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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Daß Fabri diese Frage, wenn auch nicht erschöpfend und in allen Einzel¬
heiten richtig, doch mit dem ersichtlichen Streben nach Sachlichkeit wieder auf¬
gefrischt hat, ist ein unleugbares Verdienst, und es erscheint als eine unab¬
weisbare Pflicht der Presse, seinen Ansichten, soweit sie richtig sind, zur mög¬
lichsten Verbreitung zu verhelfen, soweit sie falsch sind, zu verbessern, und wo
sie lückenhaft erscheinen, zu ergänzen, weiter auszuführen und tiefer zu be¬
gründen. Sicherlich würde man den größten Fehler begehen, wenn man sie,
weil manches nicht den Nagel auf den Kopf trifft, wieder wie früher bei Seite
schieben wollte.

Der Titel: "Bedarf Deutschland der Kolonieen?" erschöpft den Inhalt
von Fabri's Schriftchen nicht, denn an die bejahende Beantwortung der von
ihm aufgeworfenen Frage schließt sich eine Auseinandersetzung über die Haupt¬
formen der Kolonieen, sowie eine Aufsuchung derjenigen Gebiete ans der Erde,
denen sich etwa die deutsche Kolonisation zuwenden könnte. Nebenbei werden
noch manche andere Punkte in den Bereich der Betrachtung gezogen, die zum
Theil nebensächlich sind und vielleicht ganz hätten wegbleiben können, zum
Theil aber, sogar eine breitere Ausführung verdient hätten.

Die Dreizahl der Haupteintheilung tritt uns auch in der Begründung
der Kardiualfrage entgegen. Daß Deutschland der Kolonieen bedürfe, wird
bewiesen im Hinblick auf unsere wirthschaftliche Lage, auf die Krisis unserer
Zoll- und Handelspolitik und auf unsere mächtig sich entfaltende Kriegs-Marine.

Die Grundlage zur Entwickelung der in wirthschaftlicher Beziehung besser
gestellten Staaten wurde zumeist in den letzten zwei oder drei Jahrhunderten
gelegt. Deutschland aber wurde gerade in dieser Periode von zwei Kata¬
strophen, dem dreißigjährigen Kriege, der allen Wohlstand vernichtete, und der
napoleonischen Fremdherrschaft, so hart getroffen und hatte in unserm Jahr¬
hundert soviel mit seiner politischen Entwickelung zu schaffen, daß es sich erst
in allerneuester Zeit etwas zu heben begonnen hat. Von denjenigen Staaten
dagegen, die wir zunächst zum Vergleich heranziehen möchten, Frankreich und
England, erfreute sich das erstere nach seiner territorialen Einigung einer
mehrere Jahrhunderte andauernden friedlichen Entfaltung seiner Kräfte, so daß
selbst das furchtbare Gewitter der großen Revolution den Wohlstand der Nation
nicht ganz erschöpfen konnte; England vollends befand sich von Elisabeth's
Zeiten an in der Bahn einer ruhigen und stetigen Arbeitsthätigkeit, häufte
Schätze auf Schätze und blieb von schwereren Schicksalsschlägen gänzlich ver¬
schont. Dazu kommt, daß Frankreich in Folge seiner südlicheren Lage, England
durch seine insulare Abgeschlossenheit Deutschland um ein Beträchtliches über¬
traf. Gerade aber als unser Vaterland in einer Besserung seiner wirthschaft¬
lichen Lage begriffen schien, brach die Krisis der jüngsten Jahre mit um so


Daß Fabri diese Frage, wenn auch nicht erschöpfend und in allen Einzel¬
heiten richtig, doch mit dem ersichtlichen Streben nach Sachlichkeit wieder auf¬
gefrischt hat, ist ein unleugbares Verdienst, und es erscheint als eine unab¬
weisbare Pflicht der Presse, seinen Ansichten, soweit sie richtig sind, zur mög¬
lichsten Verbreitung zu verhelfen, soweit sie falsch sind, zu verbessern, und wo
sie lückenhaft erscheinen, zu ergänzen, weiter auszuführen und tiefer zu be¬
gründen. Sicherlich würde man den größten Fehler begehen, wenn man sie,
weil manches nicht den Nagel auf den Kopf trifft, wieder wie früher bei Seite
schieben wollte.

Der Titel: „Bedarf Deutschland der Kolonieen?" erschöpft den Inhalt
von Fabri's Schriftchen nicht, denn an die bejahende Beantwortung der von
ihm aufgeworfenen Frage schließt sich eine Auseinandersetzung über die Haupt¬
formen der Kolonieen, sowie eine Aufsuchung derjenigen Gebiete ans der Erde,
denen sich etwa die deutsche Kolonisation zuwenden könnte. Nebenbei werden
noch manche andere Punkte in den Bereich der Betrachtung gezogen, die zum
Theil nebensächlich sind und vielleicht ganz hätten wegbleiben können, zum
Theil aber, sogar eine breitere Ausführung verdient hätten.

Die Dreizahl der Haupteintheilung tritt uns auch in der Begründung
der Kardiualfrage entgegen. Daß Deutschland der Kolonieen bedürfe, wird
bewiesen im Hinblick auf unsere wirthschaftliche Lage, auf die Krisis unserer
Zoll- und Handelspolitik und auf unsere mächtig sich entfaltende Kriegs-Marine.

Die Grundlage zur Entwickelung der in wirthschaftlicher Beziehung besser
gestellten Staaten wurde zumeist in den letzten zwei oder drei Jahrhunderten
gelegt. Deutschland aber wurde gerade in dieser Periode von zwei Kata¬
strophen, dem dreißigjährigen Kriege, der allen Wohlstand vernichtete, und der
napoleonischen Fremdherrschaft, so hart getroffen und hatte in unserm Jahr¬
hundert soviel mit seiner politischen Entwickelung zu schaffen, daß es sich erst
in allerneuester Zeit etwas zu heben begonnen hat. Von denjenigen Staaten
dagegen, die wir zunächst zum Vergleich heranziehen möchten, Frankreich und
England, erfreute sich das erstere nach seiner territorialen Einigung einer
mehrere Jahrhunderte andauernden friedlichen Entfaltung seiner Kräfte, so daß
selbst das furchtbare Gewitter der großen Revolution den Wohlstand der Nation
nicht ganz erschöpfen konnte; England vollends befand sich von Elisabeth's
Zeiten an in der Bahn einer ruhigen und stetigen Arbeitsthätigkeit, häufte
Schätze auf Schätze und blieb von schwereren Schicksalsschlägen gänzlich ver¬
schont. Dazu kommt, daß Frankreich in Folge seiner südlicheren Lage, England
durch seine insulare Abgeschlossenheit Deutschland um ein Beträchtliches über¬
traf. Gerade aber als unser Vaterland in einer Besserung seiner wirthschaft¬
lichen Lage begriffen schien, brach die Krisis der jüngsten Jahre mit um so


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[0171] Daß Fabri diese Frage, wenn auch nicht erschöpfend und in allen Einzel¬ heiten richtig, doch mit dem ersichtlichen Streben nach Sachlichkeit wieder auf¬ gefrischt hat, ist ein unleugbares Verdienst, und es erscheint als eine unab¬ weisbare Pflicht der Presse, seinen Ansichten, soweit sie richtig sind, zur mög¬ lichsten Verbreitung zu verhelfen, soweit sie falsch sind, zu verbessern, und wo sie lückenhaft erscheinen, zu ergänzen, weiter auszuführen und tiefer zu be¬ gründen. Sicherlich würde man den größten Fehler begehen, wenn man sie, weil manches nicht den Nagel auf den Kopf trifft, wieder wie früher bei Seite schieben wollte. Der Titel: „Bedarf Deutschland der Kolonieen?" erschöpft den Inhalt von Fabri's Schriftchen nicht, denn an die bejahende Beantwortung der von ihm aufgeworfenen Frage schließt sich eine Auseinandersetzung über die Haupt¬ formen der Kolonieen, sowie eine Aufsuchung derjenigen Gebiete ans der Erde, denen sich etwa die deutsche Kolonisation zuwenden könnte. Nebenbei werden noch manche andere Punkte in den Bereich der Betrachtung gezogen, die zum Theil nebensächlich sind und vielleicht ganz hätten wegbleiben können, zum Theil aber, sogar eine breitere Ausführung verdient hätten. Die Dreizahl der Haupteintheilung tritt uns auch in der Begründung der Kardiualfrage entgegen. Daß Deutschland der Kolonieen bedürfe, wird bewiesen im Hinblick auf unsere wirthschaftliche Lage, auf die Krisis unserer Zoll- und Handelspolitik und auf unsere mächtig sich entfaltende Kriegs-Marine. Die Grundlage zur Entwickelung der in wirthschaftlicher Beziehung besser gestellten Staaten wurde zumeist in den letzten zwei oder drei Jahrhunderten gelegt. Deutschland aber wurde gerade in dieser Periode von zwei Kata¬ strophen, dem dreißigjährigen Kriege, der allen Wohlstand vernichtete, und der napoleonischen Fremdherrschaft, so hart getroffen und hatte in unserm Jahr¬ hundert soviel mit seiner politischen Entwickelung zu schaffen, daß es sich erst in allerneuester Zeit etwas zu heben begonnen hat. Von denjenigen Staaten dagegen, die wir zunächst zum Vergleich heranziehen möchten, Frankreich und England, erfreute sich das erstere nach seiner territorialen Einigung einer mehrere Jahrhunderte andauernden friedlichen Entfaltung seiner Kräfte, so daß selbst das furchtbare Gewitter der großen Revolution den Wohlstand der Nation nicht ganz erschöpfen konnte; England vollends befand sich von Elisabeth's Zeiten an in der Bahn einer ruhigen und stetigen Arbeitsthätigkeit, häufte Schätze auf Schätze und blieb von schwereren Schicksalsschlägen gänzlich ver¬ schont. Dazu kommt, daß Frankreich in Folge seiner südlicheren Lage, England durch seine insulare Abgeschlossenheit Deutschland um ein Beträchtliches über¬ traf. Gerade aber als unser Vaterland in einer Besserung seiner wirthschaft¬ lichen Lage begriffen schien, brach die Krisis der jüngsten Jahre mit um so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/171>, abgerufen am 27.09.2024.