Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

verurtheilt sind. Nun befanden sich am Schlüsse des Jahres 1876 in den
Preußischen Strafanstalten 14558 männliche und 2454 weibliche Zuchthaus-
gefangene; von diesen waren verurtheilt auf Lebenszeit 615 Männer und 193
Weiber, über 10 Jahre 1206 Männer, 78 Weiber; diese 2092 Köpfe würden
bei der Deportation zunächst in Frage kommen. Wenn die übrigen Staaten
des deutschen Reiches sich dabei betheiligen wollten -- obgleich aus der Justiz¬
hoheit der Einzelstaaten sich nicht unerhebliche Schwierigkeiten ergeben würden --,
so würde die Gesammtziffer der zu Deportirenden sich auf etwa 3000 erhöhen,
und wenn man die Weiber, Kranken, Gebrechlichen, geistig zweifelhaften und
die Greise abzöge, so würden etwa 2500 übrig bleiben, gegenüber den 25000
Zuchthausgefangenen in Deutschland ein ziemlich verschwindender Bruchtheil.

Es fragt sich weiter: Wie sollen dieselben in den Strafkolonien unterge¬
bracht werden? Will man sie nicht einfach an's Land setzen und laufen lassen,
so wird man Gebäude zu ihrer Unterbringung herstellen müssen, und zwar
solche, welche das Entlaufen verhindern, also -- eine neue Strafanstalt. Die
Kosten einer solchen würden sich aber, da ein großer Theil der Materialien
von hier aus hingeschafft werden müßte, selbst wenn die eigentliche Arbeit von
den Sträflingen besorgt werden könnte, mindestens eben so hoch belaufen, wie
in der Heimat. König Oskar I., der Reformator des schwedischen Gefängni߬
wesens, bemerkt in seinem epochemachenden Buche: Ohs xsinss se usf xrisons
sehr richtig: "Wenn eine neue Strafanstalt gebant werden soll, so wäre es
einfacher, sie auf Längholmen*) zu bauen, als in einer überseeischen Kolonie,
es ist das billiger, und man spart die Kosten des Transportes."

Angenommen nun, die Strafanstalt wäre auf einem überseeischen Terri¬
torium, etwa am Congo, gebaut, so gehören zur Leitung und Beaufsichtigung
derselben Beamte, und zwar wie die englischen und französischen Erfahrungen
zeigen, lieber zu viel als zu wenig. Glaubt man nun, daß für 1200 Mark
Gehalt ein Aufseher, für 2700 Mark ein Inspektor, für 4000 Mark ein Direktor
nach dem Congo gehen wird? Die Engländer Pflegen in den Kolonieen ihren
Beamten das doppelte und dreifache von dem zu zahlen, was sie in England
bekommen. Zur Sicherung der Strafkolonie bedarf es ferner einer Militär¬
macht ; da dieselbe die Gefangenen bewachen und zugleich die ganze Niederlas¬
sung gegen die umwohnenden wilden Völkerschaften schützen soll, so würde sie
kaum unter 500 Mann zu bemessen sein. Bei unseren militärischen Einrichtungen
ginge es kaum an, ein Bataillon irgend eines Regiments in Garnison nach
dem Congo zu verlegen, sondern man würde eine Truppe werben müssen.
Nun kosten der englischen Regierung die europäischen Truppen für den Kopf



*) Eine Insel im Mälar-See bei Stockholm,

verurtheilt sind. Nun befanden sich am Schlüsse des Jahres 1876 in den
Preußischen Strafanstalten 14558 männliche und 2454 weibliche Zuchthaus-
gefangene; von diesen waren verurtheilt auf Lebenszeit 615 Männer und 193
Weiber, über 10 Jahre 1206 Männer, 78 Weiber; diese 2092 Köpfe würden
bei der Deportation zunächst in Frage kommen. Wenn die übrigen Staaten
des deutschen Reiches sich dabei betheiligen wollten — obgleich aus der Justiz¬
hoheit der Einzelstaaten sich nicht unerhebliche Schwierigkeiten ergeben würden —,
so würde die Gesammtziffer der zu Deportirenden sich auf etwa 3000 erhöhen,
und wenn man die Weiber, Kranken, Gebrechlichen, geistig zweifelhaften und
die Greise abzöge, so würden etwa 2500 übrig bleiben, gegenüber den 25000
Zuchthausgefangenen in Deutschland ein ziemlich verschwindender Bruchtheil.

Es fragt sich weiter: Wie sollen dieselben in den Strafkolonien unterge¬
bracht werden? Will man sie nicht einfach an's Land setzen und laufen lassen,
so wird man Gebäude zu ihrer Unterbringung herstellen müssen, und zwar
solche, welche das Entlaufen verhindern, also — eine neue Strafanstalt. Die
Kosten einer solchen würden sich aber, da ein großer Theil der Materialien
von hier aus hingeschafft werden müßte, selbst wenn die eigentliche Arbeit von
den Sträflingen besorgt werden könnte, mindestens eben so hoch belaufen, wie
in der Heimat. König Oskar I., der Reformator des schwedischen Gefängni߬
wesens, bemerkt in seinem epochemachenden Buche: Ohs xsinss se usf xrisons
sehr richtig: „Wenn eine neue Strafanstalt gebant werden soll, so wäre es
einfacher, sie auf Längholmen*) zu bauen, als in einer überseeischen Kolonie,
es ist das billiger, und man spart die Kosten des Transportes."

Angenommen nun, die Strafanstalt wäre auf einem überseeischen Terri¬
torium, etwa am Congo, gebaut, so gehören zur Leitung und Beaufsichtigung
derselben Beamte, und zwar wie die englischen und französischen Erfahrungen
zeigen, lieber zu viel als zu wenig. Glaubt man nun, daß für 1200 Mark
Gehalt ein Aufseher, für 2700 Mark ein Inspektor, für 4000 Mark ein Direktor
nach dem Congo gehen wird? Die Engländer Pflegen in den Kolonieen ihren
Beamten das doppelte und dreifache von dem zu zahlen, was sie in England
bekommen. Zur Sicherung der Strafkolonie bedarf es ferner einer Militär¬
macht ; da dieselbe die Gefangenen bewachen und zugleich die ganze Niederlas¬
sung gegen die umwohnenden wilden Völkerschaften schützen soll, so würde sie
kaum unter 500 Mann zu bemessen sein. Bei unseren militärischen Einrichtungen
ginge es kaum an, ein Bataillon irgend eines Regiments in Garnison nach
dem Congo zu verlegen, sondern man würde eine Truppe werben müssen.
Nun kosten der englischen Regierung die europäischen Truppen für den Kopf



*) Eine Insel im Mälar-See bei Stockholm,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0507" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142462"/>
          <p xml:id="ID_1531" prev="#ID_1530"> verurtheilt sind. Nun befanden sich am Schlüsse des Jahres 1876 in den<lb/>
Preußischen Strafanstalten 14558 männliche und 2454 weibliche Zuchthaus-<lb/>
gefangene; von diesen waren verurtheilt auf Lebenszeit 615 Männer und 193<lb/>
Weiber, über 10 Jahre 1206 Männer, 78 Weiber; diese 2092 Köpfe würden<lb/>
bei der Deportation zunächst in Frage kommen. Wenn die übrigen Staaten<lb/>
des deutschen Reiches sich dabei betheiligen wollten &#x2014; obgleich aus der Justiz¬<lb/>
hoheit der Einzelstaaten sich nicht unerhebliche Schwierigkeiten ergeben würden &#x2014;,<lb/>
so würde die Gesammtziffer der zu Deportirenden sich auf etwa 3000 erhöhen,<lb/>
und wenn man die Weiber, Kranken, Gebrechlichen, geistig zweifelhaften und<lb/>
die Greise abzöge, so würden etwa 2500 übrig bleiben, gegenüber den 25000<lb/>
Zuchthausgefangenen in Deutschland ein ziemlich verschwindender Bruchtheil.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1532"> Es fragt sich weiter: Wie sollen dieselben in den Strafkolonien unterge¬<lb/>
bracht werden? Will man sie nicht einfach an's Land setzen und laufen lassen,<lb/>
so wird man Gebäude zu ihrer Unterbringung herstellen müssen, und zwar<lb/>
solche, welche das Entlaufen verhindern, also &#x2014; eine neue Strafanstalt. Die<lb/>
Kosten einer solchen würden sich aber, da ein großer Theil der Materialien<lb/>
von hier aus hingeschafft werden müßte, selbst wenn die eigentliche Arbeit von<lb/>
den Sträflingen besorgt werden könnte, mindestens eben so hoch belaufen, wie<lb/>
in der Heimat. König Oskar I., der Reformator des schwedischen Gefängni߬<lb/>
wesens, bemerkt in seinem epochemachenden Buche: Ohs xsinss se usf xrisons<lb/>
sehr richtig: &#x201E;Wenn eine neue Strafanstalt gebant werden soll, so wäre es<lb/>
einfacher, sie auf Längholmen*) zu bauen, als in einer überseeischen Kolonie,<lb/>
es ist das billiger, und man spart die Kosten des Transportes."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1533" next="#ID_1534"> Angenommen nun, die Strafanstalt wäre auf einem überseeischen Terri¬<lb/>
torium, etwa am Congo, gebaut, so gehören zur Leitung und Beaufsichtigung<lb/>
derselben Beamte, und zwar wie die englischen und französischen Erfahrungen<lb/>
zeigen, lieber zu viel als zu wenig. Glaubt man nun, daß für 1200 Mark<lb/>
Gehalt ein Aufseher, für 2700 Mark ein Inspektor, für 4000 Mark ein Direktor<lb/>
nach dem Congo gehen wird? Die Engländer Pflegen in den Kolonieen ihren<lb/>
Beamten das doppelte und dreifache von dem zu zahlen, was sie in England<lb/>
bekommen. Zur Sicherung der Strafkolonie bedarf es ferner einer Militär¬<lb/>
macht ; da dieselbe die Gefangenen bewachen und zugleich die ganze Niederlas¬<lb/>
sung gegen die umwohnenden wilden Völkerschaften schützen soll, so würde sie<lb/>
kaum unter 500 Mann zu bemessen sein. Bei unseren militärischen Einrichtungen<lb/>
ginge es kaum an, ein Bataillon irgend eines Regiments in Garnison nach<lb/>
dem Congo zu verlegen, sondern man würde eine Truppe werben müssen.<lb/>
Nun kosten der englischen Regierung die europäischen Truppen für den Kopf</p><lb/>
          <note xml:id="FID_65" place="foot"> *) Eine Insel im Mälar-See bei Stockholm,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0507] verurtheilt sind. Nun befanden sich am Schlüsse des Jahres 1876 in den Preußischen Strafanstalten 14558 männliche und 2454 weibliche Zuchthaus- gefangene; von diesen waren verurtheilt auf Lebenszeit 615 Männer und 193 Weiber, über 10 Jahre 1206 Männer, 78 Weiber; diese 2092 Köpfe würden bei der Deportation zunächst in Frage kommen. Wenn die übrigen Staaten des deutschen Reiches sich dabei betheiligen wollten — obgleich aus der Justiz¬ hoheit der Einzelstaaten sich nicht unerhebliche Schwierigkeiten ergeben würden —, so würde die Gesammtziffer der zu Deportirenden sich auf etwa 3000 erhöhen, und wenn man die Weiber, Kranken, Gebrechlichen, geistig zweifelhaften und die Greise abzöge, so würden etwa 2500 übrig bleiben, gegenüber den 25000 Zuchthausgefangenen in Deutschland ein ziemlich verschwindender Bruchtheil. Es fragt sich weiter: Wie sollen dieselben in den Strafkolonien unterge¬ bracht werden? Will man sie nicht einfach an's Land setzen und laufen lassen, so wird man Gebäude zu ihrer Unterbringung herstellen müssen, und zwar solche, welche das Entlaufen verhindern, also — eine neue Strafanstalt. Die Kosten einer solchen würden sich aber, da ein großer Theil der Materialien von hier aus hingeschafft werden müßte, selbst wenn die eigentliche Arbeit von den Sträflingen besorgt werden könnte, mindestens eben so hoch belaufen, wie in der Heimat. König Oskar I., der Reformator des schwedischen Gefängni߬ wesens, bemerkt in seinem epochemachenden Buche: Ohs xsinss se usf xrisons sehr richtig: „Wenn eine neue Strafanstalt gebant werden soll, so wäre es einfacher, sie auf Längholmen*) zu bauen, als in einer überseeischen Kolonie, es ist das billiger, und man spart die Kosten des Transportes." Angenommen nun, die Strafanstalt wäre auf einem überseeischen Terri¬ torium, etwa am Congo, gebaut, so gehören zur Leitung und Beaufsichtigung derselben Beamte, und zwar wie die englischen und französischen Erfahrungen zeigen, lieber zu viel als zu wenig. Glaubt man nun, daß für 1200 Mark Gehalt ein Aufseher, für 2700 Mark ein Inspektor, für 4000 Mark ein Direktor nach dem Congo gehen wird? Die Engländer Pflegen in den Kolonieen ihren Beamten das doppelte und dreifache von dem zu zahlen, was sie in England bekommen. Zur Sicherung der Strafkolonie bedarf es ferner einer Militär¬ macht ; da dieselbe die Gefangenen bewachen und zugleich die ganze Niederlas¬ sung gegen die umwohnenden wilden Völkerschaften schützen soll, so würde sie kaum unter 500 Mann zu bemessen sein. Bei unseren militärischen Einrichtungen ginge es kaum an, ein Bataillon irgend eines Regiments in Garnison nach dem Congo zu verlegen, sondern man würde eine Truppe werben müssen. Nun kosten der englischen Regierung die europäischen Truppen für den Kopf *) Eine Insel im Mälar-See bei Stockholm,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/507
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/507>, abgerufen am 28.12.2024.