verständniß aus"; dennoch konnte dies seine
eifersüchtige Laune nicht beschwichtigen: "in den Umgebungen und Einwirkungen
einzelner Glieder ihres Kreises, was ergaben sich da oft für Mißtage und
Fehlstunden!"

Lebendig malt den Zwiespalt, in dem er sich damals befand, ein Brief


lichen Punkt, daß sie diese Gabe auch an mir geübt habe, jedoch bestraft worden
sei, indem sie auch von mir angezogen worden."

Aber von Anfang an kam die Poesie dieser aufkeimenden Liebe in schmerz¬
lichen Konflikt mit der Prosa der umgebenden Verhältnisse. Nach der ersten
Begegnung hatte Goethe die Geliebte zunächst wohl nur allein oder in Gegen¬
wart der Mutter in ihrer Häuslichkeit wiedergesehen. Wollte er öfter um sie
sein, so mußte er sich entschließen, sie „in ihren Zirkeln" zu sehen, mußte sich
in das Gesellschaststreiben mischen, welches die Wintermonate in dem vornehmen
Hause ausfüllte, Bälle, Konzerte, Abende am Spieltisch mit in Kauf nehmen,
und hieraus erwuchs ihm „mannichfaltige Pein". Die gesellschaftliche Sphäre, in
die er versetzt wurde, war ja eine ganz andre, als er sie gewöhnt war. Bisher
hatte er sich in kleinbürgerlichen Kreisen bewegt, und auch die Mädchengestalten,
die ihn angezogen, hatten auf diesem Hintergrunde gestanden. Mit Friederike
in Sesenheim hatte er in der stillen Laube des Pfarrgartens gesessen, mit Lotte
und Kestner in Wetzlar war er in trautem Gespräche durch die Felder und
Wiesen geschlendert. Die neue Geliebte stand mitten in vornehmen, glänzenden
Salonkreisen, die Gesellschaft machte Anforderungen an sie, sie mußte, so jung
sie war, ihre Mutter in den Aufgaben der Repräsentation unterstützen, den
zahlreichen Gästen gegenüber freundlich und liebenswürdig sein. Das mit an¬
sehen zu müssen, war dem Dichter eine Pein. Er wollte die Geliebte für sich
allein haben, von ihm sollte ihr Herz ausgefüllt sein, hier aber rückte er herab
auf die Stufe jedes unbedeutenden Gesellen, der in der Gesellschaft sich breit
machte — es war eine unbehagliche Situation. Um der Gesellschaft willen
hätte ihm das ganze Verhältniß verleidet werden können, in seinem Selbstge¬
fühl erschien es ihm wohl manchmal, als ob das ganze Treiben seiner un¬
würdig sei, und doch, um Lili's willen ertrug er alles. Trat sie ihm doch
gerade in diesem Treiben doppelt reizend und anziehend entgegen; hätte er doch
„um Vieles der Freude nicht entbehrt, ihre geselligen Tugenden kennen zu
lernen und einzusehen, sie sei auch weiteren und allgemeineren Zuständen ge¬
wachsen". Dazu kam aber ein andres. Von vornherein mag das Interesse
Lili's für den Dichter in den Kreisen der Freunde und Bekannten des Hauses
allerhand Beurtheilungen ausgesetzt gewesen sein, und so hatte sie doppelten Grund,
in der Gesellschaft zurückhaltend gegen ihn zu sein und auch ihn in gewissen
Grenzen zu halten. Zwar „sprach jeder wechselseitige Blick, jedes begleitende
Lächeln ein verborgenes edles Verständniß aus"; dennoch konnte dies seine
eifersüchtige Laune nicht beschwichtigen: „in den Umgebungen und Einwirkungen
einzelner Glieder ihres Kreises, was ergaben sich da oft für Mißtage und
Fehlstunden!"

Lebendig malt den Zwiespalt, in dem er sich damals befand, ein Brief


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[0317] lichen Punkt, daß sie diese Gabe auch an mir geübt habe, jedoch bestraft worden sei, indem sie auch von mir angezogen worden." Aber von Anfang an kam die Poesie dieser aufkeimenden Liebe in schmerz¬ lichen Konflikt mit der Prosa der umgebenden Verhältnisse. Nach der ersten Begegnung hatte Goethe die Geliebte zunächst wohl nur allein oder in Gegen¬ wart der Mutter in ihrer Häuslichkeit wiedergesehen. Wollte er öfter um sie sein, so mußte er sich entschließen, sie „in ihren Zirkeln" zu sehen, mußte sich in das Gesellschaststreiben mischen, welches die Wintermonate in dem vornehmen Hause ausfüllte, Bälle, Konzerte, Abende am Spieltisch mit in Kauf nehmen, und hieraus erwuchs ihm „mannichfaltige Pein". Die gesellschaftliche Sphäre, in die er versetzt wurde, war ja eine ganz andre, als er sie gewöhnt war. Bisher hatte er sich in kleinbürgerlichen Kreisen bewegt, und auch die Mädchengestalten, die ihn angezogen, hatten auf diesem Hintergrunde gestanden. Mit Friederike in Sesenheim hatte er in der stillen Laube des Pfarrgartens gesessen, mit Lotte und Kestner in Wetzlar war er in trautem Gespräche durch die Felder und Wiesen geschlendert. Die neue Geliebte stand mitten in vornehmen, glänzenden Salonkreisen, die Gesellschaft machte Anforderungen an sie, sie mußte, so jung sie war, ihre Mutter in den Aufgaben der Repräsentation unterstützen, den zahlreichen Gästen gegenüber freundlich und liebenswürdig sein. Das mit an¬ sehen zu müssen, war dem Dichter eine Pein. Er wollte die Geliebte für sich allein haben, von ihm sollte ihr Herz ausgefüllt sein, hier aber rückte er herab auf die Stufe jedes unbedeutenden Gesellen, der in der Gesellschaft sich breit machte — es war eine unbehagliche Situation. Um der Gesellschaft willen hätte ihm das ganze Verhältniß verleidet werden können, in seinem Selbstge¬ fühl erschien es ihm wohl manchmal, als ob das ganze Treiben seiner un¬ würdig sei, und doch, um Lili's willen ertrug er alles. Trat sie ihm doch gerade in diesem Treiben doppelt reizend und anziehend entgegen; hätte er doch „um Vieles der Freude nicht entbehrt, ihre geselligen Tugenden kennen zu lernen und einzusehen, sie sei auch weiteren und allgemeineren Zuständen ge¬ wachsen". Dazu kam aber ein andres. Von vornherein mag das Interesse Lili's für den Dichter in den Kreisen der Freunde und Bekannten des Hauses allerhand Beurtheilungen ausgesetzt gewesen sein, und so hatte sie doppelten Grund, in der Gesellschaft zurückhaltend gegen ihn zu sein und auch ihn in gewissen Grenzen zu halten. Zwar „sprach jeder wechselseitige Blick, jedes begleitende Lächeln ein verborgenes edles Verständniß aus"; dennoch konnte dies seine eifersüchtige Laune nicht beschwichtigen: „in den Umgebungen und Einwirkungen einzelner Glieder ihres Kreises, was ergaben sich da oft für Mißtage und Fehlstunden!" Lebendig malt den Zwiespalt, in dem er sich damals befand, ein Brief

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/317>, abgerufen am 27.11.2024.