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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Langenmantel stand sprachlos vor Staunen über solche Frechheit. Die
Augsburger Behörden kamen ja nicht selten in die Lage, von den Dienern und
Beamten auswärtiger Potentaten Impertinenzen geduldig hinnehmen zu müssen.
.Aber eine derartige Aufführung an dieser Stelle war noch nicht dagewesen.
Daß ihm, dein Jakob Wilhelm Benedikt Langenmantel von Westheim, dem
Sprossen eines der ältesten Geschlechter der Stadt, im Rathhause selbst, an der
Stätte, wo seine Ahnen seit über einem halben Jahrtausend regiert hatten, in
solcher Weise von einem hergelaufenen Italiener, von einem Menschen, der in
der Schäfflerherberge logirte, mitgespielt wurde, war unerhört, umsomehr als
man ja von Alters her gerade in den Reichsstädten am meisten gewohnt war,
im öffentlichen Leben sich nur in abgemessenen, von höflichen Wendungen über¬
fließenden Formen zu bewegen. Doch faßte er sich alsbald wieder und rief
zornig der Wache zu, den Unverschämter festzuhalten und in die Gerichtsstube
zu führen.

Sobald Callabria merkte, daß Gewalt angewendet werden sollte, fügte er
sich wenigstens so weit, daß er gutwillig, wenn auch mit sichtlichem Trotz, zurück
und in die Stube ging, wo ihn der Bürgermeister erwartete. Kaum hatte dieser
jedoch angefangen, ihn wegen feiner Impertinenz zur Rede zu stellen, als
Callabria in eine Fluth von Vorwürfen und Schmähreden ausbrach und dem
Bürgermeister drohend auf den Leib rückte. Entrüstet forderte ihn Langen¬
mantel auf, sich bescheidener zu benehmen, widrigenfalls werde er ihm den Degen
abnehmen lasten. Da rief Callabria: "Den möchte ich sehen, der mir an den
Leib kommt", und drang mit geschwungenem Stocke auf seinen Inquisitor ein,
der seinerseits erschrocken retirirte und nach der Wache rief.

Hierauf traten einige Stadtgardisten ein. Callabria schlug den ersten mit
dem Stocke nieder, riß den zweiten bei den Haaren zu Boden, zog dann den
Degen und hieb und stach blindlings nach allen Seiten. Alles wich zurück,
es entstand ein entsetzlicher Tumult, die Rathsherren eilten aus ihrem Sitzungs¬
saale herüber, man schickte hinunter ans die Wache, um Verstärkung zu holen.
Unterdessen hatte ein Amtsdiener den richtigen Augenblick ersehen und den ge¬
fährlichen Fremden von hinten gepackt. Beide fielen zu Boden; und so gelang
es endlich mit vieler Mühe, den Wüthenden zu entwaffnen. Er wurde sofort
in Gewahrsam gebracht.

Man kann die Aufregung sich ausmalen, in die alle Betheiligten gerathen
waren, wie man ängstlich fragte und antwortete, wie die Rathsherren hin und
herliefen und bedenklich ihr weises Haupt schüttelten. Ein Auftritt, wie der
geschilderte, war nicht erlebt worden, so lange das Augsburger Rathhaus stand,
und es waren doch manche wilde Zeiten darüber hingegangen. Jedermann
empfand, daß der ganzen Stadt ein Schimpf angethan worden sei. Und doch


Langenmantel stand sprachlos vor Staunen über solche Frechheit. Die
Augsburger Behörden kamen ja nicht selten in die Lage, von den Dienern und
Beamten auswärtiger Potentaten Impertinenzen geduldig hinnehmen zu müssen.
.Aber eine derartige Aufführung an dieser Stelle war noch nicht dagewesen.
Daß ihm, dein Jakob Wilhelm Benedikt Langenmantel von Westheim, dem
Sprossen eines der ältesten Geschlechter der Stadt, im Rathhause selbst, an der
Stätte, wo seine Ahnen seit über einem halben Jahrtausend regiert hatten, in
solcher Weise von einem hergelaufenen Italiener, von einem Menschen, der in
der Schäfflerherberge logirte, mitgespielt wurde, war unerhört, umsomehr als
man ja von Alters her gerade in den Reichsstädten am meisten gewohnt war,
im öffentlichen Leben sich nur in abgemessenen, von höflichen Wendungen über¬
fließenden Formen zu bewegen. Doch faßte er sich alsbald wieder und rief
zornig der Wache zu, den Unverschämter festzuhalten und in die Gerichtsstube
zu führen.

Sobald Callabria merkte, daß Gewalt angewendet werden sollte, fügte er
sich wenigstens so weit, daß er gutwillig, wenn auch mit sichtlichem Trotz, zurück
und in die Stube ging, wo ihn der Bürgermeister erwartete. Kaum hatte dieser
jedoch angefangen, ihn wegen feiner Impertinenz zur Rede zu stellen, als
Callabria in eine Fluth von Vorwürfen und Schmähreden ausbrach und dem
Bürgermeister drohend auf den Leib rückte. Entrüstet forderte ihn Langen¬
mantel auf, sich bescheidener zu benehmen, widrigenfalls werde er ihm den Degen
abnehmen lasten. Da rief Callabria: „Den möchte ich sehen, der mir an den
Leib kommt", und drang mit geschwungenem Stocke auf seinen Inquisitor ein,
der seinerseits erschrocken retirirte und nach der Wache rief.

Hierauf traten einige Stadtgardisten ein. Callabria schlug den ersten mit
dem Stocke nieder, riß den zweiten bei den Haaren zu Boden, zog dann den
Degen und hieb und stach blindlings nach allen Seiten. Alles wich zurück,
es entstand ein entsetzlicher Tumult, die Rathsherren eilten aus ihrem Sitzungs¬
saale herüber, man schickte hinunter ans die Wache, um Verstärkung zu holen.
Unterdessen hatte ein Amtsdiener den richtigen Augenblick ersehen und den ge¬
fährlichen Fremden von hinten gepackt. Beide fielen zu Boden; und so gelang
es endlich mit vieler Mühe, den Wüthenden zu entwaffnen. Er wurde sofort
in Gewahrsam gebracht.

Man kann die Aufregung sich ausmalen, in die alle Betheiligten gerathen
waren, wie man ängstlich fragte und antwortete, wie die Rathsherren hin und
herliefen und bedenklich ihr weises Haupt schüttelten. Ein Auftritt, wie der
geschilderte, war nicht erlebt worden, so lange das Augsburger Rathhaus stand,
und es waren doch manche wilde Zeiten darüber hingegangen. Jedermann
empfand, daß der ganzen Stadt ein Schimpf angethan worden sei. Und doch


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[0518] Langenmantel stand sprachlos vor Staunen über solche Frechheit. Die Augsburger Behörden kamen ja nicht selten in die Lage, von den Dienern und Beamten auswärtiger Potentaten Impertinenzen geduldig hinnehmen zu müssen. .Aber eine derartige Aufführung an dieser Stelle war noch nicht dagewesen. Daß ihm, dein Jakob Wilhelm Benedikt Langenmantel von Westheim, dem Sprossen eines der ältesten Geschlechter der Stadt, im Rathhause selbst, an der Stätte, wo seine Ahnen seit über einem halben Jahrtausend regiert hatten, in solcher Weise von einem hergelaufenen Italiener, von einem Menschen, der in der Schäfflerherberge logirte, mitgespielt wurde, war unerhört, umsomehr als man ja von Alters her gerade in den Reichsstädten am meisten gewohnt war, im öffentlichen Leben sich nur in abgemessenen, von höflichen Wendungen über¬ fließenden Formen zu bewegen. Doch faßte er sich alsbald wieder und rief zornig der Wache zu, den Unverschämter festzuhalten und in die Gerichtsstube zu führen. Sobald Callabria merkte, daß Gewalt angewendet werden sollte, fügte er sich wenigstens so weit, daß er gutwillig, wenn auch mit sichtlichem Trotz, zurück und in die Stube ging, wo ihn der Bürgermeister erwartete. Kaum hatte dieser jedoch angefangen, ihn wegen feiner Impertinenz zur Rede zu stellen, als Callabria in eine Fluth von Vorwürfen und Schmähreden ausbrach und dem Bürgermeister drohend auf den Leib rückte. Entrüstet forderte ihn Langen¬ mantel auf, sich bescheidener zu benehmen, widrigenfalls werde er ihm den Degen abnehmen lasten. Da rief Callabria: „Den möchte ich sehen, der mir an den Leib kommt", und drang mit geschwungenem Stocke auf seinen Inquisitor ein, der seinerseits erschrocken retirirte und nach der Wache rief. Hierauf traten einige Stadtgardisten ein. Callabria schlug den ersten mit dem Stocke nieder, riß den zweiten bei den Haaren zu Boden, zog dann den Degen und hieb und stach blindlings nach allen Seiten. Alles wich zurück, es entstand ein entsetzlicher Tumult, die Rathsherren eilten aus ihrem Sitzungs¬ saale herüber, man schickte hinunter ans die Wache, um Verstärkung zu holen. Unterdessen hatte ein Amtsdiener den richtigen Augenblick ersehen und den ge¬ fährlichen Fremden von hinten gepackt. Beide fielen zu Boden; und so gelang es endlich mit vieler Mühe, den Wüthenden zu entwaffnen. Er wurde sofort in Gewahrsam gebracht. Man kann die Aufregung sich ausmalen, in die alle Betheiligten gerathen waren, wie man ängstlich fragte und antwortete, wie die Rathsherren hin und herliefen und bedenklich ihr weises Haupt schüttelten. Ein Auftritt, wie der geschilderte, war nicht erlebt worden, so lange das Augsburger Rathhaus stand, und es waren doch manche wilde Zeiten darüber hingegangen. Jedermann empfand, daß der ganzen Stadt ein Schimpf angethan worden sei. Und doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/518>, abgerufen am 28.12.2024.