Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.Ich kenne die Gesetze wohl und Sie werden sie meist bei gefälligen Noch mehr hat mich auf meinem Gange bestärkt, daß der Musikus selbst Doch es ist genug, daß Sie es erinnern, daß es Ihnen hinderlich ist, Daß Scapin im vierten Akte gewissermaßen sich der Zärtlichkeit nähert, Ich kenne die Gesetze wohl und Sie werden sie meist bei gefälligen Noch mehr hat mich auf meinem Gange bestärkt, daß der Musikus selbst Doch es ist genug, daß Sie es erinnern, daß es Ihnen hinderlich ist, Daß Scapin im vierten Akte gewissermaßen sich der Zärtlichkeit nähert, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141936"/> <p xml:id="ID_1591"> Ich kenne die Gesetze wohl und Sie werden sie meist bei gefälligen<lb/> Arien, bey Duetts, wo die Personen übereinstimmen und wenig von einander<lb/> in Gesinnungen und Handlungen abweichen, beobachtet finden. Ich weiß<lb/> auch, daß die Italiener niemals vom eingeleiteten fließenden Rhytmus ab¬<lb/> weichen und daß vielleicht eben darum ihre Melodien so schöne Bewegungen<lb/> haben. Allein ich bin als Dichter die ewigen Jamben, Trochäen und Dack-<lb/> tylen mit ihren wenigen Maasen und Verschränkungen so müde geworden,<lb/> daß ich mit Willen und Vorsatz davon abgewichen bin. Vorzüglich hat mich<lb/> Gluckens Komposition dazu verleitet. Wenn ich unter seine Melodien statt<lb/> eines französischen Textes einen deutschen unterlegte, so mußte ich den Rhyt¬<lb/> mus brechen, den der Franzose glaubte sehr fließend gemacht zu haben,<lb/> Gluck aber hatte wegen der Zweifelt)aftigkeit der französischen Quantität<lb/> wirklich Längen und Kürzen nach Belieben verlegt und vorsätzlich ein anderes<lb/> Sylbenmaas eingeleitet als das war, dem er nach dem Schleuder hätte folgen<lb/> sollen. Ferner waren mir seine Compositionen der Klopstockscher Gedichte,<lb/> die er immer in einem musikalischen Rhytmus gezaubert hatte, merkwürdig.<lb/> Ich fing also an, den fließenden Gang der Arie wo Leidenschafft eintrat, zu<lb/> unterbrechen, oder vielmehr ich dachte ihn zu heben, zu verstärken, welches<lb/> auch gewiß geschieht, wenn ich nur zu lesen, zu deklamiren brauche. Ebenso<lb/> in Duetten, wo die Gesinnungen abweichen, wo Streit ist, wo nur vorüber¬<lb/> gehende Handlungen sind den Paralelismus zu vernachlässigen, oder vielmehr<lb/> ihn mit Fleis zu zerstören, und wie es geht, wenn man einmal auf einem<lb/> Wege oder Abwege ist, man hält nicht immer Maas.</p><lb/> <p xml:id="ID_1592"> Noch mehr hat mich auf meinem Gange bestärkt, daß der Musikus selbst<lb/> dadurch auf Schönheiten geleitet wird, wie der Bach die lieblichsten Brunnen<lb/> durch einen entgegenstehenden Fels gewinnt. Und haben Sie nicht selbst<lb/> Rezitativstellen auf eine unerwartet glückliche Weise in rytmischen Gang<lb/> gebracht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1593"> Doch es ist genug, daß Sie es erinnern, daß es Ihnen hinderlich ist,<lb/> und ich will mich wenigstens in Acht nehmen und ob ich gleich nicht ganz<lb/> davon lassen kann, so will ich Ihnen in solchen Fällen eine doppelte Lesart<lb/> zuschicken und wenn ich es ja versäumen sollte, auf Ihre Erinnerung jederzeit<lb/> nachbringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1594"> Daß Scapin im vierten Akte gewissermaßen sich der Zärtlichkeit nähert,<lb/> werden Sie schon leiten und führen. Der Musikus kann alles, das höchste<lb/> und tiefste kann, darf und muß er verbinden und blos in dieser Ueberzeu¬<lb/> gung habe ich mein Proteusartiges Ehepaar einführen können und wollte<lb/> noch tolleres Zeug wagen, wenn wir rechte Sänger, Akteurs und ein großes<lb/> Publicum vor uns hätten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0525]
Ich kenne die Gesetze wohl und Sie werden sie meist bei gefälligen
Arien, bey Duetts, wo die Personen übereinstimmen und wenig von einander
in Gesinnungen und Handlungen abweichen, beobachtet finden. Ich weiß
auch, daß die Italiener niemals vom eingeleiteten fließenden Rhytmus ab¬
weichen und daß vielleicht eben darum ihre Melodien so schöne Bewegungen
haben. Allein ich bin als Dichter die ewigen Jamben, Trochäen und Dack-
tylen mit ihren wenigen Maasen und Verschränkungen so müde geworden,
daß ich mit Willen und Vorsatz davon abgewichen bin. Vorzüglich hat mich
Gluckens Komposition dazu verleitet. Wenn ich unter seine Melodien statt
eines französischen Textes einen deutschen unterlegte, so mußte ich den Rhyt¬
mus brechen, den der Franzose glaubte sehr fließend gemacht zu haben,
Gluck aber hatte wegen der Zweifelt)aftigkeit der französischen Quantität
wirklich Längen und Kürzen nach Belieben verlegt und vorsätzlich ein anderes
Sylbenmaas eingeleitet als das war, dem er nach dem Schleuder hätte folgen
sollen. Ferner waren mir seine Compositionen der Klopstockscher Gedichte,
die er immer in einem musikalischen Rhytmus gezaubert hatte, merkwürdig.
Ich fing also an, den fließenden Gang der Arie wo Leidenschafft eintrat, zu
unterbrechen, oder vielmehr ich dachte ihn zu heben, zu verstärken, welches
auch gewiß geschieht, wenn ich nur zu lesen, zu deklamiren brauche. Ebenso
in Duetten, wo die Gesinnungen abweichen, wo Streit ist, wo nur vorüber¬
gehende Handlungen sind den Paralelismus zu vernachlässigen, oder vielmehr
ihn mit Fleis zu zerstören, und wie es geht, wenn man einmal auf einem
Wege oder Abwege ist, man hält nicht immer Maas.
Noch mehr hat mich auf meinem Gange bestärkt, daß der Musikus selbst
dadurch auf Schönheiten geleitet wird, wie der Bach die lieblichsten Brunnen
durch einen entgegenstehenden Fels gewinnt. Und haben Sie nicht selbst
Rezitativstellen auf eine unerwartet glückliche Weise in rytmischen Gang
gebracht.
Doch es ist genug, daß Sie es erinnern, daß es Ihnen hinderlich ist,
und ich will mich wenigstens in Acht nehmen und ob ich gleich nicht ganz
davon lassen kann, so will ich Ihnen in solchen Fällen eine doppelte Lesart
zuschicken und wenn ich es ja versäumen sollte, auf Ihre Erinnerung jederzeit
nachbringen.
Daß Scapin im vierten Akte gewissermaßen sich der Zärtlichkeit nähert,
werden Sie schon leiten und führen. Der Musikus kann alles, das höchste
und tiefste kann, darf und muß er verbinden und blos in dieser Ueberzeu¬
gung habe ich mein Proteusartiges Ehepaar einführen können und wollte
noch tolleres Zeug wagen, wenn wir rechte Sänger, Akteurs und ein großes
Publicum vor uns hätten.
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