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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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rechts vom Beschauer recken die drei Kreuze ihre Arme empor. Die beiden
Schacher hängen noch am Marterholze, der eine ruhig und gefaßt, wie er ge¬
storben ist, der andere in konvulsivischen Verrenkungen, wie es die Ueberlieferung
meldet. Das mittlere Kreuz ist leer. Das Opferlamm, welches der Welt
Sünde trägt, liegt entseelt am Boden, halb unterstützt von dem greisen Joseph
von Arimathia, der ein Linnentuch über den Felsboden gebreitet hat. Nikode-
mus beugt sich von der anderen Seite über den Todten. Der Leichnam Christi
ist durch Verzeichnung in so gröblicher Weise verunstaltet worden, daß kein
Ausdruck stark genug ist, um die Entrüstung über einen solchen Angriff gegen
das Heiligste in Worte zu fassen. Ich spreche hier nicht von einem beschränkten,
konfessionellen Standpunkte, den ich bei Beurtheilung von Kunstsachen für un¬
statthaft halte, wenngleich die Kunst von der Religion in's Leben gerufen, gro߬
gezogen und zur vollen Blüthe gefördert worden ist. Ich verwahre mich hier
nur vom rein aesthetischen Standpunkte gegen eine so brutale Behandlung des
menschlichen Körpers als des edelsten Objektes der Kunst, wie sie hier vorliegt.
Die Beine des Leichnams sind bis zur Krüppelhaftigkeit verkürzt, der Körper
ist molluskenartig bis zur Formlosigkeit aufgeschwemmt/und auf dem mißge¬
stalteten Leibe sitzt ein häßlicher Kopf mit langen rothen Haaren. Selbst die
krassesten Realisten der flandrischen und altkölnischen Malerschulen haben sich
niemals zu so ungeheuerlichen Karrikaturen verstiegen.

Und derselbe Maler, der sich soweit verirrte, hat noch die Kraft gefunden,
auf demselben Bilde in dem Kopfe der von Johannes getrösteten Magdalena
einen Abglanz fast überirdischer Schönheit zu zeigen! Es wäre vergebliches
Bemühen, hier nach psychologischen Räthseln zu suchen. Die Neigung zu
bizarren Kontrasten hat auch hier wiederum den Pinsel des Malers geführt,
der seiner schrankenlosen Phantasie zum Opfer gefallen ist.

Ob sich Böcklin noch jemals aus den Wirrnissen, aus den trostlosen
Farbenexperimenten herausretten wird, ist nach seinen letzten Arbeiten schwer
zu prophezeien. Freilich steht er noch in der Blüthe seiner Kraft, in einem
Alter, in welchem der schäumende Most der Jugend zu verfliegen pflegt und
der Geist sich ruhigen Gesetzen fügt. Aber ein Blick auf seine ganze künst¬
lerische Vergangenheit zeigt uns eine so merkwürdige Zickzacklinie, einen so
unaufhörlichen, rapiden Wechsel zwischen Auf- und Abwärts, daß kaum noch
ejne Abklärung dieses hochbegabten Feuergeistes zu erwarten ist.


Adolf Rosenberg.


Grenzboten I. 1879.

rechts vom Beschauer recken die drei Kreuze ihre Arme empor. Die beiden
Schacher hängen noch am Marterholze, der eine ruhig und gefaßt, wie er ge¬
storben ist, der andere in konvulsivischen Verrenkungen, wie es die Ueberlieferung
meldet. Das mittlere Kreuz ist leer. Das Opferlamm, welches der Welt
Sünde trägt, liegt entseelt am Boden, halb unterstützt von dem greisen Joseph
von Arimathia, der ein Linnentuch über den Felsboden gebreitet hat. Nikode-
mus beugt sich von der anderen Seite über den Todten. Der Leichnam Christi
ist durch Verzeichnung in so gröblicher Weise verunstaltet worden, daß kein
Ausdruck stark genug ist, um die Entrüstung über einen solchen Angriff gegen
das Heiligste in Worte zu fassen. Ich spreche hier nicht von einem beschränkten,
konfessionellen Standpunkte, den ich bei Beurtheilung von Kunstsachen für un¬
statthaft halte, wenngleich die Kunst von der Religion in's Leben gerufen, gro߬
gezogen und zur vollen Blüthe gefördert worden ist. Ich verwahre mich hier
nur vom rein aesthetischen Standpunkte gegen eine so brutale Behandlung des
menschlichen Körpers als des edelsten Objektes der Kunst, wie sie hier vorliegt.
Die Beine des Leichnams sind bis zur Krüppelhaftigkeit verkürzt, der Körper
ist molluskenartig bis zur Formlosigkeit aufgeschwemmt/und auf dem mißge¬
stalteten Leibe sitzt ein häßlicher Kopf mit langen rothen Haaren. Selbst die
krassesten Realisten der flandrischen und altkölnischen Malerschulen haben sich
niemals zu so ungeheuerlichen Karrikaturen verstiegen.

Und derselbe Maler, der sich soweit verirrte, hat noch die Kraft gefunden,
auf demselben Bilde in dem Kopfe der von Johannes getrösteten Magdalena
einen Abglanz fast überirdischer Schönheit zu zeigen! Es wäre vergebliches
Bemühen, hier nach psychologischen Räthseln zu suchen. Die Neigung zu
bizarren Kontrasten hat auch hier wiederum den Pinsel des Malers geführt,
der seiner schrankenlosen Phantasie zum Opfer gefallen ist.

Ob sich Böcklin noch jemals aus den Wirrnissen, aus den trostlosen
Farbenexperimenten herausretten wird, ist nach seinen letzten Arbeiten schwer
zu prophezeien. Freilich steht er noch in der Blüthe seiner Kraft, in einem
Alter, in welchem der schäumende Most der Jugend zu verfliegen pflegt und
der Geist sich ruhigen Gesetzen fügt. Aber ein Blick auf seine ganze künst¬
lerische Vergangenheit zeigt uns eine so merkwürdige Zickzacklinie, einen so
unaufhörlichen, rapiden Wechsel zwischen Auf- und Abwärts, daß kaum noch
ejne Abklärung dieses hochbegabten Feuergeistes zu erwarten ist.


Adolf Rosenberg.


Grenzboten I. 1879.
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[0405] rechts vom Beschauer recken die drei Kreuze ihre Arme empor. Die beiden Schacher hängen noch am Marterholze, der eine ruhig und gefaßt, wie er ge¬ storben ist, der andere in konvulsivischen Verrenkungen, wie es die Ueberlieferung meldet. Das mittlere Kreuz ist leer. Das Opferlamm, welches der Welt Sünde trägt, liegt entseelt am Boden, halb unterstützt von dem greisen Joseph von Arimathia, der ein Linnentuch über den Felsboden gebreitet hat. Nikode- mus beugt sich von der anderen Seite über den Todten. Der Leichnam Christi ist durch Verzeichnung in so gröblicher Weise verunstaltet worden, daß kein Ausdruck stark genug ist, um die Entrüstung über einen solchen Angriff gegen das Heiligste in Worte zu fassen. Ich spreche hier nicht von einem beschränkten, konfessionellen Standpunkte, den ich bei Beurtheilung von Kunstsachen für un¬ statthaft halte, wenngleich die Kunst von der Religion in's Leben gerufen, gro߬ gezogen und zur vollen Blüthe gefördert worden ist. Ich verwahre mich hier nur vom rein aesthetischen Standpunkte gegen eine so brutale Behandlung des menschlichen Körpers als des edelsten Objektes der Kunst, wie sie hier vorliegt. Die Beine des Leichnams sind bis zur Krüppelhaftigkeit verkürzt, der Körper ist molluskenartig bis zur Formlosigkeit aufgeschwemmt/und auf dem mißge¬ stalteten Leibe sitzt ein häßlicher Kopf mit langen rothen Haaren. Selbst die krassesten Realisten der flandrischen und altkölnischen Malerschulen haben sich niemals zu so ungeheuerlichen Karrikaturen verstiegen. Und derselbe Maler, der sich soweit verirrte, hat noch die Kraft gefunden, auf demselben Bilde in dem Kopfe der von Johannes getrösteten Magdalena einen Abglanz fast überirdischer Schönheit zu zeigen! Es wäre vergebliches Bemühen, hier nach psychologischen Räthseln zu suchen. Die Neigung zu bizarren Kontrasten hat auch hier wiederum den Pinsel des Malers geführt, der seiner schrankenlosen Phantasie zum Opfer gefallen ist. Ob sich Böcklin noch jemals aus den Wirrnissen, aus den trostlosen Farbenexperimenten herausretten wird, ist nach seinen letzten Arbeiten schwer zu prophezeien. Freilich steht er noch in der Blüthe seiner Kraft, in einem Alter, in welchem der schäumende Most der Jugend zu verfliegen pflegt und der Geist sich ruhigen Gesetzen fügt. Aber ein Blick auf seine ganze künst¬ lerische Vergangenheit zeigt uns eine so merkwürdige Zickzacklinie, einen so unaufhörlichen, rapiden Wechsel zwischen Auf- und Abwärts, daß kaum noch ejne Abklärung dieses hochbegabten Feuergeistes zu erwarten ist. Adolf Rosenberg. Grenzboten I. 1879.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/405>, abgerufen am 26.08.2024.