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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Neuseeland und Tasmanien mit eingeschlossen. Sowohl die flüchtigen als die
freigelassenen Sträflinge riefen einen solchen Zustand der Unsicherheit hervor,
daß es in der Kolonie Viktoria zu Unruhen kam. Die Regierung von Neu¬
seeland suchte sich gegen die Deportirten durch ein Gesetz zu schützen, des In¬
halts, daß sie jeden zur Deportation verurtheilten, mag seine Strafe verbüßt
sein oder nicht, sowie jeden, der unter der Bedingung der Auswanderung be¬
gnadigt war, wenn er in der Kolonie betroffen wird, mit Zuchthaus bis zu
drei Jahren und Konfiskation seines Vermögens bestraft; außerdem wird er
dahin zurücktrausportirt, woher er gekommen war. Jeder, der einen Deportirten
nach der Kolonie bringt, wird, vorausgesetzt, daß er davon Kenntniß gehabt,
mit 500 Pfd. Sterling Strafe oder 12 Monat Gefängniß bestraft, wenn es ein
Schiffskapitän ist; ist es ein Matrose oder Steward, mit 100 Pfd. Sterling oder
6 Monaten Gefängniß. Und um das Mutterland zur Aufhebung der Depor¬
tation zu bewegen, scheute man sich nicht, offen mit Losreißung zu drohen.

Ueber die Deportation nach Sibirien gab Hr. Kokovtzeff, Bureauchef im
Justizministerium, Aufklärung, die in der absolutesten Verdammung des Depor¬
tationssystems gipfelte. Alle sachverständigen und einflußreichen Stimmen aus
Sibirien, berichtete er, vereinigen sich in dem Rufe: Befreit uns von der Pest
der Deportation. Man stehe in Rußland vor der Frage, ob man die Depor¬
tation nach Sibirien aufheben oder Sibirien zu Grunde richten wolle. Wie
gering die Aussicht sei, aus den Deportirten gute Kolonisten zu gewinnen,
habe folgende Thatsache gezeigt. Man habe mit einem Kostenaufwande von
100000 Rubel für 200 Deportirte kleine Farmer eingerichtet, sie mit sorg¬
fältig ausgewählten Leuten besetzt, und nach Ablauf eines Jahres seien noch
40 vorhanden gewesen, die übrigen seien entlaufen. Durch die Deportation
nach Sibirien wird nicht nur die Sicherheit dieses Landes auf's äußerste ge¬
fährdet, sondern zu Tausenden kehren die Verbrecher nach Rußland zurück.
Gefährlicher als sie hintransportirt worden sind, machen sie das Land unsicher;
unschädlich werden sie erst, wenn man sie in den ordentlichen Strafanstalten
unterbringt. Um dieser Kalamität zu begegnen, hat man einen Versuch
gemacht, die Verbrecher uach der Insel Sachalin zu deportiren; man hat
aber auch dies aufgeben müssen, weil die Transportkosten für den Kopf sich
auf 1000 Rubel beliefen. Uebrigens ist auch die Deportation nach Sibirien
mit so enormen Kosten verbunden, daß man dafür längst hätte eine Reform
des Gefüngnißwesens bestreiten können. Für Rußland ist die Beseitigung der
Deportation eine absolute Nothwendigkeit und der Anfang zu allen Gefängni߬
reformen.*)



Mit dem angeführten stimmt eine Korrespondenz der "Kölnischen Zeitung" aus
Moskau von Anfang Juni vollständig überein.
Grenzboten II. 1879. 64

Neuseeland und Tasmanien mit eingeschlossen. Sowohl die flüchtigen als die
freigelassenen Sträflinge riefen einen solchen Zustand der Unsicherheit hervor,
daß es in der Kolonie Viktoria zu Unruhen kam. Die Regierung von Neu¬
seeland suchte sich gegen die Deportirten durch ein Gesetz zu schützen, des In¬
halts, daß sie jeden zur Deportation verurtheilten, mag seine Strafe verbüßt
sein oder nicht, sowie jeden, der unter der Bedingung der Auswanderung be¬
gnadigt war, wenn er in der Kolonie betroffen wird, mit Zuchthaus bis zu
drei Jahren und Konfiskation seines Vermögens bestraft; außerdem wird er
dahin zurücktrausportirt, woher er gekommen war. Jeder, der einen Deportirten
nach der Kolonie bringt, wird, vorausgesetzt, daß er davon Kenntniß gehabt,
mit 500 Pfd. Sterling Strafe oder 12 Monat Gefängniß bestraft, wenn es ein
Schiffskapitän ist; ist es ein Matrose oder Steward, mit 100 Pfd. Sterling oder
6 Monaten Gefängniß. Und um das Mutterland zur Aufhebung der Depor¬
tation zu bewegen, scheute man sich nicht, offen mit Losreißung zu drohen.

Ueber die Deportation nach Sibirien gab Hr. Kokovtzeff, Bureauchef im
Justizministerium, Aufklärung, die in der absolutesten Verdammung des Depor¬
tationssystems gipfelte. Alle sachverständigen und einflußreichen Stimmen aus
Sibirien, berichtete er, vereinigen sich in dem Rufe: Befreit uns von der Pest
der Deportation. Man stehe in Rußland vor der Frage, ob man die Depor¬
tation nach Sibirien aufheben oder Sibirien zu Grunde richten wolle. Wie
gering die Aussicht sei, aus den Deportirten gute Kolonisten zu gewinnen,
habe folgende Thatsache gezeigt. Man habe mit einem Kostenaufwande von
100000 Rubel für 200 Deportirte kleine Farmer eingerichtet, sie mit sorg¬
fältig ausgewählten Leuten besetzt, und nach Ablauf eines Jahres seien noch
40 vorhanden gewesen, die übrigen seien entlaufen. Durch die Deportation
nach Sibirien wird nicht nur die Sicherheit dieses Landes auf's äußerste ge¬
fährdet, sondern zu Tausenden kehren die Verbrecher nach Rußland zurück.
Gefährlicher als sie hintransportirt worden sind, machen sie das Land unsicher;
unschädlich werden sie erst, wenn man sie in den ordentlichen Strafanstalten
unterbringt. Um dieser Kalamität zu begegnen, hat man einen Versuch
gemacht, die Verbrecher uach der Insel Sachalin zu deportiren; man hat
aber auch dies aufgeben müssen, weil die Transportkosten für den Kopf sich
auf 1000 Rubel beliefen. Uebrigens ist auch die Deportation nach Sibirien
mit so enormen Kosten verbunden, daß man dafür längst hätte eine Reform
des Gefüngnißwesens bestreiten können. Für Rußland ist die Beseitigung der
Deportation eine absolute Nothwendigkeit und der Anfang zu allen Gefängni߬
reformen.*)



Mit dem angeführten stimmt eine Korrespondenz der „Kölnischen Zeitung" aus
Moskau von Anfang Juni vollständig überein.
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[0505] Neuseeland und Tasmanien mit eingeschlossen. Sowohl die flüchtigen als die freigelassenen Sträflinge riefen einen solchen Zustand der Unsicherheit hervor, daß es in der Kolonie Viktoria zu Unruhen kam. Die Regierung von Neu¬ seeland suchte sich gegen die Deportirten durch ein Gesetz zu schützen, des In¬ halts, daß sie jeden zur Deportation verurtheilten, mag seine Strafe verbüßt sein oder nicht, sowie jeden, der unter der Bedingung der Auswanderung be¬ gnadigt war, wenn er in der Kolonie betroffen wird, mit Zuchthaus bis zu drei Jahren und Konfiskation seines Vermögens bestraft; außerdem wird er dahin zurücktrausportirt, woher er gekommen war. Jeder, der einen Deportirten nach der Kolonie bringt, wird, vorausgesetzt, daß er davon Kenntniß gehabt, mit 500 Pfd. Sterling Strafe oder 12 Monat Gefängniß bestraft, wenn es ein Schiffskapitän ist; ist es ein Matrose oder Steward, mit 100 Pfd. Sterling oder 6 Monaten Gefängniß. Und um das Mutterland zur Aufhebung der Depor¬ tation zu bewegen, scheute man sich nicht, offen mit Losreißung zu drohen. Ueber die Deportation nach Sibirien gab Hr. Kokovtzeff, Bureauchef im Justizministerium, Aufklärung, die in der absolutesten Verdammung des Depor¬ tationssystems gipfelte. Alle sachverständigen und einflußreichen Stimmen aus Sibirien, berichtete er, vereinigen sich in dem Rufe: Befreit uns von der Pest der Deportation. Man stehe in Rußland vor der Frage, ob man die Depor¬ tation nach Sibirien aufheben oder Sibirien zu Grunde richten wolle. Wie gering die Aussicht sei, aus den Deportirten gute Kolonisten zu gewinnen, habe folgende Thatsache gezeigt. Man habe mit einem Kostenaufwande von 100000 Rubel für 200 Deportirte kleine Farmer eingerichtet, sie mit sorg¬ fältig ausgewählten Leuten besetzt, und nach Ablauf eines Jahres seien noch 40 vorhanden gewesen, die übrigen seien entlaufen. Durch die Deportation nach Sibirien wird nicht nur die Sicherheit dieses Landes auf's äußerste ge¬ fährdet, sondern zu Tausenden kehren die Verbrecher nach Rußland zurück. Gefährlicher als sie hintransportirt worden sind, machen sie das Land unsicher; unschädlich werden sie erst, wenn man sie in den ordentlichen Strafanstalten unterbringt. Um dieser Kalamität zu begegnen, hat man einen Versuch gemacht, die Verbrecher uach der Insel Sachalin zu deportiren; man hat aber auch dies aufgeben müssen, weil die Transportkosten für den Kopf sich auf 1000 Rubel beliefen. Uebrigens ist auch die Deportation nach Sibirien mit so enormen Kosten verbunden, daß man dafür längst hätte eine Reform des Gefüngnißwesens bestreiten können. Für Rußland ist die Beseitigung der Deportation eine absolute Nothwendigkeit und der Anfang zu allen Gefängni߬ reformen.*) Mit dem angeführten stimmt eine Korrespondenz der „Kölnischen Zeitung" aus Moskau von Anfang Juni vollständig überein. Grenzboten II. 1879. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/505>, abgerufen am 28.12.2024.