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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Größe und Industrie der Nation gewesen seien, und seine Skizzen der Zukunft
mußten den Deutschen ganz besonders überraschend sein.

Inzwischen erhielt er Einsicht in die Pläne und Entwürfe zu der Bahn
Linz-Budweis, welche v. Gerstner baute. List erschrak. "Wenn diese Linie
zuerst in Deutschland zu Stande kommt," rief er aus, "so ist es für ein Viertel-
jahrhundert um die Eisenbahnen in Deutschland geschehen. Von der Route
von Hamburg bis Wien ist die schlechteste Strecke ausgewählt in Beziehung
auf Anlagekosten, Transport, Handel und Ertrag." Die geringe Rente, welche
diese Bahn abwerfen würde, fürchtete er, werde das deutsche Kapital für lange
Zeit abschrecken, sich anderen Eisenbahn-Unternehmungen zuzuwenden. Unge¬
säumt schrieb er an Baader, er solle zunächst auf die Erbauung einer kleinen
Strecke in der Nähe einer volkreichen Stadt dringen; nur der Gewinn, den
das erste Unternehmen abwerfen werde, könne belebend auf den deutschen Unter¬
nehmungsgeist wirken.

Bald mußte List jedoch einsehen, daß er aus der Ferne auf sein Vater¬
land wenig Einfluß haben könne. Die Bewegung für die Eisenbahnen mußte
aus dem Innern des Landes kommen, und so wurde der Gedanke an eine
Rückkehr in die Heimat bei ihm immer lebendiger. Seine amerikanischen Unter¬
nehmungen hatten sich unterdeß herrlich entwickelt; sie warfen hohe Gewinne
ab, und ein beträchtlicher Theil davon fiel ihm als dem ersten Anreger der
Unternehmungen zu. Seine änßere Lage gestaltete sich so vortheilhaft, wie er
es nur wünschen konnte; aber der Gedanke an ein großes deutsches Eisenbahn-
system verfolgte ihn unablässig und machte ihn "unglücklich mitten im Glück".
"Mir geht's mit meinem Vaterland," schrieb er damals, "wie den Müttern mit
ihren krüppelhaften Kindern; sie lieben sie um so stärker, je krüppelhafter sie
sind. Im Hintergrunde aller meiner Pläne liegt Deutschland, die Rückkehr
nach Deutschland; es ist wahr, ich werde mich dort ärgern über die Klein¬
städterei und Kleinstaaterei."

Endlich entschloß er sich, nach Deutschland zu gehen, seine glänzende Lage
in Amerika zu verlassen, alle Vortheile, in deren Besitz er war, aufzugeben,
seine großen Privatunternehmungen fremden Händen anzuvertrauen. Allein er
konnte und wollte diese Rückkehr nicht ohne einen offiziellen Charakter bewerk¬
stelligen, um nicht von neuem der Willkür und Anmaßung büreaukratischer
Regierungen ausgesetzt zu sein. Er hatte der amerikanischen Regierung Dienste
geleistet, welche seine Anstellung als Konsul für Hamburg zur Folge hatten.
Im Herbst des Jahres 1830 begab er sich zu Schiff. Er hatte seine Reise
über Paris zu machen, um dort eine Reihe von Geschäften im Auftrage der
amerikanischen Regierung zu erledigen. Er hatte die Aufgabe, den Verkehr
zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten für eine Reihe von Artikeln


Größe und Industrie der Nation gewesen seien, und seine Skizzen der Zukunft
mußten den Deutschen ganz besonders überraschend sein.

Inzwischen erhielt er Einsicht in die Pläne und Entwürfe zu der Bahn
Linz-Budweis, welche v. Gerstner baute. List erschrak. „Wenn diese Linie
zuerst in Deutschland zu Stande kommt," rief er aus, „so ist es für ein Viertel-
jahrhundert um die Eisenbahnen in Deutschland geschehen. Von der Route
von Hamburg bis Wien ist die schlechteste Strecke ausgewählt in Beziehung
auf Anlagekosten, Transport, Handel und Ertrag." Die geringe Rente, welche
diese Bahn abwerfen würde, fürchtete er, werde das deutsche Kapital für lange
Zeit abschrecken, sich anderen Eisenbahn-Unternehmungen zuzuwenden. Unge¬
säumt schrieb er an Baader, er solle zunächst auf die Erbauung einer kleinen
Strecke in der Nähe einer volkreichen Stadt dringen; nur der Gewinn, den
das erste Unternehmen abwerfen werde, könne belebend auf den deutschen Unter¬
nehmungsgeist wirken.

Bald mußte List jedoch einsehen, daß er aus der Ferne auf sein Vater¬
land wenig Einfluß haben könne. Die Bewegung für die Eisenbahnen mußte
aus dem Innern des Landes kommen, und so wurde der Gedanke an eine
Rückkehr in die Heimat bei ihm immer lebendiger. Seine amerikanischen Unter¬
nehmungen hatten sich unterdeß herrlich entwickelt; sie warfen hohe Gewinne
ab, und ein beträchtlicher Theil davon fiel ihm als dem ersten Anreger der
Unternehmungen zu. Seine änßere Lage gestaltete sich so vortheilhaft, wie er
es nur wünschen konnte; aber der Gedanke an ein großes deutsches Eisenbahn-
system verfolgte ihn unablässig und machte ihn „unglücklich mitten im Glück".
„Mir geht's mit meinem Vaterland," schrieb er damals, „wie den Müttern mit
ihren krüppelhaften Kindern; sie lieben sie um so stärker, je krüppelhafter sie
sind. Im Hintergrunde aller meiner Pläne liegt Deutschland, die Rückkehr
nach Deutschland; es ist wahr, ich werde mich dort ärgern über die Klein¬
städterei und Kleinstaaterei."

Endlich entschloß er sich, nach Deutschland zu gehen, seine glänzende Lage
in Amerika zu verlassen, alle Vortheile, in deren Besitz er war, aufzugeben,
seine großen Privatunternehmungen fremden Händen anzuvertrauen. Allein er
konnte und wollte diese Rückkehr nicht ohne einen offiziellen Charakter bewerk¬
stelligen, um nicht von neuem der Willkür und Anmaßung büreaukratischer
Regierungen ausgesetzt zu sein. Er hatte der amerikanischen Regierung Dienste
geleistet, welche seine Anstellung als Konsul für Hamburg zur Folge hatten.
Im Herbst des Jahres 1830 begab er sich zu Schiff. Er hatte seine Reise
über Paris zu machen, um dort eine Reihe von Geschäften im Auftrage der
amerikanischen Regierung zu erledigen. Er hatte die Aufgabe, den Verkehr
zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten für eine Reihe von Artikeln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/18>, abgerufen am 06.10.2024.