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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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der Verbundenen in überreichen Maße. Mit voller Seele war Kayser noch
während seines Frankfurter Aufenthaltes diesem Kreise zugethan. Klinger,
Miller, Schubart, Lenz, wie nicht minder Goethe, wenigstens in der Frankfurter
Periode, gingen völlig in sich auf. Der Herzensbund, den sie geschlossen,
zeigte sich auch in den kleinsten Aeußerlichkeiten. Als der Kreis längst nicht
mehr in Frankfurt bei einander war, Goethe bereits seine glänzende Laufbahn
in Weimar begonnen hatte, lebte man in diesem Geiste weiter. "So weit,"
schreibt Klinger's Schwester Agnes an Kayser (19. Mai 1776), "geht ihre
Gleichheit, daß sie einerlei Stock und Hüt und Schladern hatten, als sie Lenzen
3 Stunden weit von Frankfurt entgegenritten. Sie machten in Frankfurt
großes Aufsehen; jeder Kerl blieb stehen und gaffte sie an. Sie hatten ihren
blauen Frack, gelbe Maschen am weißen Hut und gelbe Bänder. So ritten
sie vor Lenzens Kutsche einher. War das nicht herrlich -- setzt sie hinzu, in¬
dem sie vergötternd einstimmt -- so einem Jungen wie Lenz ist vorzureiten?"

Dieselbe Verehrung für Jeden aus dem Freundeskreise dokumentirte Kayser
in seinen Briefen, wie die Antworten auf sie hinlänglich darthun. Ganz be¬
sonders gilt dies von seinem Verhältniß zu Goethe, den er bis zur Manie
nachahmte. Er führte ein ähnliches Petschaft, schrieb nur mit stumpfen Kielen und
suchte sich Goethe's Hand so natürlich anzueignen, daß er auf ihn einen falschen
Wechsel hätte ausstellen können. Er faltete seine Briefe wie Goethe zusammen,
so daß dessen Korrespondenten betrogen wurden, bis sie die Namensunterschrift
gelesen hatten.*) Wie erinnert uns dies an Philipp Seidel, der noch in Weimar
Goethe's Handschrift und dessen Perpendicular ganz täuschend nachzuahmen sich
befleißigte!

Kayser's Leistungen auf musikalischen Gebiete übertrafen die dichterischen
und literarischen bedeutend. Sein Klavierspiel, welches auf Goethe einen besonderen
Zauber ausübte, sowie das Geschick, mit dem er sich der Komposition einer Menge
von poetischen Produkten seiner Freunde widmete, hatten seinen Ruf in Frankfurt
begründet. Goethe war es, der ihn als das größte musikalische Genie pries,
und vielleicht wirkten in hervorragender Weise die Bestrebungen Lavater's mit,
daß Kayser's eminent musikalischer Kopf auf ausdrückliche Empfehlung Goethe's
nach Zürich dirigirt wurde, um die physiognomischen Untersuchungen Lavater's
zu stützen und dem jungen talentvollen Musiker gleichzeitig eine, wenn auch vor¬
übergehende Stellung als Privatlehrer in Zürich zu sichern.

Bereits im Jahre 1775 finden wir den jungen Musiker in Zürich, ein-



Brief Georg Wilhelm Petersen's, Erziehers der jüngeren Söhne des Landgrafen
von Hessen, an Friedrich Nicolai vom 12. Januar 1778, der etwa vom Jahre 1774 spricht.
Mittheil, des Herrn Baron W. v. Maltzahn in Weimar.

der Verbundenen in überreichen Maße. Mit voller Seele war Kayser noch
während seines Frankfurter Aufenthaltes diesem Kreise zugethan. Klinger,
Miller, Schubart, Lenz, wie nicht minder Goethe, wenigstens in der Frankfurter
Periode, gingen völlig in sich auf. Der Herzensbund, den sie geschlossen,
zeigte sich auch in den kleinsten Aeußerlichkeiten. Als der Kreis längst nicht
mehr in Frankfurt bei einander war, Goethe bereits seine glänzende Laufbahn
in Weimar begonnen hatte, lebte man in diesem Geiste weiter. „So weit,"
schreibt Klinger's Schwester Agnes an Kayser (19. Mai 1776), „geht ihre
Gleichheit, daß sie einerlei Stock und Hüt und Schladern hatten, als sie Lenzen
3 Stunden weit von Frankfurt entgegenritten. Sie machten in Frankfurt
großes Aufsehen; jeder Kerl blieb stehen und gaffte sie an. Sie hatten ihren
blauen Frack, gelbe Maschen am weißen Hut und gelbe Bänder. So ritten
sie vor Lenzens Kutsche einher. War das nicht herrlich — setzt sie hinzu, in¬
dem sie vergötternd einstimmt — so einem Jungen wie Lenz ist vorzureiten?"

Dieselbe Verehrung für Jeden aus dem Freundeskreise dokumentirte Kayser
in seinen Briefen, wie die Antworten auf sie hinlänglich darthun. Ganz be¬
sonders gilt dies von seinem Verhältniß zu Goethe, den er bis zur Manie
nachahmte. Er führte ein ähnliches Petschaft, schrieb nur mit stumpfen Kielen und
suchte sich Goethe's Hand so natürlich anzueignen, daß er auf ihn einen falschen
Wechsel hätte ausstellen können. Er faltete seine Briefe wie Goethe zusammen,
so daß dessen Korrespondenten betrogen wurden, bis sie die Namensunterschrift
gelesen hatten.*) Wie erinnert uns dies an Philipp Seidel, der noch in Weimar
Goethe's Handschrift und dessen Perpendicular ganz täuschend nachzuahmen sich
befleißigte!

Kayser's Leistungen auf musikalischen Gebiete übertrafen die dichterischen
und literarischen bedeutend. Sein Klavierspiel, welches auf Goethe einen besonderen
Zauber ausübte, sowie das Geschick, mit dem er sich der Komposition einer Menge
von poetischen Produkten seiner Freunde widmete, hatten seinen Ruf in Frankfurt
begründet. Goethe war es, der ihn als das größte musikalische Genie pries,
und vielleicht wirkten in hervorragender Weise die Bestrebungen Lavater's mit,
daß Kayser's eminent musikalischer Kopf auf ausdrückliche Empfehlung Goethe's
nach Zürich dirigirt wurde, um die physiognomischen Untersuchungen Lavater's
zu stützen und dem jungen talentvollen Musiker gleichzeitig eine, wenn auch vor¬
übergehende Stellung als Privatlehrer in Zürich zu sichern.

Bereits im Jahre 1775 finden wir den jungen Musiker in Zürich, ein-



Brief Georg Wilhelm Petersen's, Erziehers der jüngeren Söhne des Landgrafen
von Hessen, an Friedrich Nicolai vom 12. Januar 1778, der etwa vom Jahre 1774 spricht.
Mittheil, des Herrn Baron W. v. Maltzahn in Weimar.
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[0476] der Verbundenen in überreichen Maße. Mit voller Seele war Kayser noch während seines Frankfurter Aufenthaltes diesem Kreise zugethan. Klinger, Miller, Schubart, Lenz, wie nicht minder Goethe, wenigstens in der Frankfurter Periode, gingen völlig in sich auf. Der Herzensbund, den sie geschlossen, zeigte sich auch in den kleinsten Aeußerlichkeiten. Als der Kreis längst nicht mehr in Frankfurt bei einander war, Goethe bereits seine glänzende Laufbahn in Weimar begonnen hatte, lebte man in diesem Geiste weiter. „So weit," schreibt Klinger's Schwester Agnes an Kayser (19. Mai 1776), „geht ihre Gleichheit, daß sie einerlei Stock und Hüt und Schladern hatten, als sie Lenzen 3 Stunden weit von Frankfurt entgegenritten. Sie machten in Frankfurt großes Aufsehen; jeder Kerl blieb stehen und gaffte sie an. Sie hatten ihren blauen Frack, gelbe Maschen am weißen Hut und gelbe Bänder. So ritten sie vor Lenzens Kutsche einher. War das nicht herrlich — setzt sie hinzu, in¬ dem sie vergötternd einstimmt — so einem Jungen wie Lenz ist vorzureiten?" Dieselbe Verehrung für Jeden aus dem Freundeskreise dokumentirte Kayser in seinen Briefen, wie die Antworten auf sie hinlänglich darthun. Ganz be¬ sonders gilt dies von seinem Verhältniß zu Goethe, den er bis zur Manie nachahmte. Er führte ein ähnliches Petschaft, schrieb nur mit stumpfen Kielen und suchte sich Goethe's Hand so natürlich anzueignen, daß er auf ihn einen falschen Wechsel hätte ausstellen können. Er faltete seine Briefe wie Goethe zusammen, so daß dessen Korrespondenten betrogen wurden, bis sie die Namensunterschrift gelesen hatten.*) Wie erinnert uns dies an Philipp Seidel, der noch in Weimar Goethe's Handschrift und dessen Perpendicular ganz täuschend nachzuahmen sich befleißigte! Kayser's Leistungen auf musikalischen Gebiete übertrafen die dichterischen und literarischen bedeutend. Sein Klavierspiel, welches auf Goethe einen besonderen Zauber ausübte, sowie das Geschick, mit dem er sich der Komposition einer Menge von poetischen Produkten seiner Freunde widmete, hatten seinen Ruf in Frankfurt begründet. Goethe war es, der ihn als das größte musikalische Genie pries, und vielleicht wirkten in hervorragender Weise die Bestrebungen Lavater's mit, daß Kayser's eminent musikalischer Kopf auf ausdrückliche Empfehlung Goethe's nach Zürich dirigirt wurde, um die physiognomischen Untersuchungen Lavater's zu stützen und dem jungen talentvollen Musiker gleichzeitig eine, wenn auch vor¬ übergehende Stellung als Privatlehrer in Zürich zu sichern. Bereits im Jahre 1775 finden wir den jungen Musiker in Zürich, ein- Brief Georg Wilhelm Petersen's, Erziehers der jüngeren Söhne des Landgrafen von Hessen, an Friedrich Nicolai vom 12. Januar 1778, der etwa vom Jahre 1774 spricht. Mittheil, des Herrn Baron W. v. Maltzahn in Weimar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/476>, abgerufen am 01.07.2024.