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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Volke wehren." In Luther's Verzeichniß von Wallfahrtsorten dieser Art be¬
findet sich dasselbe Trier, welches noch 1844 durch die Ausstellung des wunder¬
thätigen ungereihter Rockes einen Hauptanstoß zur deutschkatholischen Bewegung
gab. An Stelle der übrigen Namen aber braucht man heute nur Lourdes mit
seinem Wunderwasser, Marpingen und Dietrichswalde mit seinem Marien-
schwindel einzusetzen, um Luther's Bild im Rahmen unsrer Zeit zu sehen,
und sich die Pickelhauben preußischer Gensdarmen hinzuzudenken, um uns das
von ihm vorgeschlagene Heilmittel in zeitgemäßer Modifikation zu vergegen¬
wärtigen.

Aehnlich wie über jene heiligen, angeblich durch außerordentliche Erschei¬
nungen ausgezeichneten Orte urtheilt Luther über die gehäuften Festtage. Das
Beste wäre, "daß man alle Feste abthäte und allein den Sonntag behielte;
wollte man aber je unserer Frauen und der großen Heiligen Feste halten, daß
sie alle auf den Sonntag würden verlegt oder nur des Morgens zur Messe
gehalten, und daß man darnach ließe den ganzen Tag Werktag sein. . . .
Dazu nimmt der gemeine Mann zwei leibliche Schäden über diesen geistlichen
Schaden: daß er an seiner Arbeit versäumt wird, dazu mehr verzehrt denn
sonst, ja auch seinen Leib schwächt und ungeschickt macht .... Und zuvor
sollte man die Kirchweihen ganz austilgen, sintemal sie nichts anders sind denn
rechte Tabernen, Jahrmärkte und Spielhöfe." Die Regierung des Herzogthums
Sachsen-Altenburg hat also gewiß in Luther's Sinne gehandelt, als sie die
Kirmesfreuden ihrer Unterthanen, die sich früher für die verschiedenen Ort¬
schaften auf drei Wochen vertheilten und so dem Einzelnen Gelegenheit zu drei¬
wöchentlicher Betheiligung boten, auf eine Woche zusammenlegte. Auch das
Bestreben mehrerer Kirchenregimente, einen gemeinsamen deutschen Buß- und
Bettag zu schassen, dient nicht blos zum Ausdruck des nationalen Einheits¬
bewußtseins, sondern vor allem auch dazu, der schnöden Profanirung solcher
Tage ein Ziel zu setzen. Denken wir doch daran, wie viele unserer speziellen
Landsleute (Leipzig) den Bußtag eigentlich begehen! Im Frühjahr benutzt
man den willkommenen Geschäftsstillstand, um den so günstig fallenden Ro߬
markt in Altenburg mit seinen "Spielhöfen" zu besuchen, am Herbstbußtag
bieten benachbarte preußische Landstädtchen, wie Schkeuditz, ihre Lustbarkeiten
dar, und die Sekte der "Tänzer" findet ja heutzutage weit mehr Anhänger als
die der "Geißler".

In die neuesten Synodal-Verhandlungen der Altkatholiken führt uns, was
Luther über Cölibat und Stellung des Pfarrers sagt. In Anbetracht des
Umstandes, daß "mancher arme Pfaff, mit Weib und Kind überladen, sein
Gewissen beschweret", und mit Berufung auf die Briefe an Titus und Timo-
theus erklärt er freimüthig, daß kein Pfarrer gezwungen sei, "ohne ehelich


Volke wehren." In Luther's Verzeichniß von Wallfahrtsorten dieser Art be¬
findet sich dasselbe Trier, welches noch 1844 durch die Ausstellung des wunder¬
thätigen ungereihter Rockes einen Hauptanstoß zur deutschkatholischen Bewegung
gab. An Stelle der übrigen Namen aber braucht man heute nur Lourdes mit
seinem Wunderwasser, Marpingen und Dietrichswalde mit seinem Marien-
schwindel einzusetzen, um Luther's Bild im Rahmen unsrer Zeit zu sehen,
und sich die Pickelhauben preußischer Gensdarmen hinzuzudenken, um uns das
von ihm vorgeschlagene Heilmittel in zeitgemäßer Modifikation zu vergegen¬
wärtigen.

Aehnlich wie über jene heiligen, angeblich durch außerordentliche Erschei¬
nungen ausgezeichneten Orte urtheilt Luther über die gehäuften Festtage. Das
Beste wäre, „daß man alle Feste abthäte und allein den Sonntag behielte;
wollte man aber je unserer Frauen und der großen Heiligen Feste halten, daß
sie alle auf den Sonntag würden verlegt oder nur des Morgens zur Messe
gehalten, und daß man darnach ließe den ganzen Tag Werktag sein. . . .
Dazu nimmt der gemeine Mann zwei leibliche Schäden über diesen geistlichen
Schaden: daß er an seiner Arbeit versäumt wird, dazu mehr verzehrt denn
sonst, ja auch seinen Leib schwächt und ungeschickt macht .... Und zuvor
sollte man die Kirchweihen ganz austilgen, sintemal sie nichts anders sind denn
rechte Tabernen, Jahrmärkte und Spielhöfe." Die Regierung des Herzogthums
Sachsen-Altenburg hat also gewiß in Luther's Sinne gehandelt, als sie die
Kirmesfreuden ihrer Unterthanen, die sich früher für die verschiedenen Ort¬
schaften auf drei Wochen vertheilten und so dem Einzelnen Gelegenheit zu drei¬
wöchentlicher Betheiligung boten, auf eine Woche zusammenlegte. Auch das
Bestreben mehrerer Kirchenregimente, einen gemeinsamen deutschen Buß- und
Bettag zu schassen, dient nicht blos zum Ausdruck des nationalen Einheits¬
bewußtseins, sondern vor allem auch dazu, der schnöden Profanirung solcher
Tage ein Ziel zu setzen. Denken wir doch daran, wie viele unserer speziellen
Landsleute (Leipzig) den Bußtag eigentlich begehen! Im Frühjahr benutzt
man den willkommenen Geschäftsstillstand, um den so günstig fallenden Ro߬
markt in Altenburg mit seinen „Spielhöfen" zu besuchen, am Herbstbußtag
bieten benachbarte preußische Landstädtchen, wie Schkeuditz, ihre Lustbarkeiten
dar, und die Sekte der „Tänzer" findet ja heutzutage weit mehr Anhänger als
die der „Geißler".

In die neuesten Synodal-Verhandlungen der Altkatholiken führt uns, was
Luther über Cölibat und Stellung des Pfarrers sagt. In Anbetracht des
Umstandes, daß „mancher arme Pfaff, mit Weib und Kind überladen, sein
Gewissen beschweret", und mit Berufung auf die Briefe an Titus und Timo-
theus erklärt er freimüthig, daß kein Pfarrer gezwungen sei, „ohne ehelich


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[0221] Volke wehren." In Luther's Verzeichniß von Wallfahrtsorten dieser Art be¬ findet sich dasselbe Trier, welches noch 1844 durch die Ausstellung des wunder¬ thätigen ungereihter Rockes einen Hauptanstoß zur deutschkatholischen Bewegung gab. An Stelle der übrigen Namen aber braucht man heute nur Lourdes mit seinem Wunderwasser, Marpingen und Dietrichswalde mit seinem Marien- schwindel einzusetzen, um Luther's Bild im Rahmen unsrer Zeit zu sehen, und sich die Pickelhauben preußischer Gensdarmen hinzuzudenken, um uns das von ihm vorgeschlagene Heilmittel in zeitgemäßer Modifikation zu vergegen¬ wärtigen. Aehnlich wie über jene heiligen, angeblich durch außerordentliche Erschei¬ nungen ausgezeichneten Orte urtheilt Luther über die gehäuften Festtage. Das Beste wäre, „daß man alle Feste abthäte und allein den Sonntag behielte; wollte man aber je unserer Frauen und der großen Heiligen Feste halten, daß sie alle auf den Sonntag würden verlegt oder nur des Morgens zur Messe gehalten, und daß man darnach ließe den ganzen Tag Werktag sein. . . . Dazu nimmt der gemeine Mann zwei leibliche Schäden über diesen geistlichen Schaden: daß er an seiner Arbeit versäumt wird, dazu mehr verzehrt denn sonst, ja auch seinen Leib schwächt und ungeschickt macht .... Und zuvor sollte man die Kirchweihen ganz austilgen, sintemal sie nichts anders sind denn rechte Tabernen, Jahrmärkte und Spielhöfe." Die Regierung des Herzogthums Sachsen-Altenburg hat also gewiß in Luther's Sinne gehandelt, als sie die Kirmesfreuden ihrer Unterthanen, die sich früher für die verschiedenen Ort¬ schaften auf drei Wochen vertheilten und so dem Einzelnen Gelegenheit zu drei¬ wöchentlicher Betheiligung boten, auf eine Woche zusammenlegte. Auch das Bestreben mehrerer Kirchenregimente, einen gemeinsamen deutschen Buß- und Bettag zu schassen, dient nicht blos zum Ausdruck des nationalen Einheits¬ bewußtseins, sondern vor allem auch dazu, der schnöden Profanirung solcher Tage ein Ziel zu setzen. Denken wir doch daran, wie viele unserer speziellen Landsleute (Leipzig) den Bußtag eigentlich begehen! Im Frühjahr benutzt man den willkommenen Geschäftsstillstand, um den so günstig fallenden Ro߬ markt in Altenburg mit seinen „Spielhöfen" zu besuchen, am Herbstbußtag bieten benachbarte preußische Landstädtchen, wie Schkeuditz, ihre Lustbarkeiten dar, und die Sekte der „Tänzer" findet ja heutzutage weit mehr Anhänger als die der „Geißler". In die neuesten Synodal-Verhandlungen der Altkatholiken führt uns, was Luther über Cölibat und Stellung des Pfarrers sagt. In Anbetracht des Umstandes, daß „mancher arme Pfaff, mit Weib und Kind überladen, sein Gewissen beschweret", und mit Berufung auf die Briefe an Titus und Timo- theus erklärt er freimüthig, daß kein Pfarrer gezwungen sei, „ohne ehelich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/221>, abgerufen am 27.11.2024.