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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Bulgare mit diesem Kaufmanne über den Abschluß eines Verkaufes. Mitten in
ihrer Unterredung trat ein Türke ein, setzte sich nieder und unterbrach ohne
weiteres dieses Gespräch, indem er, gerade als ob der Bulgare nicht vor¬
handen wäre, von seinen eigenen Geschäften zu reden anfing. Den Bulgaren
ließ man stehend warten, bis der Türke mit seinem Anliegen zu Ende war.

Der andere Fall war schlimmer. Einem bulgarischen Landwirthe nicht
weit vom Gute Baker's war sein Heuschober niedergebrannt. Baker bezeigte
dem Manne seine Theilnahme wegen seines Verlustes) da sägte derselbe, daß
es Brandstiftung sei, und daß ihm der Schuldige wohlbekannt sei. "El,"
fragte Jener, "warum ladet- Ihr denn den Hallunken nicht vor den Mudir?"
Der Bauer zuckte die Achseln und sagte: "Der Mann gehört zu dem Juruk-
dorfe" (zu dem türkischen Dorfe). "Nun," erwiederte Baker, "was hat das
denn zu bedeuten? Verklagt ihn nur, so wird die Sache untersucht werden,
und wenn Ihr damit einverstanden seid, so will ich zusehen, daß Alles mit
rechten Dingen zugeht." Der Mann zuckte von neuem mit den Achseln und
entgegnete: "Nein, ich danke schön, Chelibi, ich will mir lieber keine Feinde
machen."

Moltke erzählt aus Schumla, das er in Begleitung des Großherrn be¬
suchte: "Die Moslem standen, als der Sultan vorüberfuhr, aufrecht mit über
den Leib verschränkten Armen, die Rajah aber und selbst Bischof und Priester
mit den geweihten Kirchengeräthen warfen sich nieder und blieben mit der
Stirn an der Erde, bis der Padischa vorbei, war. So etwas muß freilich
das Selbstgefühl der Türken nähren."

Baker schließt sein Kapitel über die Bulgaren mit den Worten: "Ich
könnte noch viele ähnliche Fälle anführen, aber die schon mitgetheilten genügen
zu dem Beweise, daß der Christ im gewöhnlichen Leben dem Mohammedaner
gegenüber eine sehr untergeordnete Stellung innehat. Dies mußte in einem
Lande, wo eine Race die andere beherrschte, und keine kräftige Verwaltung die
Bevölkerung in Ordnung erhielt, nothwendig so kommen. Aber diese Unter¬
ordnung verschwindet jetzt rasch, und die Eisenbahn Md der Telegraph werden
bald die verschiedenen Racen auf gleiche Stufe stellen."

Wir erlauben uns zu bezweifeln, daß dies ohne den Krieg und seine Folge,
die Befreiung der Mehrzahl der Bulgaren von der Türkenherrschaft, rasch ein¬
getreten sein würde. Der jetzige Zustand wird aber auch keine Gleichstellung
der Racen herbeiführen. Vielmehr werden jetzt die Türken in Bulgarien und
Ostrumelien in die Lage kommen, in welcher sich bisher die Christen dieser
^ Gegenden befanden.




Bulgare mit diesem Kaufmanne über den Abschluß eines Verkaufes. Mitten in
ihrer Unterredung trat ein Türke ein, setzte sich nieder und unterbrach ohne
weiteres dieses Gespräch, indem er, gerade als ob der Bulgare nicht vor¬
handen wäre, von seinen eigenen Geschäften zu reden anfing. Den Bulgaren
ließ man stehend warten, bis der Türke mit seinem Anliegen zu Ende war.

Der andere Fall war schlimmer. Einem bulgarischen Landwirthe nicht
weit vom Gute Baker's war sein Heuschober niedergebrannt. Baker bezeigte
dem Manne seine Theilnahme wegen seines Verlustes) da sägte derselbe, daß
es Brandstiftung sei, und daß ihm der Schuldige wohlbekannt sei. „El,"
fragte Jener, „warum ladet- Ihr denn den Hallunken nicht vor den Mudir?"
Der Bauer zuckte die Achseln und sagte: „Der Mann gehört zu dem Juruk-
dorfe" (zu dem türkischen Dorfe). „Nun," erwiederte Baker, „was hat das
denn zu bedeuten? Verklagt ihn nur, so wird die Sache untersucht werden,
und wenn Ihr damit einverstanden seid, so will ich zusehen, daß Alles mit
rechten Dingen zugeht." Der Mann zuckte von neuem mit den Achseln und
entgegnete: „Nein, ich danke schön, Chelibi, ich will mir lieber keine Feinde
machen."

Moltke erzählt aus Schumla, das er in Begleitung des Großherrn be¬
suchte: „Die Moslem standen, als der Sultan vorüberfuhr, aufrecht mit über
den Leib verschränkten Armen, die Rajah aber und selbst Bischof und Priester
mit den geweihten Kirchengeräthen warfen sich nieder und blieben mit der
Stirn an der Erde, bis der Padischa vorbei, war. So etwas muß freilich
das Selbstgefühl der Türken nähren."

Baker schließt sein Kapitel über die Bulgaren mit den Worten: „Ich
könnte noch viele ähnliche Fälle anführen, aber die schon mitgetheilten genügen
zu dem Beweise, daß der Christ im gewöhnlichen Leben dem Mohammedaner
gegenüber eine sehr untergeordnete Stellung innehat. Dies mußte in einem
Lande, wo eine Race die andere beherrschte, und keine kräftige Verwaltung die
Bevölkerung in Ordnung erhielt, nothwendig so kommen. Aber diese Unter¬
ordnung verschwindet jetzt rasch, und die Eisenbahn Md der Telegraph werden
bald die verschiedenen Racen auf gleiche Stufe stellen."

Wir erlauben uns zu bezweifeln, daß dies ohne den Krieg und seine Folge,
die Befreiung der Mehrzahl der Bulgaren von der Türkenherrschaft, rasch ein¬
getreten sein würde. Der jetzige Zustand wird aber auch keine Gleichstellung
der Racen herbeiführen. Vielmehr werden jetzt die Türken in Bulgarien und
Ostrumelien in die Lage kommen, in welcher sich bisher die Christen dieser
^ Gegenden befanden.




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[0474] Bulgare mit diesem Kaufmanne über den Abschluß eines Verkaufes. Mitten in ihrer Unterredung trat ein Türke ein, setzte sich nieder und unterbrach ohne weiteres dieses Gespräch, indem er, gerade als ob der Bulgare nicht vor¬ handen wäre, von seinen eigenen Geschäften zu reden anfing. Den Bulgaren ließ man stehend warten, bis der Türke mit seinem Anliegen zu Ende war. Der andere Fall war schlimmer. Einem bulgarischen Landwirthe nicht weit vom Gute Baker's war sein Heuschober niedergebrannt. Baker bezeigte dem Manne seine Theilnahme wegen seines Verlustes) da sägte derselbe, daß es Brandstiftung sei, und daß ihm der Schuldige wohlbekannt sei. „El," fragte Jener, „warum ladet- Ihr denn den Hallunken nicht vor den Mudir?" Der Bauer zuckte die Achseln und sagte: „Der Mann gehört zu dem Juruk- dorfe" (zu dem türkischen Dorfe). „Nun," erwiederte Baker, „was hat das denn zu bedeuten? Verklagt ihn nur, so wird die Sache untersucht werden, und wenn Ihr damit einverstanden seid, so will ich zusehen, daß Alles mit rechten Dingen zugeht." Der Mann zuckte von neuem mit den Achseln und entgegnete: „Nein, ich danke schön, Chelibi, ich will mir lieber keine Feinde machen." Moltke erzählt aus Schumla, das er in Begleitung des Großherrn be¬ suchte: „Die Moslem standen, als der Sultan vorüberfuhr, aufrecht mit über den Leib verschränkten Armen, die Rajah aber und selbst Bischof und Priester mit den geweihten Kirchengeräthen warfen sich nieder und blieben mit der Stirn an der Erde, bis der Padischa vorbei, war. So etwas muß freilich das Selbstgefühl der Türken nähren." Baker schließt sein Kapitel über die Bulgaren mit den Worten: „Ich könnte noch viele ähnliche Fälle anführen, aber die schon mitgetheilten genügen zu dem Beweise, daß der Christ im gewöhnlichen Leben dem Mohammedaner gegenüber eine sehr untergeordnete Stellung innehat. Dies mußte in einem Lande, wo eine Race die andere beherrschte, und keine kräftige Verwaltung die Bevölkerung in Ordnung erhielt, nothwendig so kommen. Aber diese Unter¬ ordnung verschwindet jetzt rasch, und die Eisenbahn Md der Telegraph werden bald die verschiedenen Racen auf gleiche Stufe stellen." Wir erlauben uns zu bezweifeln, daß dies ohne den Krieg und seine Folge, die Befreiung der Mehrzahl der Bulgaren von der Türkenherrschaft, rasch ein¬ getreten sein würde. Der jetzige Zustand wird aber auch keine Gleichstellung der Racen herbeiführen. Vielmehr werden jetzt die Türken in Bulgarien und Ostrumelien in die Lage kommen, in welcher sich bisher die Christen dieser ^ Gegenden befanden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/474>, abgerufen am 01.07.2024.