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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Fortschritte der Ausgrabungen in und um Athen machten in den letzten Jahren
eine Ergänzung jener Arbeiten wünschenswerth, deren Erweiterung auch durch
andere Umstände dringend geboten erschien. In der That mußte die schonungs-
lose Art, in der man die letzten Spuren der Vergangenheit fast systematisch
hier vernichtet, durch Sprenggruben und Steinbrüche gerade diejenigen Stellen,
welche um ihrer antiken Bedeutung willen ein spezielles Interesse haben, ge¬
waltsam zerstört, dazu der mangelnde Schutz der Behörden auf dem Lande,
in Folge dessen jede Willkür hinsichtlich etwa vorhandener Alterthümer erlaubt
ist, es fast als Pflicht erscheinen lassen, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln
den Abschluß jener Arbeiten zu beschleunigen, bevor Alles vollständig zerstört
und vom Erdboden verschwunden sein würde. Im Jahre 1875 wurde daher
eine zweite Kommission, bestehend aus Ernst Curtius und dem königlichen
Vermessungs - Inspektor im Gr. Generalstab, Herrn Kaupert, nach Athen ent¬
sandt. Ihr Zweck war ein doppelter: zunächst eine genaue Spezial-Aufnahme
der Stadt und ihrer nächsten Umgebung, sodann eine Vermessung des ge¬
summten Thalbeckens der sogenannten attischen Ebene. Die letztere Arbeit konnte
jedoch erst im Jahre 1877 begonnen werden. Ich hatte das Glück, bei dieser
Expedition Verwendung und so die ersehnte Gelegenheit zu finden, den klassi¬
schen Boden zu betreten.

Der Schnee bedeckte die deutschen Fluren, als der Weg mich über die
eisstarrenden Gletscher der Hochalp den sonnigen Gefilden Italien's entgegen¬
führte. Brindisi war das nächste Ziel. Ein italienischer Dampfer trug uns
von da nach Corfu hinüber, der ersten Station, wo griechisches Leben beginnt.

Wer dächte nicht mit Entzücken an Corfu? Weithin über die See tragen
uns schon die Lüfte den Duft seiner Orangen entgegen. Eine Heimat ewigen
Frühlings, liegt sie im Sonnenglanze da. Die Vegetation fast aller Zonen,
die nordische Eiche, die Rosenfülle Persien's sieht man hier vereint neben den
Palmen Afrika's und den Cacteen der Sahara. Nur zu bald entschwand sie
wieder dem Blicke. Diesmal ist es ein griechischer Dampfer, der uns nach
Korinth trägt, damit wir auf kürzestem Wege über den Isthmus die Reise
fortsetzen. An Bord schon ganz orientalischer Charakter. Ein buntes Gemisch
phantastischer Trachten. Auf seinem Kasten, die Beine gekreuzt, sitzt ein Derwisch,
eifrig im Koran lesend, der ihm Nachts zugleich als Ruhekissen dient. In
tiefe Andacht versunken, hat er augenscheinlich längst die Pflicht der heiligen
Waschungen vergessen. Dort sehen wir einen Armenier mit geläufiger Zunge
seiner Umgebung Perlen und andere Kostbarkeiten anpreisen, bei allen Heiligen
ihre Echtheit versichernd. Inmitten der lärmenden Menge schreitet stolz, das
Ziegenfell nachlässig über die Schulter geworfen, ein griechischer Demarch, die
Uebrigen kaum eines Blickes würdigend. Er ist einer jener wenigen Neprä-


Fortschritte der Ausgrabungen in und um Athen machten in den letzten Jahren
eine Ergänzung jener Arbeiten wünschenswerth, deren Erweiterung auch durch
andere Umstände dringend geboten erschien. In der That mußte die schonungs-
lose Art, in der man die letzten Spuren der Vergangenheit fast systematisch
hier vernichtet, durch Sprenggruben und Steinbrüche gerade diejenigen Stellen,
welche um ihrer antiken Bedeutung willen ein spezielles Interesse haben, ge¬
waltsam zerstört, dazu der mangelnde Schutz der Behörden auf dem Lande,
in Folge dessen jede Willkür hinsichtlich etwa vorhandener Alterthümer erlaubt
ist, es fast als Pflicht erscheinen lassen, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln
den Abschluß jener Arbeiten zu beschleunigen, bevor Alles vollständig zerstört
und vom Erdboden verschwunden sein würde. Im Jahre 1875 wurde daher
eine zweite Kommission, bestehend aus Ernst Curtius und dem königlichen
Vermessungs - Inspektor im Gr. Generalstab, Herrn Kaupert, nach Athen ent¬
sandt. Ihr Zweck war ein doppelter: zunächst eine genaue Spezial-Aufnahme
der Stadt und ihrer nächsten Umgebung, sodann eine Vermessung des ge¬
summten Thalbeckens der sogenannten attischen Ebene. Die letztere Arbeit konnte
jedoch erst im Jahre 1877 begonnen werden. Ich hatte das Glück, bei dieser
Expedition Verwendung und so die ersehnte Gelegenheit zu finden, den klassi¬
schen Boden zu betreten.

Der Schnee bedeckte die deutschen Fluren, als der Weg mich über die
eisstarrenden Gletscher der Hochalp den sonnigen Gefilden Italien's entgegen¬
führte. Brindisi war das nächste Ziel. Ein italienischer Dampfer trug uns
von da nach Corfu hinüber, der ersten Station, wo griechisches Leben beginnt.

Wer dächte nicht mit Entzücken an Corfu? Weithin über die See tragen
uns schon die Lüfte den Duft seiner Orangen entgegen. Eine Heimat ewigen
Frühlings, liegt sie im Sonnenglanze da. Die Vegetation fast aller Zonen,
die nordische Eiche, die Rosenfülle Persien's sieht man hier vereint neben den
Palmen Afrika's und den Cacteen der Sahara. Nur zu bald entschwand sie
wieder dem Blicke. Diesmal ist es ein griechischer Dampfer, der uns nach
Korinth trägt, damit wir auf kürzestem Wege über den Isthmus die Reise
fortsetzen. An Bord schon ganz orientalischer Charakter. Ein buntes Gemisch
phantastischer Trachten. Auf seinem Kasten, die Beine gekreuzt, sitzt ein Derwisch,
eifrig im Koran lesend, der ihm Nachts zugleich als Ruhekissen dient. In
tiefe Andacht versunken, hat er augenscheinlich längst die Pflicht der heiligen
Waschungen vergessen. Dort sehen wir einen Armenier mit geläufiger Zunge
seiner Umgebung Perlen und andere Kostbarkeiten anpreisen, bei allen Heiligen
ihre Echtheit versichernd. Inmitten der lärmenden Menge schreitet stolz, das
Ziegenfell nachlässig über die Schulter geworfen, ein griechischer Demarch, die
Uebrigen kaum eines Blickes würdigend. Er ist einer jener wenigen Neprä-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/126>, abgerufen am 19.10.2024.