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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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zick vereinigt handeln zu können, und ferner durch die Reinigung des Partei¬
lebens von solchen Gruppenb'ildungen, die in sich unwahr sind und Wider¬
sprechendes vereinigen wollen.

Zur Wahrnehmung des in jedem Staatsleben gegebenen konservativen
Entwickelungszieles reicht in keiner Weise die Partei aus, welche zuerst in
Deutschland diesen Namen angenommen hat. Konservativ und liberal, diese
Begriffe, von denen unsere politischen Vorstellungen, unsre tägliche Sprache so
mannigfach beherrscht werden, sind sehr schwer zu definiren. Konservativ kann
sicherlich nicht heißen die Erstrebung irgend eines se^tus <^lo, der in der Regel
nicht einmal gegeben ist, sondern in der Vergangenheit, aber mit erheblichen
Abänderungen derselben, gesucht wird. Wir wollen als konservativ einmal das
Streben definiren, das Gleichgewicht der zusammenhaltenden und auseinander¬
treibenden Kräfte im Staate nicht verrücken zu lassen. In dieser Definition
liegt sowohl, um die Ausdrücke der Physik hier anzuwenden, das stabile wie
das labile Gleichgewicht. Ein Konservatismus, der ein stabiles Gleichgewicht
erstrebt, wird über kurz oder lang mit dem Leben in Widerspruch kommen.
Der Konservatismus, welcher sich mit der lebendigen Entwickelung im Einklang
halten will, muß gefaßt sein, daß die Elemente des Gleichgewichts sich ver¬
ändern, und muß die schöpferische Kraft besitzen, da, wo ein Defizit eingetreten
ist, neue Kräfte, neue Institutionen zu bilden.

Wir glauben, daß die konservative Richtung im deutschen Staatsleben in
der nächsten Zeit durch vier gesonderte Gruppen vertreten sein wird, die vor
allem lernen müssen, in der Hauptsache einig zu sein. Wir haben eine deutsch¬
konservative und eine freikonservative Fraktion nicht nur in deu Parlamenten,
sondern anch in der Nation. Der Unterschied beider ist, daß die Ersten das
Reich zwar als neugewonnene Grundlage unsres Staates annehmen, daß ihnen
aber zumeist die Einzelstaaten am Herzen liegen, während die Zweiten in dem
Reiche die erste und letzte Bedingung unserer nationalen Zukunft sehen, ohne
darum den Einzelstaaten weder in der Gegenwart noch in der Zukunft, soweit
sie absehbar ist, die Existenz entziehen zu wollen. Dieser Gegensatz erscheint
als Folge der deutschen Geschichte und enthält durchaus kein unübersichtliches
Hinderniß, in Folge dessen die beiden konservativen Fraktionen nicht parlamen¬
tarisch zusammenwirken und sich in allen Hauptfragen fortwährend verständigen
könnten.

Kommt es über kurz oder lang zum Frieden mit Rom, so wird ein Theil
des Zentrums als dritter konservativer Faktor in das deutsche Staatsleben
eintreten. Denn es gibt in dieser Partei Männer, deren Katholizismus nicht
zum Vaterlandshaß, deren Opposition nicht zum Demagogenthum aus die
Dauer entarten kann. Diese Männer, wenn sie erst im EinVerständniß mit der


Grenzboten III. 1879. LK

zick vereinigt handeln zu können, und ferner durch die Reinigung des Partei¬
lebens von solchen Gruppenb'ildungen, die in sich unwahr sind und Wider¬
sprechendes vereinigen wollen.

Zur Wahrnehmung des in jedem Staatsleben gegebenen konservativen
Entwickelungszieles reicht in keiner Weise die Partei aus, welche zuerst in
Deutschland diesen Namen angenommen hat. Konservativ und liberal, diese
Begriffe, von denen unsere politischen Vorstellungen, unsre tägliche Sprache so
mannigfach beherrscht werden, sind sehr schwer zu definiren. Konservativ kann
sicherlich nicht heißen die Erstrebung irgend eines se^tus <^lo, der in der Regel
nicht einmal gegeben ist, sondern in der Vergangenheit, aber mit erheblichen
Abänderungen derselben, gesucht wird. Wir wollen als konservativ einmal das
Streben definiren, das Gleichgewicht der zusammenhaltenden und auseinander¬
treibenden Kräfte im Staate nicht verrücken zu lassen. In dieser Definition
liegt sowohl, um die Ausdrücke der Physik hier anzuwenden, das stabile wie
das labile Gleichgewicht. Ein Konservatismus, der ein stabiles Gleichgewicht
erstrebt, wird über kurz oder lang mit dem Leben in Widerspruch kommen.
Der Konservatismus, welcher sich mit der lebendigen Entwickelung im Einklang
halten will, muß gefaßt sein, daß die Elemente des Gleichgewichts sich ver¬
ändern, und muß die schöpferische Kraft besitzen, da, wo ein Defizit eingetreten
ist, neue Kräfte, neue Institutionen zu bilden.

Wir glauben, daß die konservative Richtung im deutschen Staatsleben in
der nächsten Zeit durch vier gesonderte Gruppen vertreten sein wird, die vor
allem lernen müssen, in der Hauptsache einig zu sein. Wir haben eine deutsch¬
konservative und eine freikonservative Fraktion nicht nur in deu Parlamenten,
sondern anch in der Nation. Der Unterschied beider ist, daß die Ersten das
Reich zwar als neugewonnene Grundlage unsres Staates annehmen, daß ihnen
aber zumeist die Einzelstaaten am Herzen liegen, während die Zweiten in dem
Reiche die erste und letzte Bedingung unserer nationalen Zukunft sehen, ohne
darum den Einzelstaaten weder in der Gegenwart noch in der Zukunft, soweit
sie absehbar ist, die Existenz entziehen zu wollen. Dieser Gegensatz erscheint
als Folge der deutschen Geschichte und enthält durchaus kein unübersichtliches
Hinderniß, in Folge dessen die beiden konservativen Fraktionen nicht parlamen¬
tarisch zusammenwirken und sich in allen Hauptfragen fortwährend verständigen
könnten.

Kommt es über kurz oder lang zum Frieden mit Rom, so wird ein Theil
des Zentrums als dritter konservativer Faktor in das deutsche Staatsleben
eintreten. Denn es gibt in dieser Partei Männer, deren Katholizismus nicht
zum Vaterlandshaß, deren Opposition nicht zum Demagogenthum aus die
Dauer entarten kann. Diese Männer, wenn sie erst im EinVerständniß mit der


Grenzboten III. 1879. LK
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[0207] zick vereinigt handeln zu können, und ferner durch die Reinigung des Partei¬ lebens von solchen Gruppenb'ildungen, die in sich unwahr sind und Wider¬ sprechendes vereinigen wollen. Zur Wahrnehmung des in jedem Staatsleben gegebenen konservativen Entwickelungszieles reicht in keiner Weise die Partei aus, welche zuerst in Deutschland diesen Namen angenommen hat. Konservativ und liberal, diese Begriffe, von denen unsere politischen Vorstellungen, unsre tägliche Sprache so mannigfach beherrscht werden, sind sehr schwer zu definiren. Konservativ kann sicherlich nicht heißen die Erstrebung irgend eines se^tus <^lo, der in der Regel nicht einmal gegeben ist, sondern in der Vergangenheit, aber mit erheblichen Abänderungen derselben, gesucht wird. Wir wollen als konservativ einmal das Streben definiren, das Gleichgewicht der zusammenhaltenden und auseinander¬ treibenden Kräfte im Staate nicht verrücken zu lassen. In dieser Definition liegt sowohl, um die Ausdrücke der Physik hier anzuwenden, das stabile wie das labile Gleichgewicht. Ein Konservatismus, der ein stabiles Gleichgewicht erstrebt, wird über kurz oder lang mit dem Leben in Widerspruch kommen. Der Konservatismus, welcher sich mit der lebendigen Entwickelung im Einklang halten will, muß gefaßt sein, daß die Elemente des Gleichgewichts sich ver¬ ändern, und muß die schöpferische Kraft besitzen, da, wo ein Defizit eingetreten ist, neue Kräfte, neue Institutionen zu bilden. Wir glauben, daß die konservative Richtung im deutschen Staatsleben in der nächsten Zeit durch vier gesonderte Gruppen vertreten sein wird, die vor allem lernen müssen, in der Hauptsache einig zu sein. Wir haben eine deutsch¬ konservative und eine freikonservative Fraktion nicht nur in deu Parlamenten, sondern anch in der Nation. Der Unterschied beider ist, daß die Ersten das Reich zwar als neugewonnene Grundlage unsres Staates annehmen, daß ihnen aber zumeist die Einzelstaaten am Herzen liegen, während die Zweiten in dem Reiche die erste und letzte Bedingung unserer nationalen Zukunft sehen, ohne darum den Einzelstaaten weder in der Gegenwart noch in der Zukunft, soweit sie absehbar ist, die Existenz entziehen zu wollen. Dieser Gegensatz erscheint als Folge der deutschen Geschichte und enthält durchaus kein unübersichtliches Hinderniß, in Folge dessen die beiden konservativen Fraktionen nicht parlamen¬ tarisch zusammenwirken und sich in allen Hauptfragen fortwährend verständigen könnten. Kommt es über kurz oder lang zum Frieden mit Rom, so wird ein Theil des Zentrums als dritter konservativer Faktor in das deutsche Staatsleben eintreten. Denn es gibt in dieser Partei Männer, deren Katholizismus nicht zum Vaterlandshaß, deren Opposition nicht zum Demagogenthum aus die Dauer entarten kann. Diese Männer, wenn sie erst im EinVerständniß mit der Grenzboten III. 1879. LK

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/207>, abgerufen am 27.11.2024.