Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Staat, und zwar in lebendigen, farbenreichen Bildern, die in siebzehn^Abschnitte
zerfallen. Eine Einleitung beschäftigt sich mit dem alten'"polnischen Staats¬
recht, dieser Petrifizirung mittelalterlicher Privilegien des Höheren und niederen
Adels gegenüber dem zur Ohnmacht herabgedrückten Königthum, aus welcher
sich der Zersetzungsprozeß, dem Polen unterlag, in der Hauptsache erklärt.
Dann folgen Blicke auf die Landschaft und die Bevölkerung, dieWauern, die
Städte, die finanziellen Einrichtungen und Verhältnisse, Heerwesen, Gerechtig¬
keitspflege, Kirche und Schule, endlich die Schlachtschizen oder den niederen
Adel, denen sich in Form von Biographieen hervorragender Magnaten wie
Karl Radziwill, Felix Potocki und Adam Czartoryski interessante Typen der
höheren Klasse der Aristokratie anschließen. Zwei weitere KapiteUführen uns
polnische Könige aus der letzten Lebensperiode Polen's vor. Die nächsten beiden
schildern Warschau während des "langen Reichstages" und die Warschauer Ge¬
sellschaft. Zuletzt beschäftigt sich der Verfasser mit der ersten Theilung und
der Konstitution vom Jahre 1791, worauf er in einer Schlußbetrachtung von
einem Standpunkte, den wir durchweg theilen, das Fazit seiner Darstellungen
zieht und kurz die Schicksale Polen's seit der letzten Theilung erzählt.

Von besonderem Interesse ist im ersten Abschnitte die Art, wie die Noth¬
wendigkeit gezeigt wird, den Uebelständen der Verfassung durch Bildung von
Konföderationen zu begegnen. Sie waren ein Gegenmittel gegen das libsriun
vsto, mit dem die Reichsboten jeden Fortschritt in der Gesetzgebung nach sub¬
jektivem Ermessen hinderten. Während im Reichstage von einer Unterordnung
der Minorität unter die Majorität und in Folge dessen von Kompromissen
nicht die Rede sein konnte, galt hier wenigstens das Prinzip der Stimmen¬
mehrheit. Freilich waren diese gesetzlich gestatteten Bündnisse, da sie den Bür¬
gerkrieg und die Revolution bedeuteten, nur ein Nothbehelf für den Augenblick
und nicht entfernt geeignet, dauernde Zustände gedeihlicher Art zu begründen;
ja sie haben, statt den Staat vor dem Untergänge zu retten, wesentlich dazu
beigetragen, seinen Bestand zu untergraben. Recht anschaulich ist das Bild
von der Landschaft und Bevölkerung Polen's im vorigen Jahrhundert, die
Betrachtung der militärischen Verhältnisse, wobei eine Parallele mit Preußen
gezogen wird, die Darstellung des Einflusses der Jesuiten auf die Entwickelung
der Dinge, und namentlich der Abschnitt über die Schlacht", deren Lebensweise
und Denkart, vorzüglich aber deren Abhängigkeit von den Magnaten, mit denen
sie die eigentliche Nation bildeten. Zu deu besten Partieen des Buches rechnen
wir sodann die Biographieen und Charakterschilderungen, in denen uns die
Magnaten, der hohe Adel des Landes, mit ihrem kolossalen Reichthum, ihrem
unsinnigen Luxus, ihren kostspieligen Gelagen und Jagden , ihren Liebesaben--
teuern, ihrem Mangel an staatsmännischer Befähigung und in der sigenthllm-


Grenzbotm I- 1879. 63

Staat, und zwar in lebendigen, farbenreichen Bildern, die in siebzehn^Abschnitte
zerfallen. Eine Einleitung beschäftigt sich mit dem alten'"polnischen Staats¬
recht, dieser Petrifizirung mittelalterlicher Privilegien des Höheren und niederen
Adels gegenüber dem zur Ohnmacht herabgedrückten Königthum, aus welcher
sich der Zersetzungsprozeß, dem Polen unterlag, in der Hauptsache erklärt.
Dann folgen Blicke auf die Landschaft und die Bevölkerung, dieWauern, die
Städte, die finanziellen Einrichtungen und Verhältnisse, Heerwesen, Gerechtig¬
keitspflege, Kirche und Schule, endlich die Schlachtschizen oder den niederen
Adel, denen sich in Form von Biographieen hervorragender Magnaten wie
Karl Radziwill, Felix Potocki und Adam Czartoryski interessante Typen der
höheren Klasse der Aristokratie anschließen. Zwei weitere KapiteUführen uns
polnische Könige aus der letzten Lebensperiode Polen's vor. Die nächsten beiden
schildern Warschau während des „langen Reichstages" und die Warschauer Ge¬
sellschaft. Zuletzt beschäftigt sich der Verfasser mit der ersten Theilung und
der Konstitution vom Jahre 1791, worauf er in einer Schlußbetrachtung von
einem Standpunkte, den wir durchweg theilen, das Fazit seiner Darstellungen
zieht und kurz die Schicksale Polen's seit der letzten Theilung erzählt.

Von besonderem Interesse ist im ersten Abschnitte die Art, wie die Noth¬
wendigkeit gezeigt wird, den Uebelständen der Verfassung durch Bildung von
Konföderationen zu begegnen. Sie waren ein Gegenmittel gegen das libsriun
vsto, mit dem die Reichsboten jeden Fortschritt in der Gesetzgebung nach sub¬
jektivem Ermessen hinderten. Während im Reichstage von einer Unterordnung
der Minorität unter die Majorität und in Folge dessen von Kompromissen
nicht die Rede sein konnte, galt hier wenigstens das Prinzip der Stimmen¬
mehrheit. Freilich waren diese gesetzlich gestatteten Bündnisse, da sie den Bür¬
gerkrieg und die Revolution bedeuteten, nur ein Nothbehelf für den Augenblick
und nicht entfernt geeignet, dauernde Zustände gedeihlicher Art zu begründen;
ja sie haben, statt den Staat vor dem Untergänge zu retten, wesentlich dazu
beigetragen, seinen Bestand zu untergraben. Recht anschaulich ist das Bild
von der Landschaft und Bevölkerung Polen's im vorigen Jahrhundert, die
Betrachtung der militärischen Verhältnisse, wobei eine Parallele mit Preußen
gezogen wird, die Darstellung des Einflusses der Jesuiten auf die Entwickelung
der Dinge, und namentlich der Abschnitt über die Schlacht«, deren Lebensweise
und Denkart, vorzüglich aber deren Abhängigkeit von den Magnaten, mit denen
sie die eigentliche Nation bildeten. Zu deu besten Partieen des Buches rechnen
wir sodann die Biographieen und Charakterschilderungen, in denen uns die
Magnaten, der hohe Adel des Landes, mit ihrem kolossalen Reichthum, ihrem
unsinnigen Luxus, ihren kostspieligen Gelagen und Jagden , ihren Liebesaben--
teuern, ihrem Mangel an staatsmännischer Befähigung und in der sigenthllm-


Grenzbotm I- 1879. 63
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141912"/>
            <p xml:id="ID_1490" prev="#ID_1489"> Staat, und zwar in lebendigen, farbenreichen Bildern, die in siebzehn^Abschnitte<lb/>
zerfallen. Eine Einleitung beschäftigt sich mit dem alten'"polnischen Staats¬<lb/>
recht, dieser Petrifizirung mittelalterlicher Privilegien des Höheren und niederen<lb/>
Adels gegenüber dem zur Ohnmacht herabgedrückten Königthum, aus welcher<lb/>
sich der Zersetzungsprozeß, dem Polen unterlag, in der Hauptsache erklärt.<lb/>
Dann folgen Blicke auf die Landschaft und die Bevölkerung, dieWauern, die<lb/>
Städte, die finanziellen Einrichtungen und Verhältnisse, Heerwesen, Gerechtig¬<lb/>
keitspflege, Kirche und Schule, endlich die Schlachtschizen oder den niederen<lb/>
Adel, denen sich in Form von Biographieen hervorragender Magnaten wie<lb/>
Karl Radziwill, Felix Potocki und Adam Czartoryski interessante Typen der<lb/>
höheren Klasse der Aristokratie anschließen. Zwei weitere KapiteUführen uns<lb/>
polnische Könige aus der letzten Lebensperiode Polen's vor. Die nächsten beiden<lb/>
schildern Warschau während des &#x201E;langen Reichstages" und die Warschauer Ge¬<lb/>
sellschaft. Zuletzt beschäftigt sich der Verfasser mit der ersten Theilung und<lb/>
der Konstitution vom Jahre 1791, worauf er in einer Schlußbetrachtung von<lb/>
einem Standpunkte, den wir durchweg theilen, das Fazit seiner Darstellungen<lb/>
zieht und kurz die Schicksale Polen's seit der letzten Theilung erzählt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1491" next="#ID_1492"> Von besonderem Interesse ist im ersten Abschnitte die Art, wie die Noth¬<lb/>
wendigkeit gezeigt wird, den Uebelständen der Verfassung durch Bildung von<lb/>
Konföderationen zu begegnen. Sie waren ein Gegenmittel gegen das libsriun<lb/>
vsto, mit dem die Reichsboten jeden Fortschritt in der Gesetzgebung nach sub¬<lb/>
jektivem Ermessen hinderten. Während im Reichstage von einer Unterordnung<lb/>
der Minorität unter die Majorität und in Folge dessen von Kompromissen<lb/>
nicht die Rede sein konnte, galt hier wenigstens das Prinzip der Stimmen¬<lb/>
mehrheit. Freilich waren diese gesetzlich gestatteten Bündnisse, da sie den Bür¬<lb/>
gerkrieg und die Revolution bedeuteten, nur ein Nothbehelf für den Augenblick<lb/>
und nicht entfernt geeignet, dauernde Zustände gedeihlicher Art zu begründen;<lb/>
ja sie haben, statt den Staat vor dem Untergänge zu retten, wesentlich dazu<lb/>
beigetragen, seinen Bestand zu untergraben. Recht anschaulich ist das Bild<lb/>
von der Landschaft und Bevölkerung Polen's im vorigen Jahrhundert, die<lb/>
Betrachtung der militärischen Verhältnisse, wobei eine Parallele mit Preußen<lb/>
gezogen wird, die Darstellung des Einflusses der Jesuiten auf die Entwickelung<lb/>
der Dinge, und namentlich der Abschnitt über die Schlacht«, deren Lebensweise<lb/>
und Denkart, vorzüglich aber deren Abhängigkeit von den Magnaten, mit denen<lb/>
sie die eigentliche Nation bildeten. Zu deu besten Partieen des Buches rechnen<lb/>
wir sodann die Biographieen und Charakterschilderungen, in denen uns die<lb/>
Magnaten, der hohe Adel des Landes, mit ihrem kolossalen Reichthum, ihrem<lb/>
unsinnigen Luxus, ihren kostspieligen Gelagen und Jagden , ihren Liebesaben--<lb/>
teuern, ihrem Mangel an staatsmännischer Befähigung und in der sigenthllm-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotm I- 1879. 63</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0501] Staat, und zwar in lebendigen, farbenreichen Bildern, die in siebzehn^Abschnitte zerfallen. Eine Einleitung beschäftigt sich mit dem alten'"polnischen Staats¬ recht, dieser Petrifizirung mittelalterlicher Privilegien des Höheren und niederen Adels gegenüber dem zur Ohnmacht herabgedrückten Königthum, aus welcher sich der Zersetzungsprozeß, dem Polen unterlag, in der Hauptsache erklärt. Dann folgen Blicke auf die Landschaft und die Bevölkerung, dieWauern, die Städte, die finanziellen Einrichtungen und Verhältnisse, Heerwesen, Gerechtig¬ keitspflege, Kirche und Schule, endlich die Schlachtschizen oder den niederen Adel, denen sich in Form von Biographieen hervorragender Magnaten wie Karl Radziwill, Felix Potocki und Adam Czartoryski interessante Typen der höheren Klasse der Aristokratie anschließen. Zwei weitere KapiteUführen uns polnische Könige aus der letzten Lebensperiode Polen's vor. Die nächsten beiden schildern Warschau während des „langen Reichstages" und die Warschauer Ge¬ sellschaft. Zuletzt beschäftigt sich der Verfasser mit der ersten Theilung und der Konstitution vom Jahre 1791, worauf er in einer Schlußbetrachtung von einem Standpunkte, den wir durchweg theilen, das Fazit seiner Darstellungen zieht und kurz die Schicksale Polen's seit der letzten Theilung erzählt. Von besonderem Interesse ist im ersten Abschnitte die Art, wie die Noth¬ wendigkeit gezeigt wird, den Uebelständen der Verfassung durch Bildung von Konföderationen zu begegnen. Sie waren ein Gegenmittel gegen das libsriun vsto, mit dem die Reichsboten jeden Fortschritt in der Gesetzgebung nach sub¬ jektivem Ermessen hinderten. Während im Reichstage von einer Unterordnung der Minorität unter die Majorität und in Folge dessen von Kompromissen nicht die Rede sein konnte, galt hier wenigstens das Prinzip der Stimmen¬ mehrheit. Freilich waren diese gesetzlich gestatteten Bündnisse, da sie den Bür¬ gerkrieg und die Revolution bedeuteten, nur ein Nothbehelf für den Augenblick und nicht entfernt geeignet, dauernde Zustände gedeihlicher Art zu begründen; ja sie haben, statt den Staat vor dem Untergänge zu retten, wesentlich dazu beigetragen, seinen Bestand zu untergraben. Recht anschaulich ist das Bild von der Landschaft und Bevölkerung Polen's im vorigen Jahrhundert, die Betrachtung der militärischen Verhältnisse, wobei eine Parallele mit Preußen gezogen wird, die Darstellung des Einflusses der Jesuiten auf die Entwickelung der Dinge, und namentlich der Abschnitt über die Schlacht«, deren Lebensweise und Denkart, vorzüglich aber deren Abhängigkeit von den Magnaten, mit denen sie die eigentliche Nation bildeten. Zu deu besten Partieen des Buches rechnen wir sodann die Biographieen und Charakterschilderungen, in denen uns die Magnaten, der hohe Adel des Landes, mit ihrem kolossalen Reichthum, ihrem unsinnigen Luxus, ihren kostspieligen Gelagen und Jagden , ihren Liebesaben-- teuern, ihrem Mangel an staatsmännischer Befähigung und in der sigenthllm- Grenzbotm I- 1879. 63

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/501
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/501>, abgerufen am 01.07.2024.