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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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das angebotene Reisegeld in Empfang genommen, sich auf die Post gesetzt hätte
und direkt nach Wien gefahren wäre. Damit alles schnell von Statten gehe,
wollte Goethe die Empfehlungsbriefe nachsenden. Jede Verzögerung war ihm
unangenehm, denn bis "Ihr Entschluß hier her käme und die Briefe wieder zu
Ihnen," schreibt er, "ginge viel Zeit verloren." Vieles mag die Absichten Goethe's
durchkreuzt haben, daß er erst am 10. September 1781 seinen Vorschlag wieder¬
holte oder, wie wir annehmen möchten, ihn zum ersten Male eröffnete, da die
Form des Briefes die Vermuthung zuläßt, daß Goethe das Postskript des
Briefes (vom 20. Juli) nicht hatte abgehen lassen.

Er schrieb daher jetzt an Kayser wie folgt:

Ich habe Ihnen mein lieber Kayser einen Vorschlag zu thun, über den
ich eine baldige Entschließung und Antwort erwarte. Sie erinnern sich, daß
ich lange gewünscht hatte, Sie Glucken näher zu bringen, auch hatte ich schon
bald nach Ihrer Abreise einen Brief geschrieben, der eben an ihn abgehen
sollte, als ich die Nachricht von dem Schlag erfuhr, der ihn gerührt hat. *)
Durchl. der Herzog schrieben darauf selbst an ihn und erhielten beiliegende
Antwort. Es kommt nun darauf an, ob Sie Sich zu diesen wackern Schritte
entschließen wollen. Bei Gelegenheit der Feyerlichkeiten in Wien**) zu seyn
ist kein geringer Reiz für einen jeden, und doppelt für Sie. Es werden
einige Opern von Glück deutsch aufgeführt werden; der Alte kann Ihnen
noch seinen ganzen musikalischen Seegen hinterlassen, wer weiß, wie lang er
noch lebt. Freilich wünscht' ich, daß Sie gleich aufbrachen, um noch bey allen
Proben und Anstalten zu seyn und das Innerste kennen zu lernen. Haben
Sie das Alles gesehen und gehört, haben Sie den Wiener Geschmack, Sänger
und Sängerinnen kennen gelernt, so ist es alsdann wohl Zeit, daß wir auch
was versuchen. Einige Monate in Wien können Sie jetzo weiter rücken als
zehn Jahre einsames Studium. Sobald Sie mir Ihren Entschluß melden,
sollen Sie Empfehlungsschreiben an Gluck, und an den hiesigen Residenten
bekommen, auch Geld, soviel Sie zur Reise nöthig haben und dort soll es
Ihnen an nichts fehlen und Sie sollen zu weiter nichts verbunden seyn, als
Alles aus Sich zu machen, wessen Sie fähig find. Antworten Sie mir aufs
baldigste und wenn Sie Lust dazu haben, fo machen Sie Sich gleich reise¬
fertig, mit der umlaufenden Post sollen die Briefe und das Geld folgen.
Erkundigen Sie Sich nach der Route und nach allem. Vergessen Sie nicht




*) Gluck war deshalb an der rechten Hand gelähmt.
**) Bei Anwesenheit des Großfürsten Paul und seiner Gemahlin, die A. Schmid'S
Biographie von Gluck irrthümlich in das Jahr 1732, statt 1781 setzt.

das angebotene Reisegeld in Empfang genommen, sich auf die Post gesetzt hätte
und direkt nach Wien gefahren wäre. Damit alles schnell von Statten gehe,
wollte Goethe die Empfehlungsbriefe nachsenden. Jede Verzögerung war ihm
unangenehm, denn bis „Ihr Entschluß hier her käme und die Briefe wieder zu
Ihnen," schreibt er, „ginge viel Zeit verloren." Vieles mag die Absichten Goethe's
durchkreuzt haben, daß er erst am 10. September 1781 seinen Vorschlag wieder¬
holte oder, wie wir annehmen möchten, ihn zum ersten Male eröffnete, da die
Form des Briefes die Vermuthung zuläßt, daß Goethe das Postskript des
Briefes (vom 20. Juli) nicht hatte abgehen lassen.

Er schrieb daher jetzt an Kayser wie folgt:

Ich habe Ihnen mein lieber Kayser einen Vorschlag zu thun, über den
ich eine baldige Entschließung und Antwort erwarte. Sie erinnern sich, daß
ich lange gewünscht hatte, Sie Glucken näher zu bringen, auch hatte ich schon
bald nach Ihrer Abreise einen Brief geschrieben, der eben an ihn abgehen
sollte, als ich die Nachricht von dem Schlag erfuhr, der ihn gerührt hat. *)
Durchl. der Herzog schrieben darauf selbst an ihn und erhielten beiliegende
Antwort. Es kommt nun darauf an, ob Sie Sich zu diesen wackern Schritte
entschließen wollen. Bei Gelegenheit der Feyerlichkeiten in Wien**) zu seyn
ist kein geringer Reiz für einen jeden, und doppelt für Sie. Es werden
einige Opern von Glück deutsch aufgeführt werden; der Alte kann Ihnen
noch seinen ganzen musikalischen Seegen hinterlassen, wer weiß, wie lang er
noch lebt. Freilich wünscht' ich, daß Sie gleich aufbrachen, um noch bey allen
Proben und Anstalten zu seyn und das Innerste kennen zu lernen. Haben
Sie das Alles gesehen und gehört, haben Sie den Wiener Geschmack, Sänger
und Sängerinnen kennen gelernt, so ist es alsdann wohl Zeit, daß wir auch
was versuchen. Einige Monate in Wien können Sie jetzo weiter rücken als
zehn Jahre einsames Studium. Sobald Sie mir Ihren Entschluß melden,
sollen Sie Empfehlungsschreiben an Gluck, und an den hiesigen Residenten
bekommen, auch Geld, soviel Sie zur Reise nöthig haben und dort soll es
Ihnen an nichts fehlen und Sie sollen zu weiter nichts verbunden seyn, als
Alles aus Sich zu machen, wessen Sie fähig find. Antworten Sie mir aufs
baldigste und wenn Sie Lust dazu haben, fo machen Sie Sich gleich reise¬
fertig, mit der umlaufenden Post sollen die Briefe und das Geld folgen.
Erkundigen Sie Sich nach der Route und nach allem. Vergessen Sie nicht




*) Gluck war deshalb an der rechten Hand gelähmt.
**) Bei Anwesenheit des Großfürsten Paul und seiner Gemahlin, die A. Schmid'S
Biographie von Gluck irrthümlich in das Jahr 1732, statt 1781 setzt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/482>, abgerufen am 23.07.2024.