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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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laßt's euch nicht verdrießen, ich sag' es euch auf mein Gewissen: der Reitknecht
als ein schlechter Mann hat wirklich mehr als ihr gethan!"

Vielleicht hätte der Held gezürnt. Indeß wer weiß? Es kamen ihm zu¬
weilen ähnliche Gedanken. Schreibt er doch am 6. März 1760: "(juanä c>n
g-illius los Nomwss, <zna.n<1 on Iss lust su tursur, ils vssssnt Ä'fers nomrQSS
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rusnioirs oäisuss as nos rava^Sö se ass salamitss ^u'ils ont sa^s^Sö!"
Aber was helfen solche Betrachtungen! "II tant <zus 1s rossi^not Stands, se
<zns ^'s kasss ig. Ausrrs!"

Ein eignes Zusammentreffen: der stille, kränkliche Erbauungsschriftsteller,
der ohne Aufhören über das Elend dieser Welt ächzt, und der verwundete
Löwe, vor dessen seltenem Gebrüll die Welt erbebt.

Gellert's Moral ist die eines Eremiten; sie warnt vor allen Leiden¬
schaften, weil jede Leidenschaft in Ungelegenheit bringt; sie ist die Moral der
Entsagung, die Moral eines engbrüstigen spießbürgerlichen Hypochonders; es
fehlt ihr, was bei aller Sittlichkeit die Hauptsache ist, die Kraft.

Wir nehmen hier Abschied von dem wohlgesinnten Manne, der noch neun
Jahre lebte, aber nichts mehr hervorbrachte. Nur sein Ruf war noch im be¬
ständigen Wachsen. Sechs Jahre nach jener Unterredung schreibt Abbe: "Gellert's
Fabeln haben dem Nationalgeschmack eine ganz neue Richtung gegeben, denn
jede Landpredigerstochter kennt sie auswendig, und auf die kommt es an, uicht
auf die Gelehrten oder Vornehmen, die eigentlich keinen: Lande angehören."

In derselben Zeit hörte der junge Goethe seine Vorlesungen über Stil und
Moral. Gellert ermahnte in weinerlich wohlwollendem Ton die jungen Leute,
der Tugend treu zu bleiben, auf ihre Handschrift zu achten und Verse möglichst
zu vermeiden. Die Studenten schwärmten für ihn; die alten müden Generale,
die er in Karlsbad traf, sagten ihm Schmeicheleien; verschiedene Komtessen und
Baronessen korrespondirten mit ihm; eine Prinzessin ging bei Hellem lichten Tage
ein seinem Arm über den Markt -- es that seinem Herzen doch wohl! -- ja
er durfte dem neuen Kurfürsten von Sachsen einen Vortrag über die Menschen¬
würde halten!

Leipzig fühlte sich damals noch immer als Kleinparis: der junge Süd¬
deutsche mußte hier lernen, sich der reinen deutschen Mundart zu befleißigen
und sich modisch zu frisiren; er erfuhr, daß Friedrich ein schlechter General sei.


Grenzboten II. 1879. 49

laßt's euch nicht verdrießen, ich sag' es euch auf mein Gewissen: der Reitknecht
als ein schlechter Mann hat wirklich mehr als ihr gethan!"

Vielleicht hätte der Held gezürnt. Indeß wer weiß? Es kamen ihm zu¬
weilen ähnliche Gedanken. Schreibt er doch am 6. März 1760: „(juanä c>n
g-illius los Nomwss, <zna.n<1 on Iss lust su tursur, ils vssssnt Ä'fers nomrQSS
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Aber was helfen solche Betrachtungen! „II tant <zus 1s rossi^not Stands, se
<zns ^'s kasss ig. Ausrrs!"

Ein eignes Zusammentreffen: der stille, kränkliche Erbauungsschriftsteller,
der ohne Aufhören über das Elend dieser Welt ächzt, und der verwundete
Löwe, vor dessen seltenem Gebrüll die Welt erbebt.

Gellert's Moral ist die eines Eremiten; sie warnt vor allen Leiden¬
schaften, weil jede Leidenschaft in Ungelegenheit bringt; sie ist die Moral der
Entsagung, die Moral eines engbrüstigen spießbürgerlichen Hypochonders; es
fehlt ihr, was bei aller Sittlichkeit die Hauptsache ist, die Kraft.

Wir nehmen hier Abschied von dem wohlgesinnten Manne, der noch neun
Jahre lebte, aber nichts mehr hervorbrachte. Nur sein Ruf war noch im be¬
ständigen Wachsen. Sechs Jahre nach jener Unterredung schreibt Abbe: „Gellert's
Fabeln haben dem Nationalgeschmack eine ganz neue Richtung gegeben, denn
jede Landpredigerstochter kennt sie auswendig, und auf die kommt es an, uicht
auf die Gelehrten oder Vornehmen, die eigentlich keinen: Lande angehören."

In derselben Zeit hörte der junge Goethe seine Vorlesungen über Stil und
Moral. Gellert ermahnte in weinerlich wohlwollendem Ton die jungen Leute,
der Tugend treu zu bleiben, auf ihre Handschrift zu achten und Verse möglichst
zu vermeiden. Die Studenten schwärmten für ihn; die alten müden Generale,
die er in Karlsbad traf, sagten ihm Schmeicheleien; verschiedene Komtessen und
Baronessen korrespondirten mit ihm; eine Prinzessin ging bei Hellem lichten Tage
ein seinem Arm über den Markt — es that seinem Herzen doch wohl! — ja
er durfte dem neuen Kurfürsten von Sachsen einen Vortrag über die Menschen¬
würde halten!

Leipzig fühlte sich damals noch immer als Kleinparis: der junge Süd¬
deutsche mußte hier lernen, sich der reinen deutschen Mundart zu befleißigen
und sich modisch zu frisiren; er erfuhr, daß Friedrich ein schlechter General sei.


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[0385] laßt's euch nicht verdrießen, ich sag' es euch auf mein Gewissen: der Reitknecht als ein schlechter Mann hat wirklich mehr als ihr gethan!" Vielleicht hätte der Held gezürnt. Indeß wer weiß? Es kamen ihm zu¬ weilen ähnliche Gedanken. Schreibt er doch am 6. März 1760: „(juanä c>n g-illius los Nomwss, <zna.n<1 on Iss lust su tursur, ils vssssnt Ä'fers nomrQSS se üsvisnnsnt ass dstss lÄrouenss. I^a ^usrrs xsrä Iss niazurs, se rs-msris l'nonMS Ä r>n se^t SÄiivaAS su l^odant Is krsin Ä öff p^ssions drutalss. . (I?6des Ausrrs us 1s oöäs su risn Z, sslls Ah trsnts a,r>s. .. Nissra-Klss kovis c^us nous sowrass, <^ni ri'avons Hu'u,Q NTomsnt vivrs, nous nous rsn- clons es movasnt 1s xlus aur ez^irs nous xonvons, nous rious xlaisons a Ästrnirs Iss vdsks - ä'ozuvrs Ah 1'inÄustris se terrixs, se as Islsssr uns rusnioirs oäisuss as nos rava^Sö se ass salamitss ^u'ils ont sa^s^Sö!" Aber was helfen solche Betrachtungen! „II tant <zus 1s rossi^not Stands, se <zns ^'s kasss ig. Ausrrs!" Ein eignes Zusammentreffen: der stille, kränkliche Erbauungsschriftsteller, der ohne Aufhören über das Elend dieser Welt ächzt, und der verwundete Löwe, vor dessen seltenem Gebrüll die Welt erbebt. Gellert's Moral ist die eines Eremiten; sie warnt vor allen Leiden¬ schaften, weil jede Leidenschaft in Ungelegenheit bringt; sie ist die Moral der Entsagung, die Moral eines engbrüstigen spießbürgerlichen Hypochonders; es fehlt ihr, was bei aller Sittlichkeit die Hauptsache ist, die Kraft. Wir nehmen hier Abschied von dem wohlgesinnten Manne, der noch neun Jahre lebte, aber nichts mehr hervorbrachte. Nur sein Ruf war noch im be¬ ständigen Wachsen. Sechs Jahre nach jener Unterredung schreibt Abbe: „Gellert's Fabeln haben dem Nationalgeschmack eine ganz neue Richtung gegeben, denn jede Landpredigerstochter kennt sie auswendig, und auf die kommt es an, uicht auf die Gelehrten oder Vornehmen, die eigentlich keinen: Lande angehören." In derselben Zeit hörte der junge Goethe seine Vorlesungen über Stil und Moral. Gellert ermahnte in weinerlich wohlwollendem Ton die jungen Leute, der Tugend treu zu bleiben, auf ihre Handschrift zu achten und Verse möglichst zu vermeiden. Die Studenten schwärmten für ihn; die alten müden Generale, die er in Karlsbad traf, sagten ihm Schmeicheleien; verschiedene Komtessen und Baronessen korrespondirten mit ihm; eine Prinzessin ging bei Hellem lichten Tage ein seinem Arm über den Markt — es that seinem Herzen doch wohl! — ja er durfte dem neuen Kurfürsten von Sachsen einen Vortrag über die Menschen¬ würde halten! Leipzig fühlte sich damals noch immer als Kleinparis: der junge Süd¬ deutsche mußte hier lernen, sich der reinen deutschen Mundart zu befleißigen und sich modisch zu frisiren; er erfuhr, daß Friedrich ein schlechter General sei. Grenzboten II. 1879. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/385>, abgerufen am 27.12.2024.