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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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schaften für die Macht des Reichstages, für die Macht der Landesvertretungen,
für die Selbständigkeit der Bundesregierungen und sogar für den Einfluß der
letzteren auf die Reichsregierung. Kein geringer Preis ist es, schon mehr eine
Art Preiskourant, ans Grund welches die Herren mit sich handeln lassen
wollen, denn glücklicherweise haben sie noch keine festen Preise aufgestellt.
Aber ob das wohl alles so ernsthaft gemeint ist? Es ist schwer, an diesen
Ernst zu glauben, wenn man Folgendes erwägt.

Es steht fest, daß die Verhandlungen zwischen Berlin und dem Vatikan
zur Beilegung des Kirchenkonfliktes dem Ende noch nicht entgegengehen, weder
dem Ende des Abbruches noch dem Ende der Vereinbarung. Die Entscheidung
der deutschen Finanzreform im Reichstage wird für diese Verhandlungen unter
allen Umständen einen wichtigen Zwischenfall bilden; das kaun man sich sagen,
ohne ein tiefer Politiker zu sein. Nehmen wir an, das Zentrum träte für
den ganzen Finanzplan des Reichskanzlers ein und verhälfe diesem damit zum
Siege, so wäre es fortan unmöglich, das Zentrum eine reichsfeindliche Partei
zu nennen. Welches immer die Rechnung des Zentrums bei einem solchen
Verhalten gewesen sein möchte, die Thatsache bliebe bestehen, daß die folgen¬
reichste Maßregel zur Sicherung des Deutschen Reiches dem Zentrum verdankt
werden müßte. Wie wäre es möglich, die Partei, welche den festesten Bau¬
stein zum Reiche gelegt zu beschuldigen, daß sie noch auf die Zerstörung des¬
selben sinne? Welche Rechnung man immer dem Zentrum unterschieben
wollte, niemand könnte leugnen, daß in dieser Rechnung das Deutsche Reich
als positive und als beständige Größe, nicht aber als wegzuschaffende figu-
riren muß. Demzufolge könnte bei den Verhandlungen mit Rom die Existenz
der Zentrumspartei nicht mehr als Friedenshinderniß, nicht mehr als Ursache
des Bedenkens gegen Einräumungen an die katholische Kirche in Betracht
kommen. Dies ist ein Thatbestand, den unseres Erachtens Jeder sehen kann,
der Augen zu sehen hat. Nehmen wir aber jetzt den entgegengesetzten Fall,
den Fall, daß das Zentrum die Finanzreform im jetzigen Reichstage vereitelt,
so wird es die Nothwendigkeit von Neuwahlen herbeiführen. Die Hauptprobe
aufrichtigen Willens zum Frieden, welche die Reichsregierung von dem Vatikan
alsdann verlangen muß, ist daß der Klerus bei den Neuwahlen sein Ansehen
nicht zu Gunsten des Zentrums, sondern zu Gunsten nicht reichsfeindlicher
Abgeordneten in die Wagschale werfe. Ob die Herren vom Zentrum ernstlich
die Absicht haben, sich zwischen die beiden Feuer der vatikanischen Verleugnung
und der neuen Popularität des Reichskanzlers auch bei den katholischen Wähler¬
massen zu stellen, muß man sehr bezweifeln. Wir können daher nur wieder¬
holen, was wir im ersten dieser Briefe gesagt: Das Zentrum ist nicht nur
bei den Schutzzöllen, sondern auch bei den Fiuauzzöllen kein gefährlicher d. i.


schaften für die Macht des Reichstages, für die Macht der Landesvertretungen,
für die Selbständigkeit der Bundesregierungen und sogar für den Einfluß der
letzteren auf die Reichsregierung. Kein geringer Preis ist es, schon mehr eine
Art Preiskourant, ans Grund welches die Herren mit sich handeln lassen
wollen, denn glücklicherweise haben sie noch keine festen Preise aufgestellt.
Aber ob das wohl alles so ernsthaft gemeint ist? Es ist schwer, an diesen
Ernst zu glauben, wenn man Folgendes erwägt.

Es steht fest, daß die Verhandlungen zwischen Berlin und dem Vatikan
zur Beilegung des Kirchenkonfliktes dem Ende noch nicht entgegengehen, weder
dem Ende des Abbruches noch dem Ende der Vereinbarung. Die Entscheidung
der deutschen Finanzreform im Reichstage wird für diese Verhandlungen unter
allen Umständen einen wichtigen Zwischenfall bilden; das kaun man sich sagen,
ohne ein tiefer Politiker zu sein. Nehmen wir an, das Zentrum träte für
den ganzen Finanzplan des Reichskanzlers ein und verhälfe diesem damit zum
Siege, so wäre es fortan unmöglich, das Zentrum eine reichsfeindliche Partei
zu nennen. Welches immer die Rechnung des Zentrums bei einem solchen
Verhalten gewesen sein möchte, die Thatsache bliebe bestehen, daß die folgen¬
reichste Maßregel zur Sicherung des Deutschen Reiches dem Zentrum verdankt
werden müßte. Wie wäre es möglich, die Partei, welche den festesten Bau¬
stein zum Reiche gelegt zu beschuldigen, daß sie noch auf die Zerstörung des¬
selben sinne? Welche Rechnung man immer dem Zentrum unterschieben
wollte, niemand könnte leugnen, daß in dieser Rechnung das Deutsche Reich
als positive und als beständige Größe, nicht aber als wegzuschaffende figu-
riren muß. Demzufolge könnte bei den Verhandlungen mit Rom die Existenz
der Zentrumspartei nicht mehr als Friedenshinderniß, nicht mehr als Ursache
des Bedenkens gegen Einräumungen an die katholische Kirche in Betracht
kommen. Dies ist ein Thatbestand, den unseres Erachtens Jeder sehen kann,
der Augen zu sehen hat. Nehmen wir aber jetzt den entgegengesetzten Fall,
den Fall, daß das Zentrum die Finanzreform im jetzigen Reichstage vereitelt,
so wird es die Nothwendigkeit von Neuwahlen herbeiführen. Die Hauptprobe
aufrichtigen Willens zum Frieden, welche die Reichsregierung von dem Vatikan
alsdann verlangen muß, ist daß der Klerus bei den Neuwahlen sein Ansehen
nicht zu Gunsten des Zentrums, sondern zu Gunsten nicht reichsfeindlicher
Abgeordneten in die Wagschale werfe. Ob die Herren vom Zentrum ernstlich
die Absicht haben, sich zwischen die beiden Feuer der vatikanischen Verleugnung
und der neuen Popularität des Reichskanzlers auch bei den katholischen Wähler¬
massen zu stellen, muß man sehr bezweifeln. Wir können daher nur wieder¬
holen, was wir im ersten dieser Briefe gesagt: Das Zentrum ist nicht nur
bei den Schutzzöllen, sondern auch bei den Fiuauzzöllen kein gefährlicher d. i.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/202>, abgerufen am 27.12.2024.