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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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zwei Löwen und einen Tiger, tritt. In diesen Kreis gehört auch das geblen¬
dete Mädchen, welches am Eingang der Katakomben sitzt und -- ein raffinirter
Kontrast -- den Besuchern brennende Lämpchen feilbietet.

Bis zum Jahre 1867 blieb Max in Piloty's Atelier. Dann schlug er in
München seinen festen Wohnsitz auf, den er später, als seine seltsamen Bilder
von spekulativen Kunsthändlern mit hohen Preisen bezahlt wurden, mit einer
Villa an den Ufern des Würmsees vertauschte, bis er wieder nach München als
Professor an die Kunstakademie berufen wurde.

Seine Neigung zu einem stillen, beschaulichen Leben prägt sich besonders
in denjenigen Bildern aus, die nicht so herausfordernd an das Nervensystem
des Beschauers pochen, wie z. B. in der melancholischen Nonne, in der "Waise",
den "barmherzigen Schwestern" und in dem "Herbstesreigen", dessen Grund¬
stimmung an die an musikalische Themata anknüpfenden Erstlingswerke des
Künstlers erinnert. Leider ist die Situation des letzteren Bildes so unklar,
wie es sonst nur die Gefühle sind, welche in den Angesichtern der Max'schen
Figuren aufdämmern. Man sieht eine Gesellschaft von vornehmen Herren und
Damen in Kostümen des 16. Jahrhunderts in einem Garten unter einer schat¬
tigen Platane versammelt, die einen konversirend, die anderen Früchte oder
Blumen pflückend. Ein junges Mädchen, hinter der sich ein Kavalier, augenschein¬
lich ihr Liebhaber, verbirgt, reicht einem am Baume lehrenden, melancholisch
dreinschauenden Herrn eine Herbstzeitlose. In dieser Abweisung durch die
Blumensprache scheint die Pointe des geheimnißvollen Bildes zu liegen, welches
im Uebrigen durch ein harmonisches Kolorit von größter Delikatesse erfreut.
So unklar wie der Vorgang ist auch die Luftperspektive, welche, wie auch
andere Bilder zeigen, für den Künstler ein Buch mit sieben Siegeln zu
sein scheint.

Auf der Wiener Weltausstellung sah man außer diesem "Herbstesreigen"
auch die "Walpurgisnacht", jene Erscheinung des enthaupteten Gretchens, die
nach dem großen Erfolge des Christuskopfes mit dem doppelten Blick, auf den
wir später zu sprechen kommen, die Runde durch die Hauptstädte Deutschland's
machte. Wir eröffnen damit die Bildergalerie nach den Meisterwerken unserer
klassischen Dichter, die eine zweite große Gruppe in dem Schaffen des
Künstlers bildet.

Die alten biederen Düsseldorfer malten das Grerchen am Spinnrade oder
Faust und Margarethe im Garten; dann ließen die dramatisch stärker angeleg¬
ten Münchener die schone Sünderin sich im Bewußtsein ihrer Schuld vor der
U^ehr clolvrosÄ winden, Gabriel Max, der Epigone, der Begründer der
Schreckensherrschaft in der modernen deutschen Kunst, hat uns das "blasse,
schöne Kind" in der Walpurgisnacht mit dem "einzig rothen Schnürchen" um


zwei Löwen und einen Tiger, tritt. In diesen Kreis gehört auch das geblen¬
dete Mädchen, welches am Eingang der Katakomben sitzt und — ein raffinirter
Kontrast — den Besuchern brennende Lämpchen feilbietet.

Bis zum Jahre 1867 blieb Max in Piloty's Atelier. Dann schlug er in
München seinen festen Wohnsitz auf, den er später, als seine seltsamen Bilder
von spekulativen Kunsthändlern mit hohen Preisen bezahlt wurden, mit einer
Villa an den Ufern des Würmsees vertauschte, bis er wieder nach München als
Professor an die Kunstakademie berufen wurde.

Seine Neigung zu einem stillen, beschaulichen Leben prägt sich besonders
in denjenigen Bildern aus, die nicht so herausfordernd an das Nervensystem
des Beschauers pochen, wie z. B. in der melancholischen Nonne, in der „Waise",
den „barmherzigen Schwestern" und in dem „Herbstesreigen", dessen Grund¬
stimmung an die an musikalische Themata anknüpfenden Erstlingswerke des
Künstlers erinnert. Leider ist die Situation des letzteren Bildes so unklar,
wie es sonst nur die Gefühle sind, welche in den Angesichtern der Max'schen
Figuren aufdämmern. Man sieht eine Gesellschaft von vornehmen Herren und
Damen in Kostümen des 16. Jahrhunderts in einem Garten unter einer schat¬
tigen Platane versammelt, die einen konversirend, die anderen Früchte oder
Blumen pflückend. Ein junges Mädchen, hinter der sich ein Kavalier, augenschein¬
lich ihr Liebhaber, verbirgt, reicht einem am Baume lehrenden, melancholisch
dreinschauenden Herrn eine Herbstzeitlose. In dieser Abweisung durch die
Blumensprache scheint die Pointe des geheimnißvollen Bildes zu liegen, welches
im Uebrigen durch ein harmonisches Kolorit von größter Delikatesse erfreut.
So unklar wie der Vorgang ist auch die Luftperspektive, welche, wie auch
andere Bilder zeigen, für den Künstler ein Buch mit sieben Siegeln zu
sein scheint.

Auf der Wiener Weltausstellung sah man außer diesem „Herbstesreigen"
auch die „Walpurgisnacht", jene Erscheinung des enthaupteten Gretchens, die
nach dem großen Erfolge des Christuskopfes mit dem doppelten Blick, auf den
wir später zu sprechen kommen, die Runde durch die Hauptstädte Deutschland's
machte. Wir eröffnen damit die Bildergalerie nach den Meisterwerken unserer
klassischen Dichter, die eine zweite große Gruppe in dem Schaffen des
Künstlers bildet.

Die alten biederen Düsseldorfer malten das Grerchen am Spinnrade oder
Faust und Margarethe im Garten; dann ließen die dramatisch stärker angeleg¬
ten Münchener die schone Sünderin sich im Bewußtsein ihrer Schuld vor der
U^ehr clolvrosÄ winden, Gabriel Max, der Epigone, der Begründer der
Schreckensherrschaft in der modernen deutschen Kunst, hat uns das „blasse,
schöne Kind" in der Walpurgisnacht mit dem „einzig rothen Schnürchen" um


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[0026] zwei Löwen und einen Tiger, tritt. In diesen Kreis gehört auch das geblen¬ dete Mädchen, welches am Eingang der Katakomben sitzt und — ein raffinirter Kontrast — den Besuchern brennende Lämpchen feilbietet. Bis zum Jahre 1867 blieb Max in Piloty's Atelier. Dann schlug er in München seinen festen Wohnsitz auf, den er später, als seine seltsamen Bilder von spekulativen Kunsthändlern mit hohen Preisen bezahlt wurden, mit einer Villa an den Ufern des Würmsees vertauschte, bis er wieder nach München als Professor an die Kunstakademie berufen wurde. Seine Neigung zu einem stillen, beschaulichen Leben prägt sich besonders in denjenigen Bildern aus, die nicht so herausfordernd an das Nervensystem des Beschauers pochen, wie z. B. in der melancholischen Nonne, in der „Waise", den „barmherzigen Schwestern" und in dem „Herbstesreigen", dessen Grund¬ stimmung an die an musikalische Themata anknüpfenden Erstlingswerke des Künstlers erinnert. Leider ist die Situation des letzteren Bildes so unklar, wie es sonst nur die Gefühle sind, welche in den Angesichtern der Max'schen Figuren aufdämmern. Man sieht eine Gesellschaft von vornehmen Herren und Damen in Kostümen des 16. Jahrhunderts in einem Garten unter einer schat¬ tigen Platane versammelt, die einen konversirend, die anderen Früchte oder Blumen pflückend. Ein junges Mädchen, hinter der sich ein Kavalier, augenschein¬ lich ihr Liebhaber, verbirgt, reicht einem am Baume lehrenden, melancholisch dreinschauenden Herrn eine Herbstzeitlose. In dieser Abweisung durch die Blumensprache scheint die Pointe des geheimnißvollen Bildes zu liegen, welches im Uebrigen durch ein harmonisches Kolorit von größter Delikatesse erfreut. So unklar wie der Vorgang ist auch die Luftperspektive, welche, wie auch andere Bilder zeigen, für den Künstler ein Buch mit sieben Siegeln zu sein scheint. Auf der Wiener Weltausstellung sah man außer diesem „Herbstesreigen" auch die „Walpurgisnacht", jene Erscheinung des enthaupteten Gretchens, die nach dem großen Erfolge des Christuskopfes mit dem doppelten Blick, auf den wir später zu sprechen kommen, die Runde durch die Hauptstädte Deutschland's machte. Wir eröffnen damit die Bildergalerie nach den Meisterwerken unserer klassischen Dichter, die eine zweite große Gruppe in dem Schaffen des Künstlers bildet. Die alten biederen Düsseldorfer malten das Grerchen am Spinnrade oder Faust und Margarethe im Garten; dann ließen die dramatisch stärker angeleg¬ ten Münchener die schone Sünderin sich im Bewußtsein ihrer Schuld vor der U^ehr clolvrosÄ winden, Gabriel Max, der Epigone, der Begründer der Schreckensherrschaft in der modernen deutschen Kunst, hat uns das „blasse, schöne Kind" in der Walpurgisnacht mit dem „einzig rothen Schnürchen" um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/26>, abgerufen am 27.12.2024.