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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Bildung sehr eng begrenzt, und die Künste, die bei den Joniern so ausgedehnte
Pflege fanden, wurden offiziell fast perhorreszirt. Nur die Musik war wegen
ihres sittigenden Einflusses unter die vorschriftsmäßigen Unterrichtsgegenstände
aufgenommen, wurde aber deshalb auch in ihrer Entwickelung sorgsam beauf¬
sichtigt und verdächtige Neuerungen schroff abgewiesen. Daher konnte die
Wirksamkeit eines Terpander, Thaletas und Tyxtäos in Sparta eine entschieden
offizielle sein und die Ephoren sich für verpflichtet halten, dem Phrynis und
Timotheos die siebente Saite von der Lyra abschneiden zu lassen. In der¬
selben Weise will Platon die Musik wegen ihrer pädagogischen und moralischen
Bedeutung zu einem obligatorischen Unterrichtsgegenstände gemacht und unter
strenge staatliche Aufsicht gestellt wissen, während er mit den Spartanern alle
übrigen Künste gering achtet, was jedoch der allgemeinen hellenischen An¬
schauung keineswegs entsprach. Wenn in Athen das Gesetz den Unterricht in
der Musik und Gymnastik vorschrieb, so ist unter der ersteren bekanntlich Alles,
was damals zur geistigen Ausbildung gehörte, mit begriffen: Lesen, Schreiben,
Rechnen, Grammatik, Literatur und Tonkunst. Aber auch die Tanz-, Dicht-
nnd Schauspielkunst, sowie die bildenden Künste fanden in vielen Staaten
öffentliche Unterstützung, weil man wohl begriff, daß sie alle zur Förderung
der Bildung und zur Erholung und Erhebung der Seele geeignet seien. Dem
gebildeten Hellenen galt die Kunst nicht als ein untergeordneter äußerer Schmuck
des Lebens, noch weniger als ein bedenklicher Luxus, sondern als ein unent¬
behrliches Lebenselement und als nothwendig im Staatsorganismus. Die
Athener, welche so reichlich die Künstler unterstützten und auf die Kunstwerke
ihrer Stadt stolz waren, theilten durchaus nicht den Puritcmismus der Spar¬
taner und des Platon, welcher mit merklicher Geringschätzung von einer Stadt
spricht, die "angefüllt ist mit einer Schaar, welche nicht mehr des Bedürfnisses
wegen da ist, wie sämmtliche Jäger und Schauspieler und die zahlreichen
Bildner und Maler und musischen Künstler, die Dichter und deren Diener,
die Rhapsoden, Vortragenden, Tänzer" u. s. w.

Nicht das Wissen, sondern das Können galt den Alten als erstrebenswerth,
und auch das Können nur in seiner Verwerthbarkeit für die bürgerlichen Auf¬
gaben. Aus diesem Grunde wurden von den Wissenschaften nur die gepflegt,
welche auf den Staatszweck Bezug hatten, von den Künsten nur die geachtet,
welche einen bildenden Werth hatten, und aus demselben Grunde nahm überall
die Gymnastik eine so hohe Stelle ein; denn nur auf der Basis der körper¬
lichen Tüchtigkeit konnten alle andern Bürgertugenden zu voller Geltung kommen.
Daher in Sparta die Ausfüllung des ganzen männlichen Lebens mit gymna¬
stischen und Waffenübungen, in Kreta die strenge körperliche Zucht, welche
Platon "mehr die eines Heerlagers als einer Stadt" nennt, und selbst in Athen


Bildung sehr eng begrenzt, und die Künste, die bei den Joniern so ausgedehnte
Pflege fanden, wurden offiziell fast perhorreszirt. Nur die Musik war wegen
ihres sittigenden Einflusses unter die vorschriftsmäßigen Unterrichtsgegenstände
aufgenommen, wurde aber deshalb auch in ihrer Entwickelung sorgsam beauf¬
sichtigt und verdächtige Neuerungen schroff abgewiesen. Daher konnte die
Wirksamkeit eines Terpander, Thaletas und Tyxtäos in Sparta eine entschieden
offizielle sein und die Ephoren sich für verpflichtet halten, dem Phrynis und
Timotheos die siebente Saite von der Lyra abschneiden zu lassen. In der¬
selben Weise will Platon die Musik wegen ihrer pädagogischen und moralischen
Bedeutung zu einem obligatorischen Unterrichtsgegenstände gemacht und unter
strenge staatliche Aufsicht gestellt wissen, während er mit den Spartanern alle
übrigen Künste gering achtet, was jedoch der allgemeinen hellenischen An¬
schauung keineswegs entsprach. Wenn in Athen das Gesetz den Unterricht in
der Musik und Gymnastik vorschrieb, so ist unter der ersteren bekanntlich Alles,
was damals zur geistigen Ausbildung gehörte, mit begriffen: Lesen, Schreiben,
Rechnen, Grammatik, Literatur und Tonkunst. Aber auch die Tanz-, Dicht-
nnd Schauspielkunst, sowie die bildenden Künste fanden in vielen Staaten
öffentliche Unterstützung, weil man wohl begriff, daß sie alle zur Förderung
der Bildung und zur Erholung und Erhebung der Seele geeignet seien. Dem
gebildeten Hellenen galt die Kunst nicht als ein untergeordneter äußerer Schmuck
des Lebens, noch weniger als ein bedenklicher Luxus, sondern als ein unent¬
behrliches Lebenselement und als nothwendig im Staatsorganismus. Die
Athener, welche so reichlich die Künstler unterstützten und auf die Kunstwerke
ihrer Stadt stolz waren, theilten durchaus nicht den Puritcmismus der Spar¬
taner und des Platon, welcher mit merklicher Geringschätzung von einer Stadt
spricht, die „angefüllt ist mit einer Schaar, welche nicht mehr des Bedürfnisses
wegen da ist, wie sämmtliche Jäger und Schauspieler und die zahlreichen
Bildner und Maler und musischen Künstler, die Dichter und deren Diener,
die Rhapsoden, Vortragenden, Tänzer" u. s. w.

Nicht das Wissen, sondern das Können galt den Alten als erstrebenswerth,
und auch das Können nur in seiner Verwerthbarkeit für die bürgerlichen Auf¬
gaben. Aus diesem Grunde wurden von den Wissenschaften nur die gepflegt,
welche auf den Staatszweck Bezug hatten, von den Künsten nur die geachtet,
welche einen bildenden Werth hatten, und aus demselben Grunde nahm überall
die Gymnastik eine so hohe Stelle ein; denn nur auf der Basis der körper¬
lichen Tüchtigkeit konnten alle andern Bürgertugenden zu voller Geltung kommen.
Daher in Sparta die Ausfüllung des ganzen männlichen Lebens mit gymna¬
stischen und Waffenübungen, in Kreta die strenge körperliche Zucht, welche
Platon „mehr die eines Heerlagers als einer Stadt" nennt, und selbst in Athen


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[0435] Bildung sehr eng begrenzt, und die Künste, die bei den Joniern so ausgedehnte Pflege fanden, wurden offiziell fast perhorreszirt. Nur die Musik war wegen ihres sittigenden Einflusses unter die vorschriftsmäßigen Unterrichtsgegenstände aufgenommen, wurde aber deshalb auch in ihrer Entwickelung sorgsam beauf¬ sichtigt und verdächtige Neuerungen schroff abgewiesen. Daher konnte die Wirksamkeit eines Terpander, Thaletas und Tyxtäos in Sparta eine entschieden offizielle sein und die Ephoren sich für verpflichtet halten, dem Phrynis und Timotheos die siebente Saite von der Lyra abschneiden zu lassen. In der¬ selben Weise will Platon die Musik wegen ihrer pädagogischen und moralischen Bedeutung zu einem obligatorischen Unterrichtsgegenstände gemacht und unter strenge staatliche Aufsicht gestellt wissen, während er mit den Spartanern alle übrigen Künste gering achtet, was jedoch der allgemeinen hellenischen An¬ schauung keineswegs entsprach. Wenn in Athen das Gesetz den Unterricht in der Musik und Gymnastik vorschrieb, so ist unter der ersteren bekanntlich Alles, was damals zur geistigen Ausbildung gehörte, mit begriffen: Lesen, Schreiben, Rechnen, Grammatik, Literatur und Tonkunst. Aber auch die Tanz-, Dicht- nnd Schauspielkunst, sowie die bildenden Künste fanden in vielen Staaten öffentliche Unterstützung, weil man wohl begriff, daß sie alle zur Förderung der Bildung und zur Erholung und Erhebung der Seele geeignet seien. Dem gebildeten Hellenen galt die Kunst nicht als ein untergeordneter äußerer Schmuck des Lebens, noch weniger als ein bedenklicher Luxus, sondern als ein unent¬ behrliches Lebenselement und als nothwendig im Staatsorganismus. Die Athener, welche so reichlich die Künstler unterstützten und auf die Kunstwerke ihrer Stadt stolz waren, theilten durchaus nicht den Puritcmismus der Spar¬ taner und des Platon, welcher mit merklicher Geringschätzung von einer Stadt spricht, die „angefüllt ist mit einer Schaar, welche nicht mehr des Bedürfnisses wegen da ist, wie sämmtliche Jäger und Schauspieler und die zahlreichen Bildner und Maler und musischen Künstler, die Dichter und deren Diener, die Rhapsoden, Vortragenden, Tänzer" u. s. w. Nicht das Wissen, sondern das Können galt den Alten als erstrebenswerth, und auch das Können nur in seiner Verwerthbarkeit für die bürgerlichen Auf¬ gaben. Aus diesem Grunde wurden von den Wissenschaften nur die gepflegt, welche auf den Staatszweck Bezug hatten, von den Künsten nur die geachtet, welche einen bildenden Werth hatten, und aus demselben Grunde nahm überall die Gymnastik eine so hohe Stelle ein; denn nur auf der Basis der körper¬ lichen Tüchtigkeit konnten alle andern Bürgertugenden zu voller Geltung kommen. Daher in Sparta die Ausfüllung des ganzen männlichen Lebens mit gymna¬ stischen und Waffenübungen, in Kreta die strenge körperliche Zucht, welche Platon „mehr die eines Heerlagers als einer Stadt" nennt, und selbst in Athen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/435>, abgerufen am 20.10.2024.