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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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und die Richtung finden, um einen Gottesdienst im Geist und in der Wahr¬
heit zu bilden. Ebensowenig hat Jesus einen Plan für die Verfassung der
Kirche gezeichnet, als er der glaubensmächtigen Persönlichkeit des Petrus e^ne
leitende Stellung in der Urgemeinde anwies. Die Gebote Jesu tragen aus¬
schließlich einen religiösen und sittlichen Charakter, lassen die Ausprägung des
Glaubens an ihn sowie die Organisation seiner Gemeinde unberührt und geben
beide Gebiete frei.

Die Leitung der Kirche lag ursprünglich in den Händen der Apostel. Nicht
daß sie ein bestimmtes Amt bekleidet hätten, sondern vermöge ihrer persön¬
lichen Autorität ging Anordnung und Verwaltung von ihnen aus.

Aber noch bevor das Evangelium außerhalb der Mauern Jerusalem's eine
Gemeinde gesammelt hatte, schufen die Apostel ein Amt, das sie mit einem
werthvollen Theil der bis dahin von ihnen ausgeübten Thätigkeit betrauten,
das Dicikonat. Sie selbst zogen sich zurück auf die Verkündigung des göttlichen
Wortes und das Gebet.

Die Kompetenz dieser Diakonen dürfen wir nicht nach dem Maßstabe
späterer Verhältnisse beurtheilen. Ist auch hier wie dort die Vertheilung der
Almosen ihre Aufgabe, so besteht doch der große Unterschied, daß das spätere
Diakonat als Organ des Bischofs handelte, während jenes erste völlig selb¬
ständig verfuhr. Vergegenwärtigen wir uns nun, daß die Empfangnahme der
freiwilligen Gaben der Gemeindeglieder und ihre Vertheilung zur Unterstützung
der Bedürftigen nach Berichten aus Anfang und Mitte des zweiten Jahrhun¬
derts zu den wesentlichen Befugnissen der Vorsteher gehörte, so gewinnt die
Hypothese Wahrscheinlichkeit, daß die Rechte der Jernsalemischen Diakonen mit
der Zeit an Umfang gewachsen und die Amtsgewalten der Gemeindeteilung
ihnen übertragen worden seien. Die häufige Abwesenheit der Apostel von
Jerusalem in Folge der Missionspflicht und zur Beaufsichtigung der neu ge¬
gründeten Gemeinden mußte diese Umwandlung begünstigen.

Die Apostel konnten nicht mehr eine amtliche Stellung in einer einzelnen
Gemeinde einnehmen, als die Ausbreitung des Christenthums ihnen einen
Wirkungskreis in Beziehung auf eine Vielheit von Gemeinden anwies. Ihre
Aufgabe wurde aus einer gemeindlichen zu einer kirchlichen. Sie bildeten die
höchste Lehrautorität, ihre Verkündigung war der Maßstab, nach dem der In¬
halt der christlichen Lehre bestimmt wurde, und ebenso unterlag die sittliche
Gestaltung des Gemeindelebens ihrer gesetzgebenden Gewalt. In ihnen stellte
sich in sichtbarer Gestalt die Einheit der Kirche dar; freilich nicht so, daß jede
einzelne Gemeinde in gleichem Maße der Beziehungen zu allen Aposteln ge¬
standen hätte, vielmehr zerfielen die Gemeinden in Gruppen, deren jede in
einem Abhängigkeitsverhältniß zu einem Mitgliede des Apostolats stand, aber


und die Richtung finden, um einen Gottesdienst im Geist und in der Wahr¬
heit zu bilden. Ebensowenig hat Jesus einen Plan für die Verfassung der
Kirche gezeichnet, als er der glaubensmächtigen Persönlichkeit des Petrus e^ne
leitende Stellung in der Urgemeinde anwies. Die Gebote Jesu tragen aus¬
schließlich einen religiösen und sittlichen Charakter, lassen die Ausprägung des
Glaubens an ihn sowie die Organisation seiner Gemeinde unberührt und geben
beide Gebiete frei.

Die Leitung der Kirche lag ursprünglich in den Händen der Apostel. Nicht
daß sie ein bestimmtes Amt bekleidet hätten, sondern vermöge ihrer persön¬
lichen Autorität ging Anordnung und Verwaltung von ihnen aus.

Aber noch bevor das Evangelium außerhalb der Mauern Jerusalem's eine
Gemeinde gesammelt hatte, schufen die Apostel ein Amt, das sie mit einem
werthvollen Theil der bis dahin von ihnen ausgeübten Thätigkeit betrauten,
das Dicikonat. Sie selbst zogen sich zurück auf die Verkündigung des göttlichen
Wortes und das Gebet.

Die Kompetenz dieser Diakonen dürfen wir nicht nach dem Maßstabe
späterer Verhältnisse beurtheilen. Ist auch hier wie dort die Vertheilung der
Almosen ihre Aufgabe, so besteht doch der große Unterschied, daß das spätere
Diakonat als Organ des Bischofs handelte, während jenes erste völlig selb¬
ständig verfuhr. Vergegenwärtigen wir uns nun, daß die Empfangnahme der
freiwilligen Gaben der Gemeindeglieder und ihre Vertheilung zur Unterstützung
der Bedürftigen nach Berichten aus Anfang und Mitte des zweiten Jahrhun¬
derts zu den wesentlichen Befugnissen der Vorsteher gehörte, so gewinnt die
Hypothese Wahrscheinlichkeit, daß die Rechte der Jernsalemischen Diakonen mit
der Zeit an Umfang gewachsen und die Amtsgewalten der Gemeindeteilung
ihnen übertragen worden seien. Die häufige Abwesenheit der Apostel von
Jerusalem in Folge der Missionspflicht und zur Beaufsichtigung der neu ge¬
gründeten Gemeinden mußte diese Umwandlung begünstigen.

Die Apostel konnten nicht mehr eine amtliche Stellung in einer einzelnen
Gemeinde einnehmen, als die Ausbreitung des Christenthums ihnen einen
Wirkungskreis in Beziehung auf eine Vielheit von Gemeinden anwies. Ihre
Aufgabe wurde aus einer gemeindlichen zu einer kirchlichen. Sie bildeten die
höchste Lehrautorität, ihre Verkündigung war der Maßstab, nach dem der In¬
halt der christlichen Lehre bestimmt wurde, und ebenso unterlag die sittliche
Gestaltung des Gemeindelebens ihrer gesetzgebenden Gewalt. In ihnen stellte
sich in sichtbarer Gestalt die Einheit der Kirche dar; freilich nicht so, daß jede
einzelne Gemeinde in gleichem Maße der Beziehungen zu allen Aposteln ge¬
standen hätte, vielmehr zerfielen die Gemeinden in Gruppen, deren jede in
einem Abhängigkeitsverhältniß zu einem Mitgliede des Apostolats stand, aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/386>, abgerufen am 23.07.2024.