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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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setzen mag: Anders betrachtet der Missionär die Kolonialfrage, anders der
Reichskanzler. Der sehr spezifische Standpunkt des Verfassers wird auch ge¬
kennzeichnet durch seine Exkurse über den Kulturkampf, über christliche Sozial¬
politik, staatliche Schulaufsicht, Mission und dergl. Aber so gewiß auch jeder,
der in der Politik nur Laie ist, bei dieser so überaus wichtigen Frage mit
seinem Urtheil sich bescheiden muß, so drängen doch auch ihm sich manche
Momente auf, welche gegenüber dem ungestümen Verlangen Fabri's nach Kolo¬
nien zur Vorsicht mahnen.

Auf das Beispiel der Spanier und Portugiesen als Lockmittel hat Fabri
selbst verzichtet, doch ist das geradezu Abschreckende, was in diesen Beispielen
liegt, durch die landläufige Phrase vom Ungeschick der Romanen zum Koloni¬
sten noch lange nicht beseitigt. Frankreich mit Algier ist ihm zwar nur ein
halbes Argument; aber man sollte meinen, daß, wenn einmal eine gründliche
Bilanz über diese Kolonie aufgestellt würde, schon das finanzielle Debet das
Kredit mindestens um ein paar Milliarden Francs überwiegen würde, daß aber
der physische und moralische Schaden, den diese Kolonie allein der französischen
Armee gebracht hat, weder in Ziffern noch in Gelde, sondern nur in den Kata¬
strophen von 1848 und l870 nachgewiesen werden kann. Den Appetit nach
einer Kolonie kann Algier wahrlich nicht reizen. So bleiben also nur noch
die beiden Paradepferde der Argumentation übrig: Holland und England.
Das erste freilich hinkt auch schon etwas. Da ist der atchinesische Krieg, da
ist das koloniale Defizit, kurz das Geschäft lohnt nicht mehr recht, seitdem --
ja seitdem die Kolonieen nicht mehr systematisch ausgeplündert werden können,
seitdem die Eingeborenen nicht mehr Sklaven der Maatschcippy find, seitdem
der Handel mit indischen Produkten nicht mehr Monopol der Mynheers ist.
Daneben ist auch die Frage nicht abzuweisen, woher die kolossale Staatsschuld
stammt, unter deren Last Holland fast erliegt, woher die unendlichen Kriege,
welche Holland im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte geführt hat, woher die
Unfreiheit seiner europäischen Politik. Und die Antwort lautet: Aus seinen
Kolonieen, von denen ihm schließlich, trotz aller Kämpfe, die beste und ent¬
wickelungsfähigste -- die Kapkolonie -- von einem größeren Räuber abgejagt
worden ist.

So bliebe also wirklich nur noch England. Und wer wollte leugnen, daß
England mit seinen Kolonieen ein kolossales Geschäft gemacht hat, daß sein
Reichthum, seine Machtstellung wesentlich auf seinen kolonialen Besitz sich
gründet? Indessen bekommt die Sache in der neuesten Zeit doch auch ein
anderes Aussehen. In zweien seiner bedeutendsten Kolonieen, in Indien und
°w Kap, zwei Kriege zu gleicher Zeit, deren Kosten sich ungefähr so hoch be¬
laufen werden, wie die Kosten unseres Krieges mit Frankreich. Dazu die


setzen mag: Anders betrachtet der Missionär die Kolonialfrage, anders der
Reichskanzler. Der sehr spezifische Standpunkt des Verfassers wird auch ge¬
kennzeichnet durch seine Exkurse über den Kulturkampf, über christliche Sozial¬
politik, staatliche Schulaufsicht, Mission und dergl. Aber so gewiß auch jeder,
der in der Politik nur Laie ist, bei dieser so überaus wichtigen Frage mit
seinem Urtheil sich bescheiden muß, so drängen doch auch ihm sich manche
Momente auf, welche gegenüber dem ungestümen Verlangen Fabri's nach Kolo¬
nien zur Vorsicht mahnen.

Auf das Beispiel der Spanier und Portugiesen als Lockmittel hat Fabri
selbst verzichtet, doch ist das geradezu Abschreckende, was in diesen Beispielen
liegt, durch die landläufige Phrase vom Ungeschick der Romanen zum Koloni¬
sten noch lange nicht beseitigt. Frankreich mit Algier ist ihm zwar nur ein
halbes Argument; aber man sollte meinen, daß, wenn einmal eine gründliche
Bilanz über diese Kolonie aufgestellt würde, schon das finanzielle Debet das
Kredit mindestens um ein paar Milliarden Francs überwiegen würde, daß aber
der physische und moralische Schaden, den diese Kolonie allein der französischen
Armee gebracht hat, weder in Ziffern noch in Gelde, sondern nur in den Kata¬
strophen von 1848 und l870 nachgewiesen werden kann. Den Appetit nach
einer Kolonie kann Algier wahrlich nicht reizen. So bleiben also nur noch
die beiden Paradepferde der Argumentation übrig: Holland und England.
Das erste freilich hinkt auch schon etwas. Da ist der atchinesische Krieg, da
ist das koloniale Defizit, kurz das Geschäft lohnt nicht mehr recht, seitdem —
ja seitdem die Kolonieen nicht mehr systematisch ausgeplündert werden können,
seitdem die Eingeborenen nicht mehr Sklaven der Maatschcippy find, seitdem
der Handel mit indischen Produkten nicht mehr Monopol der Mynheers ist.
Daneben ist auch die Frage nicht abzuweisen, woher die kolossale Staatsschuld
stammt, unter deren Last Holland fast erliegt, woher die unendlichen Kriege,
welche Holland im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte geführt hat, woher die
Unfreiheit seiner europäischen Politik. Und die Antwort lautet: Aus seinen
Kolonieen, von denen ihm schließlich, trotz aller Kämpfe, die beste und ent¬
wickelungsfähigste — die Kapkolonie — von einem größeren Räuber abgejagt
worden ist.

So bliebe also wirklich nur noch England. Und wer wollte leugnen, daß
England mit seinen Kolonieen ein kolossales Geschäft gemacht hat, daß sein
Reichthum, seine Machtstellung wesentlich auf seinen kolonialen Besitz sich
gründet? Indessen bekommt die Sache in der neuesten Zeit doch auch ein
anderes Aussehen. In zweien seiner bedeutendsten Kolonieen, in Indien und
°w Kap, zwei Kriege zu gleicher Zeit, deren Kosten sich ungefähr so hoch be¬
laufen werden, wie die Kosten unseres Krieges mit Frankreich. Dazu die


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[0499] setzen mag: Anders betrachtet der Missionär die Kolonialfrage, anders der Reichskanzler. Der sehr spezifische Standpunkt des Verfassers wird auch ge¬ kennzeichnet durch seine Exkurse über den Kulturkampf, über christliche Sozial¬ politik, staatliche Schulaufsicht, Mission und dergl. Aber so gewiß auch jeder, der in der Politik nur Laie ist, bei dieser so überaus wichtigen Frage mit seinem Urtheil sich bescheiden muß, so drängen doch auch ihm sich manche Momente auf, welche gegenüber dem ungestümen Verlangen Fabri's nach Kolo¬ nien zur Vorsicht mahnen. Auf das Beispiel der Spanier und Portugiesen als Lockmittel hat Fabri selbst verzichtet, doch ist das geradezu Abschreckende, was in diesen Beispielen liegt, durch die landläufige Phrase vom Ungeschick der Romanen zum Koloni¬ sten noch lange nicht beseitigt. Frankreich mit Algier ist ihm zwar nur ein halbes Argument; aber man sollte meinen, daß, wenn einmal eine gründliche Bilanz über diese Kolonie aufgestellt würde, schon das finanzielle Debet das Kredit mindestens um ein paar Milliarden Francs überwiegen würde, daß aber der physische und moralische Schaden, den diese Kolonie allein der französischen Armee gebracht hat, weder in Ziffern noch in Gelde, sondern nur in den Kata¬ strophen von 1848 und l870 nachgewiesen werden kann. Den Appetit nach einer Kolonie kann Algier wahrlich nicht reizen. So bleiben also nur noch die beiden Paradepferde der Argumentation übrig: Holland und England. Das erste freilich hinkt auch schon etwas. Da ist der atchinesische Krieg, da ist das koloniale Defizit, kurz das Geschäft lohnt nicht mehr recht, seitdem — ja seitdem die Kolonieen nicht mehr systematisch ausgeplündert werden können, seitdem die Eingeborenen nicht mehr Sklaven der Maatschcippy find, seitdem der Handel mit indischen Produkten nicht mehr Monopol der Mynheers ist. Daneben ist auch die Frage nicht abzuweisen, woher die kolossale Staatsschuld stammt, unter deren Last Holland fast erliegt, woher die unendlichen Kriege, welche Holland im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte geführt hat, woher die Unfreiheit seiner europäischen Politik. Und die Antwort lautet: Aus seinen Kolonieen, von denen ihm schließlich, trotz aller Kämpfe, die beste und ent¬ wickelungsfähigste — die Kapkolonie — von einem größeren Räuber abgejagt worden ist. So bliebe also wirklich nur noch England. Und wer wollte leugnen, daß England mit seinen Kolonieen ein kolossales Geschäft gemacht hat, daß sein Reichthum, seine Machtstellung wesentlich auf seinen kolonialen Besitz sich gründet? Indessen bekommt die Sache in der neuesten Zeit doch auch ein anderes Aussehen. In zweien seiner bedeutendsten Kolonieen, in Indien und °w Kap, zwei Kriege zu gleicher Zeit, deren Kosten sich ungefähr so hoch be¬ laufen werden, wie die Kosten unseres Krieges mit Frankreich. Dazu die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/499>, abgerufen am 19.10.2024.