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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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der Steuerlast bedürfen. Es ist also gar keine Rede davon, daß Schutzzölle
ohne Finanzzölle, möchte der Reichstag immerhin so beschließen, zur Einführung
gelangen, weil der Bundesrath einem in dieser Weise einseitig gestalteten Tarif
die Zustimmung nicht geben würde. Wir stehen also vor der Frage, ob durch
die Finanzzölle die ganze Zollreform scheitern wird. Wie vor jeder Entschei¬
dung zwei Sorten von Pessimisten auftreten, die eine Sorte: die deprimirten
Sanguiniker, die andere Sorte: die Schlauköpfe, welche als erste Bedingung
zum Sturz eines Planes die Erschütterung der Zuversicht auf denselben ver¬
suchen, so auch diesmal. Die schwachmüthigem und die Minirer prophezeien
den Fall der Finanzzölle aus folgenden Gründen. Einmal weisen sie auf die
Zurückhaltung des Zentrums, welches um so spröder thut, je mehr die Aus¬
sichten auf einen raschen kirchlichen Frieden zurückzuweichen scheinen. Die
Taktik der Zentrumsführer war immer, die Finanzzölle als offene Frage zu
behandeln, die Bewilligung abhängig zu machen von allen möglichen Garan-
tieen. Von dieser gut gewählten Position aus kann man die Konsequenz
wahren und zugleich eine drohende Miene annehmen. Es gibt in der That
Leute, die vor dieser drohenden Miene sehr erschrecken. Die Pessimisten können
aber auch, auf die neuere Haltung der Nationalliberalen hinweisen. Dieser
Partei, welche nach der entgegengesetzten Haltung ihrer Führer bei der General¬
diskussion des Zolltarifs nicht weiß, wie weit sie morgen ihren Bestand erhalten,
ihr nationales Programm bewahrt und ihren so bedeutenden Anhang in der
Nation noch um sich geschaart sehen wird, fehlt im Augenblick jede Direktion.
Während die National-Zeitung kürzlich zum Erstaunen Vieler erklärte, sich die
föderativem Garantieen des Zentrums sehr genau besehen zu müssen, hatte
dasselbe Blatt nicht lange vorher mit starker Beflissenheit die konstitutionellen
Garantieen unter seine Obhut genommen. Als ob diese beiden Arten von
Garantieen so sehr weit auseinander wären, als ob das Zentrum auf seinem
Preiskourant neben den föderativem nicht von Anfang auch die konstitutionellen
Garantieen geführt hätte!

Die natürliche Rolle der Nationalliberalen wäre allerdings, für die
Finanzzölle mit Entschiedenheit einzutreten unter dem einzigen Vorbehalt, daß
das vom preußischen Finanz minister dem Abgeordnetenhause gegebene Versprechen
erneut wird, eine Gesetzvorlage zu machen, wonach alle den Einzelstaaten aus
der Reichskasse zufließenden Einnahmen in erster Linie zur Beseitigung von
direkten Steuern verwendet werden müssen, jede andere Verwendung aber als
von der besonderen Zustimmung der Landtage abhängige Ausnahme gilt.

Dies wäre die natürliche Rolle der Nationalliberalen, denn das Lebens¬
motiv der Partei ist die Pflege des Reichsgedankens und zwar nach der Seite
der zentralen Institutionen und ihrer Kraft. Denjenigen unter ihren Genossen,


der Steuerlast bedürfen. Es ist also gar keine Rede davon, daß Schutzzölle
ohne Finanzzölle, möchte der Reichstag immerhin so beschließen, zur Einführung
gelangen, weil der Bundesrath einem in dieser Weise einseitig gestalteten Tarif
die Zustimmung nicht geben würde. Wir stehen also vor der Frage, ob durch
die Finanzzölle die ganze Zollreform scheitern wird. Wie vor jeder Entschei¬
dung zwei Sorten von Pessimisten auftreten, die eine Sorte: die deprimirten
Sanguiniker, die andere Sorte: die Schlauköpfe, welche als erste Bedingung
zum Sturz eines Planes die Erschütterung der Zuversicht auf denselben ver¬
suchen, so auch diesmal. Die schwachmüthigem und die Minirer prophezeien
den Fall der Finanzzölle aus folgenden Gründen. Einmal weisen sie auf die
Zurückhaltung des Zentrums, welches um so spröder thut, je mehr die Aus¬
sichten auf einen raschen kirchlichen Frieden zurückzuweichen scheinen. Die
Taktik der Zentrumsführer war immer, die Finanzzölle als offene Frage zu
behandeln, die Bewilligung abhängig zu machen von allen möglichen Garan-
tieen. Von dieser gut gewählten Position aus kann man die Konsequenz
wahren und zugleich eine drohende Miene annehmen. Es gibt in der That
Leute, die vor dieser drohenden Miene sehr erschrecken. Die Pessimisten können
aber auch, auf die neuere Haltung der Nationalliberalen hinweisen. Dieser
Partei, welche nach der entgegengesetzten Haltung ihrer Führer bei der General¬
diskussion des Zolltarifs nicht weiß, wie weit sie morgen ihren Bestand erhalten,
ihr nationales Programm bewahrt und ihren so bedeutenden Anhang in der
Nation noch um sich geschaart sehen wird, fehlt im Augenblick jede Direktion.
Während die National-Zeitung kürzlich zum Erstaunen Vieler erklärte, sich die
föderativem Garantieen des Zentrums sehr genau besehen zu müssen, hatte
dasselbe Blatt nicht lange vorher mit starker Beflissenheit die konstitutionellen
Garantieen unter seine Obhut genommen. Als ob diese beiden Arten von
Garantieen so sehr weit auseinander wären, als ob das Zentrum auf seinem
Preiskourant neben den föderativem nicht von Anfang auch die konstitutionellen
Garantieen geführt hätte!

Die natürliche Rolle der Nationalliberalen wäre allerdings, für die
Finanzzölle mit Entschiedenheit einzutreten unter dem einzigen Vorbehalt, daß
das vom preußischen Finanz minister dem Abgeordnetenhause gegebene Versprechen
erneut wird, eine Gesetzvorlage zu machen, wonach alle den Einzelstaaten aus
der Reichskasse zufließenden Einnahmen in erster Linie zur Beseitigung von
direkten Steuern verwendet werden müssen, jede andere Verwendung aber als
von der besonderen Zustimmung der Landtage abhängige Ausnahme gilt.

Dies wäre die natürliche Rolle der Nationalliberalen, denn das Lebens¬
motiv der Partei ist die Pflege des Reichsgedankens und zwar nach der Seite
der zentralen Institutionen und ihrer Kraft. Denjenigen unter ihren Genossen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/483>, abgerufen am 27.09.2024.