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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Betrachten wir zuerst das Schöne, insofern es durch das bewußte Thun
des Menschen entsteht, also den Inhalt der Kunst und Dichtung bildet. Hier
ist es leicht, den Zusammenhang des Schönen mit dem Guten zu erkennen, so
lange wir in der Sphäre der Dichtung verweilen; denn mag sie uns im Drama
und Epos die Geschicke des Menschenlebens vergegenwärtigen in seinen Kämpfen
und Siegen, in seinen Schmerzen und Leiden, mag sie in der Lyrik die innersten
Gefühle der Seele, ihre Trauer und ihre Freude ausklingen lassen, nie wird
die echte Poesie die Empfindungen und Anschauungen des blos sinnlich be¬
stimmten Menschen feiern, sondern das Ewige in ihm, seinen Zusammenhang
mit der unsichtbaren ewigen Weltordnung, die sittlichen Gesetzen gehorcht, zum
Ausdruck bringen. Und die Verknüpfung des Lyrischen mit dem Ethischen ist
auch zugleich der Schlüssel des Verständnisses für das Verhältniß, das die
Musik zu diesem einnimmt, die Musik, in der die unaussprechbaren Gefühle
des Menschen zum Ausdruck gelangen. Lofer geschürzt ist das Band, das die
bildende Kunst mit dem Guten verknüpft, aber doch auch nicht schwer zu er¬
kennen. Denn das ist ihr ja in allen Gestalten eigen, auf das Harmonische,
gerichtet zu sein und das Disharmonische nur insoweit in die Darstellung auf¬
zunehmen, als es von einem höheren Gesichtspunkt aus in die Harmonie eines
Ganzen sich einfügt. Hier ist der Punkt, wo sich die bildende Kunst mit der
Idee des Guten berührt. Denn diese verwirklicht sich nur unter der Bedingung
harmonischer Lebensgestaltung, hat diese zum Zweck und den Frieden der Seele,
d. h. harmonische Gesammtstimmung zur Folge; wie denn auf der andern
Seite das sittlich Böse durch disharmonische Lebensgestaltung entsteht, eine
Steigerung derselben hervorbringt und von disharmonischer Gesammtstimmung
begleitet wird.

Nach diesen Ausführungen wird es eines Nachweises der Beziehungen
zwischen der Idee des Guten und der Auffassung des Naturschönen nicht be¬
dürfen, und wenige Worte werden genügen, um den Zusammenhang zwischen
dem Schönen und Wahren zu zeigen. Einmal ist derselbe ein mittelbarer, in¬
sofern das Gute mit dem Wahren unlösbar verknüpft ist, dann aber auch ein
unmittelbarer, indem die Erzeugung des Schönen an die Erkenntnisse der Ge¬
setze geknüpft ist, denen die Wirklichkeit gehorcht. Denn nur, was innerhalb
dieser Schranken möglich ist, kann den Gegenstand künstlerischer Thätigkeit bilden.

Diese Ideenwelt, die in den drei Prinzipien des Guten, Wahren und
Schönen sich zusammenfaßt, ist es, welche den Inhalt der menschlichen Freiheit
bilden soll. Die Verwirklichung derselben in allen Gebieten, durch alle Be¬
thätigungsweisen des menschlichen Geistes ist der Zweck der Geschichte. Hier
erhebt sich nun aber die schwierige Frage, welche, zumal in der christlichen Zeit,
die größten Denker beschäftigt hat: Ist eine Entwickelung der Menschheit denk-


Betrachten wir zuerst das Schöne, insofern es durch das bewußte Thun
des Menschen entsteht, also den Inhalt der Kunst und Dichtung bildet. Hier
ist es leicht, den Zusammenhang des Schönen mit dem Guten zu erkennen, so
lange wir in der Sphäre der Dichtung verweilen; denn mag sie uns im Drama
und Epos die Geschicke des Menschenlebens vergegenwärtigen in seinen Kämpfen
und Siegen, in seinen Schmerzen und Leiden, mag sie in der Lyrik die innersten
Gefühle der Seele, ihre Trauer und ihre Freude ausklingen lassen, nie wird
die echte Poesie die Empfindungen und Anschauungen des blos sinnlich be¬
stimmten Menschen feiern, sondern das Ewige in ihm, seinen Zusammenhang
mit der unsichtbaren ewigen Weltordnung, die sittlichen Gesetzen gehorcht, zum
Ausdruck bringen. Und die Verknüpfung des Lyrischen mit dem Ethischen ist
auch zugleich der Schlüssel des Verständnisses für das Verhältniß, das die
Musik zu diesem einnimmt, die Musik, in der die unaussprechbaren Gefühle
des Menschen zum Ausdruck gelangen. Lofer geschürzt ist das Band, das die
bildende Kunst mit dem Guten verknüpft, aber doch auch nicht schwer zu er¬
kennen. Denn das ist ihr ja in allen Gestalten eigen, auf das Harmonische,
gerichtet zu sein und das Disharmonische nur insoweit in die Darstellung auf¬
zunehmen, als es von einem höheren Gesichtspunkt aus in die Harmonie eines
Ganzen sich einfügt. Hier ist der Punkt, wo sich die bildende Kunst mit der
Idee des Guten berührt. Denn diese verwirklicht sich nur unter der Bedingung
harmonischer Lebensgestaltung, hat diese zum Zweck und den Frieden der Seele,
d. h. harmonische Gesammtstimmung zur Folge; wie denn auf der andern
Seite das sittlich Böse durch disharmonische Lebensgestaltung entsteht, eine
Steigerung derselben hervorbringt und von disharmonischer Gesammtstimmung
begleitet wird.

Nach diesen Ausführungen wird es eines Nachweises der Beziehungen
zwischen der Idee des Guten und der Auffassung des Naturschönen nicht be¬
dürfen, und wenige Worte werden genügen, um den Zusammenhang zwischen
dem Schönen und Wahren zu zeigen. Einmal ist derselbe ein mittelbarer, in¬
sofern das Gute mit dem Wahren unlösbar verknüpft ist, dann aber auch ein
unmittelbarer, indem die Erzeugung des Schönen an die Erkenntnisse der Ge¬
setze geknüpft ist, denen die Wirklichkeit gehorcht. Denn nur, was innerhalb
dieser Schranken möglich ist, kann den Gegenstand künstlerischer Thätigkeit bilden.

Diese Ideenwelt, die in den drei Prinzipien des Guten, Wahren und
Schönen sich zusammenfaßt, ist es, welche den Inhalt der menschlichen Freiheit
bilden soll. Die Verwirklichung derselben in allen Gebieten, durch alle Be¬
thätigungsweisen des menschlichen Geistes ist der Zweck der Geschichte. Hier
erhebt sich nun aber die schwierige Frage, welche, zumal in der christlichen Zeit,
die größten Denker beschäftigt hat: Ist eine Entwickelung der Menschheit denk-


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[0181] Betrachten wir zuerst das Schöne, insofern es durch das bewußte Thun des Menschen entsteht, also den Inhalt der Kunst und Dichtung bildet. Hier ist es leicht, den Zusammenhang des Schönen mit dem Guten zu erkennen, so lange wir in der Sphäre der Dichtung verweilen; denn mag sie uns im Drama und Epos die Geschicke des Menschenlebens vergegenwärtigen in seinen Kämpfen und Siegen, in seinen Schmerzen und Leiden, mag sie in der Lyrik die innersten Gefühle der Seele, ihre Trauer und ihre Freude ausklingen lassen, nie wird die echte Poesie die Empfindungen und Anschauungen des blos sinnlich be¬ stimmten Menschen feiern, sondern das Ewige in ihm, seinen Zusammenhang mit der unsichtbaren ewigen Weltordnung, die sittlichen Gesetzen gehorcht, zum Ausdruck bringen. Und die Verknüpfung des Lyrischen mit dem Ethischen ist auch zugleich der Schlüssel des Verständnisses für das Verhältniß, das die Musik zu diesem einnimmt, die Musik, in der die unaussprechbaren Gefühle des Menschen zum Ausdruck gelangen. Lofer geschürzt ist das Band, das die bildende Kunst mit dem Guten verknüpft, aber doch auch nicht schwer zu er¬ kennen. Denn das ist ihr ja in allen Gestalten eigen, auf das Harmonische, gerichtet zu sein und das Disharmonische nur insoweit in die Darstellung auf¬ zunehmen, als es von einem höheren Gesichtspunkt aus in die Harmonie eines Ganzen sich einfügt. Hier ist der Punkt, wo sich die bildende Kunst mit der Idee des Guten berührt. Denn diese verwirklicht sich nur unter der Bedingung harmonischer Lebensgestaltung, hat diese zum Zweck und den Frieden der Seele, d. h. harmonische Gesammtstimmung zur Folge; wie denn auf der andern Seite das sittlich Böse durch disharmonische Lebensgestaltung entsteht, eine Steigerung derselben hervorbringt und von disharmonischer Gesammtstimmung begleitet wird. Nach diesen Ausführungen wird es eines Nachweises der Beziehungen zwischen der Idee des Guten und der Auffassung des Naturschönen nicht be¬ dürfen, und wenige Worte werden genügen, um den Zusammenhang zwischen dem Schönen und Wahren zu zeigen. Einmal ist derselbe ein mittelbarer, in¬ sofern das Gute mit dem Wahren unlösbar verknüpft ist, dann aber auch ein unmittelbarer, indem die Erzeugung des Schönen an die Erkenntnisse der Ge¬ setze geknüpft ist, denen die Wirklichkeit gehorcht. Denn nur, was innerhalb dieser Schranken möglich ist, kann den Gegenstand künstlerischer Thätigkeit bilden. Diese Ideenwelt, die in den drei Prinzipien des Guten, Wahren und Schönen sich zusammenfaßt, ist es, welche den Inhalt der menschlichen Freiheit bilden soll. Die Verwirklichung derselben in allen Gebieten, durch alle Be¬ thätigungsweisen des menschlichen Geistes ist der Zweck der Geschichte. Hier erhebt sich nun aber die schwierige Frage, welche, zumal in der christlichen Zeit, die größten Denker beschäftigt hat: Ist eine Entwickelung der Menschheit denk-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/181>, abgerufen am 27.09.2024.