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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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einer Schlange, einem Drachen (ssrxsrch gleich sich auf dem Boden hin - und
herbewegen. Indem die Feuerwerksmasse durchbohrt und somit die Ausdeh¬
nung ihrer Verbrennungsoberfläche vergrößert worden, hatte der Meister un¬
willkürlich dem Feuerröhre eine "Seele" gegeben; Entwickelung und Spannung
der Gase waren groß genug geworden, um das Gewicht der Vorrichtung und
die Reibung am Boden zu überwinden: er hatte die erste Rakete herge¬
stellt! Diese primitive, rudimentäre Rakete, die noch heute unter dem Namen
des Schwärmers (sorxMw^) bekannt ist, gewährte den Magiern, den Brach-
manen, den ägyptischen wie den griechischen Hierophanten das Mittel, nach
Gefallen das Feuer des Himmels für ihre Zwecke in Bewegung zu setzen.
Die Priesterschaft verstand die Mös su soörio. Von einem, profanen Augen
unsichtbaren, Faden gelenkt, fuhr das Feuer auf die Bitte des celebrirenden
Priesters zum Holzstöße des Altars nieder; seinem Fluche gehorsam, folgte es
dem aus dem Heiligthume verstoßenen Verbrecher zischend nach, oder es er¬
schütterte das Gemüth der durch Hunger, Schrecken und Narkotika wohl vor¬
bereiteten Neophyten der Mysterien von Samothrake und Eleusis. Jenes
Bündel von Blitzen, das, von einer Papyrushülle oder einem kurzen Rohre
zusammengefaßt, fo viele antike Bildwerke in der Faust des Juppiter tonans
oder in den Krallen seines Adlers zeigen -- was ist es anders als die Nach¬
bildung dieser Rakete! War es doch ebenso natürlich, den Donnerer mit dieser
Waffe darzustellen, wie die Athene Promachos mit dem Speere auszurüsten.
Gleich all' den anderen pyrotechnischen Erfindungen konnte aber auch die der
Rakete nicht Eigenthum der Priester bleiben, und bald begegnet man ihr wirklich
w den Händen der Fürsten und Krieger. Kaiser Caligula rühmte sich, Dio
Cassius zufolge, dem Juppiter Trotz bieten zu können, indem er den Blitzstrahl
des Himmels mit Blitzen beantwortete, welche er gegen die Wolken schleu¬
derte: es waren Raketen, die einige Jahrhunderte später, nämlich zu Julian's
Zeiten, bereits als eigentliche Waffe erscheinen. Raketen sind wohl auch die
Handrohre, welche Kaiser Leo VI. in seinen "Taktika" empfiehlt, um sie dem
Feinde in's Gesicht zu schleudern, und durch Marabus Graecus erfahren wir
sogar das Rezept, nach dem der Satz dieses "fliegenden Feuers" gemischt
wurde. Es lautet:


"Ixnis vol-ins. ^ooipe livram unam sulxiiuris, livras Äus.s varbouum
saliois, Uvras ssx salis xetrosi, vuae tris, subtilissimo de-r^utili- in IsMe
wWwoi-co; xostes, aliauiä xosterius an libitum in tunioa ac pap^ro vol-uni,
oft toniti'um tÄLisvtö xonatur."

Dies aus Schwefel, Kohle und Salpeter zusammengesetzte Kriegsfeuer
ist, nun unzweifelhaft Schießpulver. Die verordnete Mischung entspricht der
von 67 Theilen Salpeter, 22 Kohle und 11 Schwefel, welche, wenn sie rein


einer Schlange, einem Drachen (ssrxsrch gleich sich auf dem Boden hin - und
herbewegen. Indem die Feuerwerksmasse durchbohrt und somit die Ausdeh¬
nung ihrer Verbrennungsoberfläche vergrößert worden, hatte der Meister un¬
willkürlich dem Feuerröhre eine „Seele" gegeben; Entwickelung und Spannung
der Gase waren groß genug geworden, um das Gewicht der Vorrichtung und
die Reibung am Boden zu überwinden: er hatte die erste Rakete herge¬
stellt! Diese primitive, rudimentäre Rakete, die noch heute unter dem Namen
des Schwärmers (sorxMw^) bekannt ist, gewährte den Magiern, den Brach-
manen, den ägyptischen wie den griechischen Hierophanten das Mittel, nach
Gefallen das Feuer des Himmels für ihre Zwecke in Bewegung zu setzen.
Die Priesterschaft verstand die Mös su soörio. Von einem, profanen Augen
unsichtbaren, Faden gelenkt, fuhr das Feuer auf die Bitte des celebrirenden
Priesters zum Holzstöße des Altars nieder; seinem Fluche gehorsam, folgte es
dem aus dem Heiligthume verstoßenen Verbrecher zischend nach, oder es er¬
schütterte das Gemüth der durch Hunger, Schrecken und Narkotika wohl vor¬
bereiteten Neophyten der Mysterien von Samothrake und Eleusis. Jenes
Bündel von Blitzen, das, von einer Papyrushülle oder einem kurzen Rohre
zusammengefaßt, fo viele antike Bildwerke in der Faust des Juppiter tonans
oder in den Krallen seines Adlers zeigen — was ist es anders als die Nach¬
bildung dieser Rakete! War es doch ebenso natürlich, den Donnerer mit dieser
Waffe darzustellen, wie die Athene Promachos mit dem Speere auszurüsten.
Gleich all' den anderen pyrotechnischen Erfindungen konnte aber auch die der
Rakete nicht Eigenthum der Priester bleiben, und bald begegnet man ihr wirklich
w den Händen der Fürsten und Krieger. Kaiser Caligula rühmte sich, Dio
Cassius zufolge, dem Juppiter Trotz bieten zu können, indem er den Blitzstrahl
des Himmels mit Blitzen beantwortete, welche er gegen die Wolken schleu¬
derte: es waren Raketen, die einige Jahrhunderte später, nämlich zu Julian's
Zeiten, bereits als eigentliche Waffe erscheinen. Raketen sind wohl auch die
Handrohre, welche Kaiser Leo VI. in seinen „Taktika" empfiehlt, um sie dem
Feinde in's Gesicht zu schleudern, und durch Marabus Graecus erfahren wir
sogar das Rezept, nach dem der Satz dieses „fliegenden Feuers" gemischt
wurde. Es lautet:


„Ixnis vol-ins. ^ooipe livram unam sulxiiuris, livras Äus.s varbouum
saliois, Uvras ssx salis xetrosi, vuae tris, subtilissimo de-r^utili- in IsMe
wWwoi-co; xostes, aliauiä xosterius an libitum in tunioa ac pap^ro vol-uni,
oft toniti'um tÄLisvtö xonatur."

Dies aus Schwefel, Kohle und Salpeter zusammengesetzte Kriegsfeuer
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[0351] einer Schlange, einem Drachen (ssrxsrch gleich sich auf dem Boden hin - und herbewegen. Indem die Feuerwerksmasse durchbohrt und somit die Ausdeh¬ nung ihrer Verbrennungsoberfläche vergrößert worden, hatte der Meister un¬ willkürlich dem Feuerröhre eine „Seele" gegeben; Entwickelung und Spannung der Gase waren groß genug geworden, um das Gewicht der Vorrichtung und die Reibung am Boden zu überwinden: er hatte die erste Rakete herge¬ stellt! Diese primitive, rudimentäre Rakete, die noch heute unter dem Namen des Schwärmers (sorxMw^) bekannt ist, gewährte den Magiern, den Brach- manen, den ägyptischen wie den griechischen Hierophanten das Mittel, nach Gefallen das Feuer des Himmels für ihre Zwecke in Bewegung zu setzen. Die Priesterschaft verstand die Mös su soörio. Von einem, profanen Augen unsichtbaren, Faden gelenkt, fuhr das Feuer auf die Bitte des celebrirenden Priesters zum Holzstöße des Altars nieder; seinem Fluche gehorsam, folgte es dem aus dem Heiligthume verstoßenen Verbrecher zischend nach, oder es er¬ schütterte das Gemüth der durch Hunger, Schrecken und Narkotika wohl vor¬ bereiteten Neophyten der Mysterien von Samothrake und Eleusis. Jenes Bündel von Blitzen, das, von einer Papyrushülle oder einem kurzen Rohre zusammengefaßt, fo viele antike Bildwerke in der Faust des Juppiter tonans oder in den Krallen seines Adlers zeigen — was ist es anders als die Nach¬ bildung dieser Rakete! War es doch ebenso natürlich, den Donnerer mit dieser Waffe darzustellen, wie die Athene Promachos mit dem Speere auszurüsten. Gleich all' den anderen pyrotechnischen Erfindungen konnte aber auch die der Rakete nicht Eigenthum der Priester bleiben, und bald begegnet man ihr wirklich w den Händen der Fürsten und Krieger. Kaiser Caligula rühmte sich, Dio Cassius zufolge, dem Juppiter Trotz bieten zu können, indem er den Blitzstrahl des Himmels mit Blitzen beantwortete, welche er gegen die Wolken schleu¬ derte: es waren Raketen, die einige Jahrhunderte später, nämlich zu Julian's Zeiten, bereits als eigentliche Waffe erscheinen. Raketen sind wohl auch die Handrohre, welche Kaiser Leo VI. in seinen „Taktika" empfiehlt, um sie dem Feinde in's Gesicht zu schleudern, und durch Marabus Graecus erfahren wir sogar das Rezept, nach dem der Satz dieses „fliegenden Feuers" gemischt wurde. Es lautet: „Ixnis vol-ins. ^ooipe livram unam sulxiiuris, livras Äus.s varbouum saliois, Uvras ssx salis xetrosi, vuae tris, subtilissimo de-r^utili- in IsMe wWwoi-co; xostes, aliauiä xosterius an libitum in tunioa ac pap^ro vol-uni, oft toniti'um tÄLisvtö xonatur." Dies aus Schwefel, Kohle und Salpeter zusammengesetzte Kriegsfeuer ist, nun unzweifelhaft Schießpulver. Die verordnete Mischung entspricht der von 67 Theilen Salpeter, 22 Kohle und 11 Schwefel, welche, wenn sie rein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/351>, abgerufen am 27.09.2024.