Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

einmal für ihre eigne Person; ja, bei der Einmütigkeit, mit welcher die Ab¬
stimmung vor sich ging, muß man annehmen, daß auch diejenigen Ausschu߬
mitglieder, welche dein Konnte nicht angehört hatten, für den Plan der Ge¬
schäftsfreunde List's vorher gewonnen waren, denn sonst wäre unter den Füuf-
undzwanzigen doch vielleicht Einer gewesen, der in seiner Gutmüthigkeit und aus
reinem Unverstande dem ersten Anreger des Unternehmens eine Stimme ge¬
geben hätte! List mochte diese Niederlage geahnt haben; er war nicht in die
Sitzung gekommen; aber auch derjenige fehlte, der das große Wort gesprochen
hatte: "Wir werden handeln wie Ehrenmänner, nicht wie Aankees." Freilich
hatten die Aankees anders gehandelt; sie hatten List zu schätzen gewußt, hatten
ihn mit Ehren überhäuft und ungern scheiden sehen. Den Aaukees kam kein
Gruseln bei den weittragenden Plänen List's; die Leipziger Geschäftsfreunde
aber waren der Ansicht, ein ganzes deutsches Eisenbahnsystem werde die Bahn
von Leipzig nach Dresden im Keime ersticke", sie waren unfähig, sich auf die
Höhe der volkswirthschaftlichen Gedanken List's zu erhebeu. Sie waren
eben -- Kaufleute und betrachteten ihr Unternehmen einzig und allein vom ge¬
schäftlichen Standpunkte der Verkehrserleichterung aus; die Verkehrsvermehrung
und die Hebung der volkswirthschaftlichen Kraft drang nicht in ihren Sinn,
und wie viel sie auch von List im Konnte gelernt hatten, die höheren Gesichts¬
punkte seiner nationalen Volkswirthschaft gingen ihnen nicht auf. Daher die
kleinliche, spießbürgerliche Besorgniß um das Unternehmen, daher die unheimliche
Furcht vor den großen Gedanken List's, die sich der Leipziger Größen bemäch¬
tigte, je mehr man der Ausführung des Planes sich näherte. Dieser Umstand
und sodann eine unleugbare Dosis von jenem Neid, der es den Menschen un¬
erträglich macht, von Anderen um Hauptesläuge überragt zu werden, mögen
die Motive des Ausschusses gewesen sein, List bei Seite zu setzen; treuloser
Undank kann es nicht gewesen sein -- es ist ja ganz undenkbar.

Als später inner- und außerhalb Leipzig's gegen das Konnte und den Aus¬
schuß mit Recht die bittersten Vorwürfe wegen ihres Verfahrens erhoben wurden,
machte das Direktorium (in der Jubelschrift beim 25jährigen Bestehen der Bahn)
einen schwachen Versuch, sich zu vertheidigen. Es hob hervor, daß es nicht in der
Hand des Vorbereitungskomites gelegen habe, die Direktoren zu wählen; in den
Ausschuß sei List ja gewählt worden, aber von diesem nicht in das Direktorium.
Das heißt so viel, als daß die Männer, die mit List gearbeitet hatten, an seinem
tragischen Geschick völlig unschuldig gewesen seien, und so erzählt, gewinnt
auch die Sache den Anschein der Biederkeit. Dabei ist aber verschwiegen, daß
der Ausschuß etwa zur Hälfte aus Kvmitemitgliedern bestand, und der Leser erfährt
nicht, daß gerade diese Personen, die sich lange mit der Sache beschäftigt hatten, den


einmal für ihre eigne Person; ja, bei der Einmütigkeit, mit welcher die Ab¬
stimmung vor sich ging, muß man annehmen, daß auch diejenigen Ausschu߬
mitglieder, welche dein Konnte nicht angehört hatten, für den Plan der Ge¬
schäftsfreunde List's vorher gewonnen waren, denn sonst wäre unter den Füuf-
undzwanzigen doch vielleicht Einer gewesen, der in seiner Gutmüthigkeit und aus
reinem Unverstande dem ersten Anreger des Unternehmens eine Stimme ge¬
geben hätte! List mochte diese Niederlage geahnt haben; er war nicht in die
Sitzung gekommen; aber auch derjenige fehlte, der das große Wort gesprochen
hatte: „Wir werden handeln wie Ehrenmänner, nicht wie Aankees." Freilich
hatten die Aankees anders gehandelt; sie hatten List zu schätzen gewußt, hatten
ihn mit Ehren überhäuft und ungern scheiden sehen. Den Aaukees kam kein
Gruseln bei den weittragenden Plänen List's; die Leipziger Geschäftsfreunde
aber waren der Ansicht, ein ganzes deutsches Eisenbahnsystem werde die Bahn
von Leipzig nach Dresden im Keime ersticke», sie waren unfähig, sich auf die
Höhe der volkswirthschaftlichen Gedanken List's zu erhebeu. Sie waren
eben — Kaufleute und betrachteten ihr Unternehmen einzig und allein vom ge¬
schäftlichen Standpunkte der Verkehrserleichterung aus; die Verkehrsvermehrung
und die Hebung der volkswirthschaftlichen Kraft drang nicht in ihren Sinn,
und wie viel sie auch von List im Konnte gelernt hatten, die höheren Gesichts¬
punkte seiner nationalen Volkswirthschaft gingen ihnen nicht auf. Daher die
kleinliche, spießbürgerliche Besorgniß um das Unternehmen, daher die unheimliche
Furcht vor den großen Gedanken List's, die sich der Leipziger Größen bemäch¬
tigte, je mehr man der Ausführung des Planes sich näherte. Dieser Umstand
und sodann eine unleugbare Dosis von jenem Neid, der es den Menschen un¬
erträglich macht, von Anderen um Hauptesläuge überragt zu werden, mögen
die Motive des Ausschusses gewesen sein, List bei Seite zu setzen; treuloser
Undank kann es nicht gewesen sein — es ist ja ganz undenkbar.

Als später inner- und außerhalb Leipzig's gegen das Konnte und den Aus¬
schuß mit Recht die bittersten Vorwürfe wegen ihres Verfahrens erhoben wurden,
machte das Direktorium (in der Jubelschrift beim 25jährigen Bestehen der Bahn)
einen schwachen Versuch, sich zu vertheidigen. Es hob hervor, daß es nicht in der
Hand des Vorbereitungskomites gelegen habe, die Direktoren zu wählen; in den
Ausschuß sei List ja gewählt worden, aber von diesem nicht in das Direktorium.
Das heißt so viel, als daß die Männer, die mit List gearbeitet hatten, an seinem
tragischen Geschick völlig unschuldig gewesen seien, und so erzählt, gewinnt
auch die Sache den Anschein der Biederkeit. Dabei ist aber verschwiegen, daß
der Ausschuß etwa zur Hälfte aus Kvmitemitgliedern bestand, und der Leser erfährt
nicht, daß gerade diese Personen, die sich lange mit der Sache beschäftigt hatten, den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142605"/>
          <p xml:id="ID_299" prev="#ID_298"> einmal für ihre eigne Person; ja, bei der Einmütigkeit, mit welcher die Ab¬<lb/>
stimmung vor sich ging, muß man annehmen, daß auch diejenigen Ausschu߬<lb/>
mitglieder, welche dein Konnte nicht angehört hatten, für den Plan der Ge¬<lb/>
schäftsfreunde List's vorher gewonnen waren, denn sonst wäre unter den Füuf-<lb/>
undzwanzigen doch vielleicht Einer gewesen, der in seiner Gutmüthigkeit und aus<lb/>
reinem Unverstande dem ersten Anreger des Unternehmens eine Stimme ge¬<lb/>
geben hätte! List mochte diese Niederlage geahnt haben; er war nicht in die<lb/>
Sitzung gekommen; aber auch derjenige fehlte, der das große Wort gesprochen<lb/>
hatte: &#x201E;Wir werden handeln wie Ehrenmänner, nicht wie Aankees." Freilich<lb/>
hatten die Aankees anders gehandelt; sie hatten List zu schätzen gewußt, hatten<lb/>
ihn mit Ehren überhäuft und ungern scheiden sehen. Den Aaukees kam kein<lb/>
Gruseln bei den weittragenden Plänen List's; die Leipziger Geschäftsfreunde<lb/>
aber waren der Ansicht, ein ganzes deutsches Eisenbahnsystem werde die Bahn<lb/>
von Leipzig nach Dresden im Keime ersticke», sie waren unfähig, sich auf die<lb/>
Höhe der volkswirthschaftlichen Gedanken List's zu erhebeu. Sie waren<lb/>
eben &#x2014; Kaufleute und betrachteten ihr Unternehmen einzig und allein vom ge¬<lb/>
schäftlichen Standpunkte der Verkehrserleichterung aus; die Verkehrsvermehrung<lb/>
und die Hebung der volkswirthschaftlichen Kraft drang nicht in ihren Sinn,<lb/>
und wie viel sie auch von List im Konnte gelernt hatten, die höheren Gesichts¬<lb/>
punkte seiner nationalen Volkswirthschaft gingen ihnen nicht auf. Daher die<lb/>
kleinliche, spießbürgerliche Besorgniß um das Unternehmen, daher die unheimliche<lb/>
Furcht vor den großen Gedanken List's, die sich der Leipziger Größen bemäch¬<lb/>
tigte, je mehr man der Ausführung des Planes sich näherte. Dieser Umstand<lb/>
und sodann eine unleugbare Dosis von jenem Neid, der es den Menschen un¬<lb/>
erträglich macht, von Anderen um Hauptesläuge überragt zu werden, mögen<lb/>
die Motive des Ausschusses gewesen sein, List bei Seite zu setzen; treuloser<lb/>
Undank kann es nicht gewesen sein &#x2014; es ist ja ganz undenkbar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_300" next="#ID_301"> Als später inner- und außerhalb Leipzig's gegen das Konnte und den Aus¬<lb/>
schuß mit Recht die bittersten Vorwürfe wegen ihres Verfahrens erhoben wurden,<lb/>
machte das Direktorium (in der Jubelschrift beim 25jährigen Bestehen der Bahn)<lb/>
einen schwachen Versuch, sich zu vertheidigen. Es hob hervor, daß es nicht in der<lb/>
Hand des Vorbereitungskomites gelegen habe, die Direktoren zu wählen; in den<lb/>
Ausschuß sei List ja gewählt worden, aber von diesem nicht in das Direktorium.<lb/>
Das heißt so viel, als daß die Männer, die mit List gearbeitet hatten, an seinem<lb/>
tragischen Geschick völlig unschuldig gewesen seien, und so erzählt, gewinnt<lb/>
auch die Sache den Anschein der Biederkeit. Dabei ist aber verschwiegen, daß<lb/>
der Ausschuß etwa zur Hälfte aus Kvmitemitgliedern bestand, und der Leser erfährt<lb/>
nicht, daß gerade diese Personen, die sich lange mit der Sache beschäftigt hatten, den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0108] einmal für ihre eigne Person; ja, bei der Einmütigkeit, mit welcher die Ab¬ stimmung vor sich ging, muß man annehmen, daß auch diejenigen Ausschu߬ mitglieder, welche dein Konnte nicht angehört hatten, für den Plan der Ge¬ schäftsfreunde List's vorher gewonnen waren, denn sonst wäre unter den Füuf- undzwanzigen doch vielleicht Einer gewesen, der in seiner Gutmüthigkeit und aus reinem Unverstande dem ersten Anreger des Unternehmens eine Stimme ge¬ geben hätte! List mochte diese Niederlage geahnt haben; er war nicht in die Sitzung gekommen; aber auch derjenige fehlte, der das große Wort gesprochen hatte: „Wir werden handeln wie Ehrenmänner, nicht wie Aankees." Freilich hatten die Aankees anders gehandelt; sie hatten List zu schätzen gewußt, hatten ihn mit Ehren überhäuft und ungern scheiden sehen. Den Aaukees kam kein Gruseln bei den weittragenden Plänen List's; die Leipziger Geschäftsfreunde aber waren der Ansicht, ein ganzes deutsches Eisenbahnsystem werde die Bahn von Leipzig nach Dresden im Keime ersticke», sie waren unfähig, sich auf die Höhe der volkswirthschaftlichen Gedanken List's zu erhebeu. Sie waren eben — Kaufleute und betrachteten ihr Unternehmen einzig und allein vom ge¬ schäftlichen Standpunkte der Verkehrserleichterung aus; die Verkehrsvermehrung und die Hebung der volkswirthschaftlichen Kraft drang nicht in ihren Sinn, und wie viel sie auch von List im Konnte gelernt hatten, die höheren Gesichts¬ punkte seiner nationalen Volkswirthschaft gingen ihnen nicht auf. Daher die kleinliche, spießbürgerliche Besorgniß um das Unternehmen, daher die unheimliche Furcht vor den großen Gedanken List's, die sich der Leipziger Größen bemäch¬ tigte, je mehr man der Ausführung des Planes sich näherte. Dieser Umstand und sodann eine unleugbare Dosis von jenem Neid, der es den Menschen un¬ erträglich macht, von Anderen um Hauptesläuge überragt zu werden, mögen die Motive des Ausschusses gewesen sein, List bei Seite zu setzen; treuloser Undank kann es nicht gewesen sein — es ist ja ganz undenkbar. Als später inner- und außerhalb Leipzig's gegen das Konnte und den Aus¬ schuß mit Recht die bittersten Vorwürfe wegen ihres Verfahrens erhoben wurden, machte das Direktorium (in der Jubelschrift beim 25jährigen Bestehen der Bahn) einen schwachen Versuch, sich zu vertheidigen. Es hob hervor, daß es nicht in der Hand des Vorbereitungskomites gelegen habe, die Direktoren zu wählen; in den Ausschuß sei List ja gewählt worden, aber von diesem nicht in das Direktorium. Das heißt so viel, als daß die Männer, die mit List gearbeitet hatten, an seinem tragischen Geschick völlig unschuldig gewesen seien, und so erzählt, gewinnt auch die Sache den Anschein der Biederkeit. Dabei ist aber verschwiegen, daß der Ausschuß etwa zur Hälfte aus Kvmitemitgliedern bestand, und der Leser erfährt nicht, daß gerade diese Personen, die sich lange mit der Sache beschäftigt hatten, den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/108
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/108>, abgerufen am 01.09.2024.