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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Trägerin deutsche Sprache nach Südosten zu tragen, einen sperrenden Damm
entgegengestellt. So lange in der rücksichtslosen Weise wie seit 1867 das Mcigy-
arenthum sich und seine isolirte Sprache, die niemals eine Kultursprache werden
kann, allen nicht magyarischen Elementen gegenüber durchzusetzen bestrebt ist
-- soeben ist es im Werke, in allen Volksschulen das Magyarische als obli¬
gaten Unterrichtsgegenstand einzuführen --, so lange ist der Kultureinfluß
Oesterreich's im Südosten gelähmt; denn nur die deutsche Gesittung ist es, die,
selbst wenn sie darauf verzichtet, ihre Sprache aufzudringen, den verwilderten,
aber bildsamen Völkern an der unteren Donau und jenseits der save einen
Fortschritt vermitteln kann, während die magyarische Herrschaft ihnen niemals
etwas anderes bringen würde, als das Pascha-Regiment ihrer Obergespane.

Aber nicht allein, daß diese Zustände dem Vorschreiten der überlegenen
deutschen Kultur entgegentreten, sie drohen auch die alten Pflanzstätten dieser
Kultur innerhalb Ungarn's selbst zu zerstören. Die deutschen Stadtgemeinden
Ungarn's, von fremdem Volksthum umgeben, ohne nationales Selbstbewußtsein,
ohne die lebhafte Verbindung mit dem deutschen Kernlande, die einst sie kräf¬
tigte, gleichen versinkendem Inseln, an denen die Wogen höher und höher
schlagen. Nur eine dieser alten Gründungen unseres Volkes steht noch trotzig
aufrecht: die ehrwürdige Genossenschaft der siebenbürger Sachsen. Ungleich
freilich, fast aussichtslos erscheint der Kampf, den diese 200000 Menschen seit
einem Jahrzehnt mit zäher Tapferkeit führen; denn gegen sie richtet sich gleich¬
zeitig der magyarische Chauvinismus und das einen Charakterzug der neueren
Zeit bildende Streben geschlossener Staaten, die Sonderrechte der Theile ein¬
zuschränken. Aber indem dies Streben hier nicht nur gegen eine unhaltbar
gewordene Sonderstellung sich wandte, sondern gegen Rechte, welche der Einheit
des ungarischen Staates ungefährlich waren, ist es mit einem anderen tiefbe¬
rechtigten Zuge unserer Zeit, dem großen Gedanken der Selbstverwaltung, in
unversöhnlichen Konflikt gerathen. Und wenn wir in Deutschland unseren
Volksgenossen fern im Karpathenlande schon um deßwillen unsere Sympa-
thieen entgegenbringen werden, weil sie eben Landsleute sind, so wird überhaupt
jeder, der das gute Recht freier Männer im Kampfe sieht mit büreaukratischer
Willkür wie hier, seine Theilnahme den Hartbedrängten nicht versagen.

Die siebenbürger Sachsen haben bis 1868, bis zur Union Siebenbürgen's
mit Ungarn, in allem Wesentlichen ihre historisch gewordene Selbstverwaltung
behauptet. Auf einem Raume von 148 Quadratmeilen angesiedelt, der freilich
in die beiden ungleich großen Landschaften um Hermannstadt und um Kronstäbe
im Süden, und in das entlegene Nößaerland um Bistritz im Nordosten Sieben¬
bürgen's zerfiel (zusammen, weil von den ungarischen Königen den deutschen
Ansiedlern verliehen, der "Königsboten", "lunatus rsZins" genannt), bildeten


Trägerin deutsche Sprache nach Südosten zu tragen, einen sperrenden Damm
entgegengestellt. So lange in der rücksichtslosen Weise wie seit 1867 das Mcigy-
arenthum sich und seine isolirte Sprache, die niemals eine Kultursprache werden
kann, allen nicht magyarischen Elementen gegenüber durchzusetzen bestrebt ist
— soeben ist es im Werke, in allen Volksschulen das Magyarische als obli¬
gaten Unterrichtsgegenstand einzuführen —, so lange ist der Kultureinfluß
Oesterreich's im Südosten gelähmt; denn nur die deutsche Gesittung ist es, die,
selbst wenn sie darauf verzichtet, ihre Sprache aufzudringen, den verwilderten,
aber bildsamen Völkern an der unteren Donau und jenseits der save einen
Fortschritt vermitteln kann, während die magyarische Herrschaft ihnen niemals
etwas anderes bringen würde, als das Pascha-Regiment ihrer Obergespane.

Aber nicht allein, daß diese Zustände dem Vorschreiten der überlegenen
deutschen Kultur entgegentreten, sie drohen auch die alten Pflanzstätten dieser
Kultur innerhalb Ungarn's selbst zu zerstören. Die deutschen Stadtgemeinden
Ungarn's, von fremdem Volksthum umgeben, ohne nationales Selbstbewußtsein,
ohne die lebhafte Verbindung mit dem deutschen Kernlande, die einst sie kräf¬
tigte, gleichen versinkendem Inseln, an denen die Wogen höher und höher
schlagen. Nur eine dieser alten Gründungen unseres Volkes steht noch trotzig
aufrecht: die ehrwürdige Genossenschaft der siebenbürger Sachsen. Ungleich
freilich, fast aussichtslos erscheint der Kampf, den diese 200000 Menschen seit
einem Jahrzehnt mit zäher Tapferkeit führen; denn gegen sie richtet sich gleich¬
zeitig der magyarische Chauvinismus und das einen Charakterzug der neueren
Zeit bildende Streben geschlossener Staaten, die Sonderrechte der Theile ein¬
zuschränken. Aber indem dies Streben hier nicht nur gegen eine unhaltbar
gewordene Sonderstellung sich wandte, sondern gegen Rechte, welche der Einheit
des ungarischen Staates ungefährlich waren, ist es mit einem anderen tiefbe¬
rechtigten Zuge unserer Zeit, dem großen Gedanken der Selbstverwaltung, in
unversöhnlichen Konflikt gerathen. Und wenn wir in Deutschland unseren
Volksgenossen fern im Karpathenlande schon um deßwillen unsere Sympa-
thieen entgegenbringen werden, weil sie eben Landsleute sind, so wird überhaupt
jeder, der das gute Recht freier Männer im Kampfe sieht mit büreaukratischer
Willkür wie hier, seine Theilnahme den Hartbedrängten nicht versagen.

Die siebenbürger Sachsen haben bis 1868, bis zur Union Siebenbürgen's
mit Ungarn, in allem Wesentlichen ihre historisch gewordene Selbstverwaltung
behauptet. Auf einem Raume von 148 Quadratmeilen angesiedelt, der freilich
in die beiden ungleich großen Landschaften um Hermannstadt und um Kronstäbe
im Süden, und in das entlegene Nößaerland um Bistritz im Nordosten Sieben¬
bürgen's zerfiel (zusammen, weil von den ungarischen Königen den deutschen
Ansiedlern verliehen, der „Königsboten", „lunatus rsZins" genannt), bildeten


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[0410] Trägerin deutsche Sprache nach Südosten zu tragen, einen sperrenden Damm entgegengestellt. So lange in der rücksichtslosen Weise wie seit 1867 das Mcigy- arenthum sich und seine isolirte Sprache, die niemals eine Kultursprache werden kann, allen nicht magyarischen Elementen gegenüber durchzusetzen bestrebt ist — soeben ist es im Werke, in allen Volksschulen das Magyarische als obli¬ gaten Unterrichtsgegenstand einzuführen —, so lange ist der Kultureinfluß Oesterreich's im Südosten gelähmt; denn nur die deutsche Gesittung ist es, die, selbst wenn sie darauf verzichtet, ihre Sprache aufzudringen, den verwilderten, aber bildsamen Völkern an der unteren Donau und jenseits der save einen Fortschritt vermitteln kann, während die magyarische Herrschaft ihnen niemals etwas anderes bringen würde, als das Pascha-Regiment ihrer Obergespane. Aber nicht allein, daß diese Zustände dem Vorschreiten der überlegenen deutschen Kultur entgegentreten, sie drohen auch die alten Pflanzstätten dieser Kultur innerhalb Ungarn's selbst zu zerstören. Die deutschen Stadtgemeinden Ungarn's, von fremdem Volksthum umgeben, ohne nationales Selbstbewußtsein, ohne die lebhafte Verbindung mit dem deutschen Kernlande, die einst sie kräf¬ tigte, gleichen versinkendem Inseln, an denen die Wogen höher und höher schlagen. Nur eine dieser alten Gründungen unseres Volkes steht noch trotzig aufrecht: die ehrwürdige Genossenschaft der siebenbürger Sachsen. Ungleich freilich, fast aussichtslos erscheint der Kampf, den diese 200000 Menschen seit einem Jahrzehnt mit zäher Tapferkeit führen; denn gegen sie richtet sich gleich¬ zeitig der magyarische Chauvinismus und das einen Charakterzug der neueren Zeit bildende Streben geschlossener Staaten, die Sonderrechte der Theile ein¬ zuschränken. Aber indem dies Streben hier nicht nur gegen eine unhaltbar gewordene Sonderstellung sich wandte, sondern gegen Rechte, welche der Einheit des ungarischen Staates ungefährlich waren, ist es mit einem anderen tiefbe¬ rechtigten Zuge unserer Zeit, dem großen Gedanken der Selbstverwaltung, in unversöhnlichen Konflikt gerathen. Und wenn wir in Deutschland unseren Volksgenossen fern im Karpathenlande schon um deßwillen unsere Sympa- thieen entgegenbringen werden, weil sie eben Landsleute sind, so wird überhaupt jeder, der das gute Recht freier Männer im Kampfe sieht mit büreaukratischer Willkür wie hier, seine Theilnahme den Hartbedrängten nicht versagen. Die siebenbürger Sachsen haben bis 1868, bis zur Union Siebenbürgen's mit Ungarn, in allem Wesentlichen ihre historisch gewordene Selbstverwaltung behauptet. Auf einem Raume von 148 Quadratmeilen angesiedelt, der freilich in die beiden ungleich großen Landschaften um Hermannstadt und um Kronstäbe im Süden, und in das entlegene Nößaerland um Bistritz im Nordosten Sieben¬ bürgen's zerfiel (zusammen, weil von den ungarischen Königen den deutschen Ansiedlern verliehen, der „Königsboten", „lunatus rsZins" genannt), bildeten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/410>, abgerufen am 27.09.2024.