Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.Hier ist es nöthig, nochmals auf die Frage einzugehen, ob selbst gegen die Hier ist es nöthig, nochmals auf die Frage einzugehen, ob selbst gegen die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0532" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141943"/> <p xml:id="ID_1626" next="#ID_1627"> Hier ist es nöthig, nochmals auf die Frage einzugehen, ob selbst gegen die<lb/> ärgsten Ausschreitungen die gelinden moralischen Strafen, Ordnungsruf und<lb/> Wortentziehung, in deutschen Parlamenten vielleicht ausreichend sind. Wie be¬<lb/> merkt, hatte Herr Laster behauptet, so arge Ausschreitungen, die an eine<lb/> schärfere Strafe denken lassen, seien überhaupt nicht vorgekommen. Der Falsch¬<lb/> heit dieser Behauptung wurde er, wie ebenfalls bemerkt, von seinen Entgegnen:<lb/> gründlich überführt. Aber andere Stimmen haben eine andere Behauptung<lb/> aufgestellt, nämlich die: wie arg auch hin und wieder ein einzelner Redner sich<lb/> vergehen und selbst freveln möge, die Ausschreitung falle auf deu Redner zurück<lb/> und könne die Würde des Reichstages nicht antasten. Wenn dieses Argument<lb/> richtig wäre, so müßten freilich alle Verbal- und Realinjurien freigegeben werden,<lb/> alle darauf gesetzten Strafen und selbst der strafrechtliche Begriff dieser Ver¬<lb/> gehen müßte verschwinden. Denn es ist ja ganz richtig: jeder rohe oder hämische<lb/> Angriff in Worten oder Werken fällt auf den Beleidiger zurück, so lauge die<lb/> guten Sitten in der Gesellschaft die Oberhand haben. Gleichwohl läßt die<lb/> Strafgesetzgebung von der Bestrafung der Injurien sich nicht abhalten, und<lb/> mit Recht. Wenn sie es thäte, würde die Gesellschaft ans edlen Duldern und<lb/> rohen Frevlern bestehen, ein Zustand, welcher bis auf eineni gewissen Grad der<lb/> Moral, aber niemals den sozialen Zwecken zu gute kommen könnte. Auch<lb/> das deutsche Parlament darf gegen seine Würde, in welcher die Ehre der<lb/> Nation verkörpert ist, nicht ungestraft freveln lassen. Um sich der Anerkennung<lb/> dieser Nothwendigkeit zu entziehen, hat man noch zwei Argumente übrig. Man<lb/> kommt erstlich immer wieder darauf zurück, daß die moralische Ahndung aus¬<lb/> reiche. Seit dem 17. Mürz, wo der Präsident v. Forkenbeck den Abgeordneten<lb/> Liebknecht erst mit einer von demonstrativen Beifall des ganzen Hauses be¬<lb/> gleiteten Bemerkung unterbrach, dann durch die bloße Ankündigung, über die<lb/> Wortentziehung abstimmen zu lassen, den Redner von der Tribüne verscheuchte,<lb/> beruft man sich mit Genugthuung auf diesen Vorgang für die genügende Wirkung<lb/> der mit gehörigem Nachdruck gehandhabten disziplinarischen Mittel. Man ver¬<lb/> gißt bei dieser Berufung Verschiedenes. Man vergißt, daß der zurechtgewiesene<lb/> Redner die einmüthige Stimme des Hauses gegen sich hatte, und daß in der<lb/> Bekundung dieser Einmüthigkeit die Hauptwirkung der Zurechtweisung lag.<lb/> Wie wäre der Eindruck der Szene gewesen, wenn 20 — 30 Sozialdemokraten<lb/> ihren Genossen lärmend unterstützt hätten? Man vergißt ferner, daß Herr<lb/> Liebknecht zwar durchaus kein Neuling ist in der Kunst, den Reichstag heraus¬<lb/> zufordern, aber allerdings ein Neuling in der Gewohnheit, einer scharfen<lb/> Ahndung ZU trotzen. Zu dieser Uebung hat der Reichstag bisher weder Herrn<lb/> Liebknecht noch anderen ausschreitenden Rednern die hinreichende Gelegenheit<lb/> geboten. Durch die schnelle Unterwerfung des Herrn Liebknecht ist diesmal</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0532]
Hier ist es nöthig, nochmals auf die Frage einzugehen, ob selbst gegen die
ärgsten Ausschreitungen die gelinden moralischen Strafen, Ordnungsruf und
Wortentziehung, in deutschen Parlamenten vielleicht ausreichend sind. Wie be¬
merkt, hatte Herr Laster behauptet, so arge Ausschreitungen, die an eine
schärfere Strafe denken lassen, seien überhaupt nicht vorgekommen. Der Falsch¬
heit dieser Behauptung wurde er, wie ebenfalls bemerkt, von seinen Entgegnen:
gründlich überführt. Aber andere Stimmen haben eine andere Behauptung
aufgestellt, nämlich die: wie arg auch hin und wieder ein einzelner Redner sich
vergehen und selbst freveln möge, die Ausschreitung falle auf deu Redner zurück
und könne die Würde des Reichstages nicht antasten. Wenn dieses Argument
richtig wäre, so müßten freilich alle Verbal- und Realinjurien freigegeben werden,
alle darauf gesetzten Strafen und selbst der strafrechtliche Begriff dieser Ver¬
gehen müßte verschwinden. Denn es ist ja ganz richtig: jeder rohe oder hämische
Angriff in Worten oder Werken fällt auf den Beleidiger zurück, so lauge die
guten Sitten in der Gesellschaft die Oberhand haben. Gleichwohl läßt die
Strafgesetzgebung von der Bestrafung der Injurien sich nicht abhalten, und
mit Recht. Wenn sie es thäte, würde die Gesellschaft ans edlen Duldern und
rohen Frevlern bestehen, ein Zustand, welcher bis auf eineni gewissen Grad der
Moral, aber niemals den sozialen Zwecken zu gute kommen könnte. Auch
das deutsche Parlament darf gegen seine Würde, in welcher die Ehre der
Nation verkörpert ist, nicht ungestraft freveln lassen. Um sich der Anerkennung
dieser Nothwendigkeit zu entziehen, hat man noch zwei Argumente übrig. Man
kommt erstlich immer wieder darauf zurück, daß die moralische Ahndung aus¬
reiche. Seit dem 17. Mürz, wo der Präsident v. Forkenbeck den Abgeordneten
Liebknecht erst mit einer von demonstrativen Beifall des ganzen Hauses be¬
gleiteten Bemerkung unterbrach, dann durch die bloße Ankündigung, über die
Wortentziehung abstimmen zu lassen, den Redner von der Tribüne verscheuchte,
beruft man sich mit Genugthuung auf diesen Vorgang für die genügende Wirkung
der mit gehörigem Nachdruck gehandhabten disziplinarischen Mittel. Man ver¬
gißt bei dieser Berufung Verschiedenes. Man vergißt, daß der zurechtgewiesene
Redner die einmüthige Stimme des Hauses gegen sich hatte, und daß in der
Bekundung dieser Einmüthigkeit die Hauptwirkung der Zurechtweisung lag.
Wie wäre der Eindruck der Szene gewesen, wenn 20 — 30 Sozialdemokraten
ihren Genossen lärmend unterstützt hätten? Man vergißt ferner, daß Herr
Liebknecht zwar durchaus kein Neuling ist in der Kunst, den Reichstag heraus¬
zufordern, aber allerdings ein Neuling in der Gewohnheit, einer scharfen
Ahndung ZU trotzen. Zu dieser Uebung hat der Reichstag bisher weder Herrn
Liebknecht noch anderen ausschreitenden Rednern die hinreichende Gelegenheit
geboten. Durch die schnelle Unterwerfung des Herrn Liebknecht ist diesmal
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