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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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tigung und Unterhalt zu schaffen, was alles um so ergiebiger sein müßte,
als selbstverständlich auch die Anforderungen der Staaten und Gemeinden für
Verwaltung, Militär und Marinewesen, Jugendbildung, kommunale Anlagen
u. dergl. sich proportional steigern werden, so ist es klar, daß im Gefolge einer
so große Dimensionen einnehmenden Verarmung auch noch andere Gefahren
erscheinen werden, die wir hier gar nicht zu berühren wagen. Aber selbst
angenommen, daß obige Zahl zu hoch gegriffen sei, und 1900 die Bevölkerung
nur auf etwa 55 Millionen gewachsen sein würde, müßte man nicht trotzdem
darauf bedacht sein, für die theils schon bestehenden, theils, und in noch größerem
Umfange, drohenden Mißstände geeignete Abhilfe zu schaffen? Wohin anders
soll es kommen, wenn die Anforderungen der Staaten und Gemeinden von
Jahr zu Jahr steigen, die Steuerkraft des Volkes aber, anstatt zu wachsen,
abnimmt, als zu einem allgemeinen Bankerott? Welche bessere Auskunft aber
könnte es andererseits geben als die der Kolonisation? Das Mutterland bliebe
vor Uebervölkerung geschützt, die Zurückbleibenden fänden lohnenderen Erwerb,
und die meisten der Uebelstände, welche der jetzigen Auswanderung anhaften,
würden verschwinden; die Kolonisten würden der Nationalität nicht verloren gehen,
sondern für sie Propaganda machen, für die deutsche Industrie wäre ein natür¬
liches Absatzgebiet geschaffen, der Handel fände vielseitige Thätigkeit und könnte
sich nach und nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit erringen, endlich aber
würde der deutschen Marine, die bisher nicht recht wußte, was sie eigentlich
thun sollte, eine würdige Aufgabe werden: nämlich der Schutz der deutschen
Kolonieen und ihrer Interessen. Denn vorläufig, hierin dürfte Fabri Recht
haben, sind die hohen Ausgaben für unsere Marine als ein Luxus anzusehen,
den sich ein so armes Land, wie Deutschland es ist, eigentlich nicht erlauben
dürfte.

Gesteht man die Nothwendigkeit der deutschen Kolonisation zu, so würde
es sich zunächst darum handeln, in welcher Form Kolonieen angelegt zu werden
pflegen. Fabri unterscheidet drei Hauptarten: Ackerbau-, Handels- und Straf-
kolonieen. Die letzteren bringt er allerdings nicht ohne eine gewisse Reserve in
Vorschlag. Eine vierte Art, die er Ausbeutungskolonieen nennt, und für die
man auch den Namen Raubkolonien einsetzen könnte, ist hauptsächlich von den
Spaniern und Portugiesen in Anwendung gebracht worden, verdient aber kaum
den Namen Kolonieen, da es jenen gar nicht auf regelrechte Besiedelung und
Kultivirung des Bodens ankam, sondern hauptsächlich aus Aneignung der vor¬
handenen mineralischen Schätze. Dafür sind sie freilich anch gestraft worden,
denn sie haben nicht nur ihren Kolonialbesitz verloren, sondern ihre Länder
selbst sind von ihrer einstigen Höhe bedeutend herabgesunken.

Ackerbau- und Handelskolonieen sind schon durch klimatische Verhältnisse


tigung und Unterhalt zu schaffen, was alles um so ergiebiger sein müßte,
als selbstverständlich auch die Anforderungen der Staaten und Gemeinden für
Verwaltung, Militär und Marinewesen, Jugendbildung, kommunale Anlagen
u. dergl. sich proportional steigern werden, so ist es klar, daß im Gefolge einer
so große Dimensionen einnehmenden Verarmung auch noch andere Gefahren
erscheinen werden, die wir hier gar nicht zu berühren wagen. Aber selbst
angenommen, daß obige Zahl zu hoch gegriffen sei, und 1900 die Bevölkerung
nur auf etwa 55 Millionen gewachsen sein würde, müßte man nicht trotzdem
darauf bedacht sein, für die theils schon bestehenden, theils, und in noch größerem
Umfange, drohenden Mißstände geeignete Abhilfe zu schaffen? Wohin anders
soll es kommen, wenn die Anforderungen der Staaten und Gemeinden von
Jahr zu Jahr steigen, die Steuerkraft des Volkes aber, anstatt zu wachsen,
abnimmt, als zu einem allgemeinen Bankerott? Welche bessere Auskunft aber
könnte es andererseits geben als die der Kolonisation? Das Mutterland bliebe
vor Uebervölkerung geschützt, die Zurückbleibenden fänden lohnenderen Erwerb,
und die meisten der Uebelstände, welche der jetzigen Auswanderung anhaften,
würden verschwinden; die Kolonisten würden der Nationalität nicht verloren gehen,
sondern für sie Propaganda machen, für die deutsche Industrie wäre ein natür¬
liches Absatzgebiet geschaffen, der Handel fände vielseitige Thätigkeit und könnte
sich nach und nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit erringen, endlich aber
würde der deutschen Marine, die bisher nicht recht wußte, was sie eigentlich
thun sollte, eine würdige Aufgabe werden: nämlich der Schutz der deutschen
Kolonieen und ihrer Interessen. Denn vorläufig, hierin dürfte Fabri Recht
haben, sind die hohen Ausgaben für unsere Marine als ein Luxus anzusehen,
den sich ein so armes Land, wie Deutschland es ist, eigentlich nicht erlauben
dürfte.

Gesteht man die Nothwendigkeit der deutschen Kolonisation zu, so würde
es sich zunächst darum handeln, in welcher Form Kolonieen angelegt zu werden
pflegen. Fabri unterscheidet drei Hauptarten: Ackerbau-, Handels- und Straf-
kolonieen. Die letzteren bringt er allerdings nicht ohne eine gewisse Reserve in
Vorschlag. Eine vierte Art, die er Ausbeutungskolonieen nennt, und für die
man auch den Namen Raubkolonien einsetzen könnte, ist hauptsächlich von den
Spaniern und Portugiesen in Anwendung gebracht worden, verdient aber kaum
den Namen Kolonieen, da es jenen gar nicht auf regelrechte Besiedelung und
Kultivirung des Bodens ankam, sondern hauptsächlich aus Aneignung der vor¬
handenen mineralischen Schätze. Dafür sind sie freilich anch gestraft worden,
denn sie haben nicht nur ihren Kolonialbesitz verloren, sondern ihre Länder
selbst sind von ihrer einstigen Höhe bedeutend herabgesunken.

Ackerbau- und Handelskolonieen sind schon durch klimatische Verhältnisse


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[0174] tigung und Unterhalt zu schaffen, was alles um so ergiebiger sein müßte, als selbstverständlich auch die Anforderungen der Staaten und Gemeinden für Verwaltung, Militär und Marinewesen, Jugendbildung, kommunale Anlagen u. dergl. sich proportional steigern werden, so ist es klar, daß im Gefolge einer so große Dimensionen einnehmenden Verarmung auch noch andere Gefahren erscheinen werden, die wir hier gar nicht zu berühren wagen. Aber selbst angenommen, daß obige Zahl zu hoch gegriffen sei, und 1900 die Bevölkerung nur auf etwa 55 Millionen gewachsen sein würde, müßte man nicht trotzdem darauf bedacht sein, für die theils schon bestehenden, theils, und in noch größerem Umfange, drohenden Mißstände geeignete Abhilfe zu schaffen? Wohin anders soll es kommen, wenn die Anforderungen der Staaten und Gemeinden von Jahr zu Jahr steigen, die Steuerkraft des Volkes aber, anstatt zu wachsen, abnimmt, als zu einem allgemeinen Bankerott? Welche bessere Auskunft aber könnte es andererseits geben als die der Kolonisation? Das Mutterland bliebe vor Uebervölkerung geschützt, die Zurückbleibenden fänden lohnenderen Erwerb, und die meisten der Uebelstände, welche der jetzigen Auswanderung anhaften, würden verschwinden; die Kolonisten würden der Nationalität nicht verloren gehen, sondern für sie Propaganda machen, für die deutsche Industrie wäre ein natür¬ liches Absatzgebiet geschaffen, der Handel fände vielseitige Thätigkeit und könnte sich nach und nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit erringen, endlich aber würde der deutschen Marine, die bisher nicht recht wußte, was sie eigentlich thun sollte, eine würdige Aufgabe werden: nämlich der Schutz der deutschen Kolonieen und ihrer Interessen. Denn vorläufig, hierin dürfte Fabri Recht haben, sind die hohen Ausgaben für unsere Marine als ein Luxus anzusehen, den sich ein so armes Land, wie Deutschland es ist, eigentlich nicht erlauben dürfte. Gesteht man die Nothwendigkeit der deutschen Kolonisation zu, so würde es sich zunächst darum handeln, in welcher Form Kolonieen angelegt zu werden pflegen. Fabri unterscheidet drei Hauptarten: Ackerbau-, Handels- und Straf- kolonieen. Die letzteren bringt er allerdings nicht ohne eine gewisse Reserve in Vorschlag. Eine vierte Art, die er Ausbeutungskolonieen nennt, und für die man auch den Namen Raubkolonien einsetzen könnte, ist hauptsächlich von den Spaniern und Portugiesen in Anwendung gebracht worden, verdient aber kaum den Namen Kolonieen, da es jenen gar nicht auf regelrechte Besiedelung und Kultivirung des Bodens ankam, sondern hauptsächlich aus Aneignung der vor¬ handenen mineralischen Schätze. Dafür sind sie freilich anch gestraft worden, denn sie haben nicht nur ihren Kolonialbesitz verloren, sondern ihre Länder selbst sind von ihrer einstigen Höhe bedeutend herabgesunken. Ackerbau- und Handelskolonieen sind schon durch klimatische Verhältnisse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/174>, abgerufen am 18.06.2024.