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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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zurückzudrängen gesucht. Weil man für das Staatsleben den Mann brauchte,
die Frau aber nicht brauchen konnte, so wurde damit das natürliche Verhält¬
niß der Geschlechter zerrissen und die naturgemäße Entwickelung der Familie
unterbunden. An dem gewaltigen Schaden der Rivalität zwischen häuslichem
und staatlichem Leben tränkten alle hellenischen Gemeinwesen. Zu seiner Be¬
seitigung gab es nur zwei Wege: Entweder mußte man die Familie als orga¬
nisches Glied im Staate anerkennen oder sie gänzlich in ihm aufgehen lassen.
Dem ersteren Zustande näherten sich -- natürlich vor Aristoteles nur sehr
unvollkommen -- die meisten nichtdorischen Staaten; den letzteren erstrebte man
in Sparta und Kreta, und ihn zeigt Platon's Entwurf in extremster Konse¬
quenz. Aristoteles erst erkannte das Weib als eine seelisch ebenbürtige, aber
in der Familie ihren vollen Wirkungskreis findende Gefährtin des Mannes,
die Familie als eine sittliche und natnrnothwendige Institution an und legte
damit den Grund zu einer naturgemäßen Auffassung der Ehe. Platon glaubte
das Ideal zu erreichen, indem er Mann und Weib als völlig gleichberechtigt
und gleichverpflichtet hinstellte, die Ehe aufhob und die Familie im Staate
aufgehen ließ.

Der Grundsatz, von welchem Platon ausgeht, ist der, daß zwischen beiden
Geschlechtern keine Wesensverschiedenheit, sondern in allen körperlichen und
Geisteskräften nur ein Gradunterschied bestehe. Abgesehen also von den ent¬
gegengesetzten natürlichen Funktionen, welche den beiden Geschlechtern auferlegt
sind, sind die Frauen zu allen Geschäften von Natur ebenso brauchbar und
berechtigt wie die Männer; nur können sie nicht ganz so viel leisten.

Wie man sieht, theilt Platon keineswegs die bei allen Griechen -- am
wenigsten allerdings bei seinem Hauptvorbilde, den Spartanern -- herrschende
Geringschätzung des weiblichen Geschlechts. Er leugnet aufs entschiedenste, daß
die Weiber Wesen untergeordneter Art, an Kräften und Fähigkeit dem Manne
weit nachstehend, der Theilnahme an höheren Interessen und Thätigkeiten un¬
fähig seien, und will sie deshalb zu allen bürgerlichen Geschäften ohne Aus¬
nahme herangezogen wissen. "Es sollen sich," sagt er, "die Frauen unserer
Hüter (des Kriegerstandes) entkleiden, da sie die Tüchtigkeit statt der Gewänder
anziehen werden, und sollen Theil nehmen am Kriege und der übrigen Hut
der Stadt und nichts anderes thun." Wenn er dies ausdrücklich für reali-
sirbar erklärt, so hat er ohne Zweifel wiederum die spartanischen Einrichtungen
vor Augen, welche bis zu einem gewissen Punkte jenem Prinzipe huldigten.
Seit alter Zeit genossen die Frauen in Sparta höhere Achtung und nahmen
eine einflußreichere Stellung ein als im übrigen Hellas. Von ihrer Erziehung
war schon die Rede. Sie wurden aber auch gewöhnt, an öffentlichen Interessen
Antheil zu nehmen und an Patriotismus den Männern nicht nachzustehen.


zurückzudrängen gesucht. Weil man für das Staatsleben den Mann brauchte,
die Frau aber nicht brauchen konnte, so wurde damit das natürliche Verhält¬
niß der Geschlechter zerrissen und die naturgemäße Entwickelung der Familie
unterbunden. An dem gewaltigen Schaden der Rivalität zwischen häuslichem
und staatlichem Leben tränkten alle hellenischen Gemeinwesen. Zu seiner Be¬
seitigung gab es nur zwei Wege: Entweder mußte man die Familie als orga¬
nisches Glied im Staate anerkennen oder sie gänzlich in ihm aufgehen lassen.
Dem ersteren Zustande näherten sich — natürlich vor Aristoteles nur sehr
unvollkommen — die meisten nichtdorischen Staaten; den letzteren erstrebte man
in Sparta und Kreta, und ihn zeigt Platon's Entwurf in extremster Konse¬
quenz. Aristoteles erst erkannte das Weib als eine seelisch ebenbürtige, aber
in der Familie ihren vollen Wirkungskreis findende Gefährtin des Mannes,
die Familie als eine sittliche und natnrnothwendige Institution an und legte
damit den Grund zu einer naturgemäßen Auffassung der Ehe. Platon glaubte
das Ideal zu erreichen, indem er Mann und Weib als völlig gleichberechtigt
und gleichverpflichtet hinstellte, die Ehe aufhob und die Familie im Staate
aufgehen ließ.

Der Grundsatz, von welchem Platon ausgeht, ist der, daß zwischen beiden
Geschlechtern keine Wesensverschiedenheit, sondern in allen körperlichen und
Geisteskräften nur ein Gradunterschied bestehe. Abgesehen also von den ent¬
gegengesetzten natürlichen Funktionen, welche den beiden Geschlechtern auferlegt
sind, sind die Frauen zu allen Geschäften von Natur ebenso brauchbar und
berechtigt wie die Männer; nur können sie nicht ganz so viel leisten.

Wie man sieht, theilt Platon keineswegs die bei allen Griechen — am
wenigsten allerdings bei seinem Hauptvorbilde, den Spartanern — herrschende
Geringschätzung des weiblichen Geschlechts. Er leugnet aufs entschiedenste, daß
die Weiber Wesen untergeordneter Art, an Kräften und Fähigkeit dem Manne
weit nachstehend, der Theilnahme an höheren Interessen und Thätigkeiten un¬
fähig seien, und will sie deshalb zu allen bürgerlichen Geschäften ohne Aus¬
nahme herangezogen wissen. „Es sollen sich," sagt er, „die Frauen unserer
Hüter (des Kriegerstandes) entkleiden, da sie die Tüchtigkeit statt der Gewänder
anziehen werden, und sollen Theil nehmen am Kriege und der übrigen Hut
der Stadt und nichts anderes thun." Wenn er dies ausdrücklich für reali-
sirbar erklärt, so hat er ohne Zweifel wiederum die spartanischen Einrichtungen
vor Augen, welche bis zu einem gewissen Punkte jenem Prinzipe huldigten.
Seit alter Zeit genossen die Frauen in Sparta höhere Achtung und nahmen
eine einflußreichere Stellung ein als im übrigen Hellas. Von ihrer Erziehung
war schon die Rede. Sie wurden aber auch gewöhnt, an öffentlichen Interessen
Antheil zu nehmen und an Patriotismus den Männern nicht nachzustehen.


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[0437] zurückzudrängen gesucht. Weil man für das Staatsleben den Mann brauchte, die Frau aber nicht brauchen konnte, so wurde damit das natürliche Verhält¬ niß der Geschlechter zerrissen und die naturgemäße Entwickelung der Familie unterbunden. An dem gewaltigen Schaden der Rivalität zwischen häuslichem und staatlichem Leben tränkten alle hellenischen Gemeinwesen. Zu seiner Be¬ seitigung gab es nur zwei Wege: Entweder mußte man die Familie als orga¬ nisches Glied im Staate anerkennen oder sie gänzlich in ihm aufgehen lassen. Dem ersteren Zustande näherten sich — natürlich vor Aristoteles nur sehr unvollkommen — die meisten nichtdorischen Staaten; den letzteren erstrebte man in Sparta und Kreta, und ihn zeigt Platon's Entwurf in extremster Konse¬ quenz. Aristoteles erst erkannte das Weib als eine seelisch ebenbürtige, aber in der Familie ihren vollen Wirkungskreis findende Gefährtin des Mannes, die Familie als eine sittliche und natnrnothwendige Institution an und legte damit den Grund zu einer naturgemäßen Auffassung der Ehe. Platon glaubte das Ideal zu erreichen, indem er Mann und Weib als völlig gleichberechtigt und gleichverpflichtet hinstellte, die Ehe aufhob und die Familie im Staate aufgehen ließ. Der Grundsatz, von welchem Platon ausgeht, ist der, daß zwischen beiden Geschlechtern keine Wesensverschiedenheit, sondern in allen körperlichen und Geisteskräften nur ein Gradunterschied bestehe. Abgesehen also von den ent¬ gegengesetzten natürlichen Funktionen, welche den beiden Geschlechtern auferlegt sind, sind die Frauen zu allen Geschäften von Natur ebenso brauchbar und berechtigt wie die Männer; nur können sie nicht ganz so viel leisten. Wie man sieht, theilt Platon keineswegs die bei allen Griechen — am wenigsten allerdings bei seinem Hauptvorbilde, den Spartanern — herrschende Geringschätzung des weiblichen Geschlechts. Er leugnet aufs entschiedenste, daß die Weiber Wesen untergeordneter Art, an Kräften und Fähigkeit dem Manne weit nachstehend, der Theilnahme an höheren Interessen und Thätigkeiten un¬ fähig seien, und will sie deshalb zu allen bürgerlichen Geschäften ohne Aus¬ nahme herangezogen wissen. „Es sollen sich," sagt er, „die Frauen unserer Hüter (des Kriegerstandes) entkleiden, da sie die Tüchtigkeit statt der Gewänder anziehen werden, und sollen Theil nehmen am Kriege und der übrigen Hut der Stadt und nichts anderes thun." Wenn er dies ausdrücklich für reali- sirbar erklärt, so hat er ohne Zweifel wiederum die spartanischen Einrichtungen vor Augen, welche bis zu einem gewissen Punkte jenem Prinzipe huldigten. Seit alter Zeit genossen die Frauen in Sparta höhere Achtung und nahmen eine einflußreichere Stellung ein als im übrigen Hellas. Von ihrer Erziehung war schon die Rede. Sie wurden aber auch gewöhnt, an öffentlichen Interessen Antheil zu nehmen und an Patriotismus den Männern nicht nachzustehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/437>, abgerufen am 27.12.2024.