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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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übel über den Mangel an Anerkennung hinwegsetzte, bis seine Zeit ge¬
kommen war.

Und sie kam! Gerade die winzigen Blätter, die er in die treffliche Kug-
ler'sche Lebensbeschreibung Friedrich's des Großen einstreute, haben seinen
Namen populär gemacht, und seine Popularität wuchs mit dem politischen
Wachsthum seines Vaterlandes, dessen gefeiertsten Helden er ein unvergleich¬
liches künstlerisches Ehrendenkmal gesetzt.

Zwar fehlt es auch heute nicht an Leuten, denen das Verständniß für
die eigentliche Bedeutung Menzel's immer noch nicht aufgegangen ist. Zu
diesen gehört leider auch der Verfasser einer Geschichte der neueren deutschen
Kunst, Professor Reder in München, der es für eine Art Unglück zu halten
scheint, daß Menzel "zum Hauptträger der historischen Malerei in Berlin" ge¬
worden ist. Auch auf der Wiener Weltausstellung fand das große Bild der
Krönung König Wilhelm's I. in Königsberg eine sehr getheilte Aufnahme, und
Reder macht sich nur zum Echo derselben, wenn er das Werk "als ein trocke¬
nes Zeremonienbild mit hartem, durch die gebotenen Staatsgewänder uner¬
freulichen Kolorit" bezeichnet.

Mit Beschämung müssen wir gestehen, daß uns das Ausland in der un¬
bedingten Werthschätzung Menzel's voranging. Während man sich in Deutsch¬
land noch über die ästhetische Berechtigung des energischen, rücksichtslosen
Realismus, als dessen Hauptvertreter Menzel gelten darf, herumstritt, wurden
seine Bilder in Paris, fo oft sie auf dortigen Ausstellungen erschienen, mit
Meissonnier verglichen und bald an dessen Seite gestellt. Lange Zeit kannten
und würdigten die Franzosen von neueren deutschen Malern kaum mehr als
vier Namen: Cornelius, Overbeck, Kaulbach und -- Menzel.

Daß ein Maler, dem erst am Ausgang der dreißiger Jahre seines Lebens
Aufgaben gestellt wurden, an denen er seine ganzen technischen und geistigen
Kräfte messen konnte, noch in späteren Jahren mit den Schwierigkeiten des
malerischen Handwerks zu kämpfen hatte, ist nicht auffallend. Um so bewun¬
derungswürdiger ist die Energie, mit welcher der Meister diese Schwierigkeiten
überwand, eine Energie, die sich mit der wachsenden Zahl der Jahre nicht ab¬
stumpfte, sondern von Jahr zu Jahr dergestalt zunahm, daß der sechzigjührige
Mann uns mit einem Bilde überraschen konnte, das gerade um seines kolori¬
stischen Werthes willen den Meisterwerken der modernen Malerei beigezählt
werden muß: mit der Darstellung eines Eisenwalzwerks. Schon die Wahl
des Stoffes ist für den Realisten des neunzehnten Jahrhunderts, der für den
"eisernen Pulsschlag der Zeit" ein volles Verständniß hat, ungemein charak¬
teristisch. In noch höherem Grade die selbständige Stellung des Meisters gegen-


übel über den Mangel an Anerkennung hinwegsetzte, bis seine Zeit ge¬
kommen war.

Und sie kam! Gerade die winzigen Blätter, die er in die treffliche Kug-
ler'sche Lebensbeschreibung Friedrich's des Großen einstreute, haben seinen
Namen populär gemacht, und seine Popularität wuchs mit dem politischen
Wachsthum seines Vaterlandes, dessen gefeiertsten Helden er ein unvergleich¬
liches künstlerisches Ehrendenkmal gesetzt.

Zwar fehlt es auch heute nicht an Leuten, denen das Verständniß für
die eigentliche Bedeutung Menzel's immer noch nicht aufgegangen ist. Zu
diesen gehört leider auch der Verfasser einer Geschichte der neueren deutschen
Kunst, Professor Reder in München, der es für eine Art Unglück zu halten
scheint, daß Menzel „zum Hauptträger der historischen Malerei in Berlin" ge¬
worden ist. Auch auf der Wiener Weltausstellung fand das große Bild der
Krönung König Wilhelm's I. in Königsberg eine sehr getheilte Aufnahme, und
Reder macht sich nur zum Echo derselben, wenn er das Werk „als ein trocke¬
nes Zeremonienbild mit hartem, durch die gebotenen Staatsgewänder uner¬
freulichen Kolorit" bezeichnet.

Mit Beschämung müssen wir gestehen, daß uns das Ausland in der un¬
bedingten Werthschätzung Menzel's voranging. Während man sich in Deutsch¬
land noch über die ästhetische Berechtigung des energischen, rücksichtslosen
Realismus, als dessen Hauptvertreter Menzel gelten darf, herumstritt, wurden
seine Bilder in Paris, fo oft sie auf dortigen Ausstellungen erschienen, mit
Meissonnier verglichen und bald an dessen Seite gestellt. Lange Zeit kannten
und würdigten die Franzosen von neueren deutschen Malern kaum mehr als
vier Namen: Cornelius, Overbeck, Kaulbach und — Menzel.

Daß ein Maler, dem erst am Ausgang der dreißiger Jahre seines Lebens
Aufgaben gestellt wurden, an denen er seine ganzen technischen und geistigen
Kräfte messen konnte, noch in späteren Jahren mit den Schwierigkeiten des
malerischen Handwerks zu kämpfen hatte, ist nicht auffallend. Um so bewun¬
derungswürdiger ist die Energie, mit welcher der Meister diese Schwierigkeiten
überwand, eine Energie, die sich mit der wachsenden Zahl der Jahre nicht ab¬
stumpfte, sondern von Jahr zu Jahr dergestalt zunahm, daß der sechzigjührige
Mann uns mit einem Bilde überraschen konnte, das gerade um seines kolori¬
stischen Werthes willen den Meisterwerken der modernen Malerei beigezählt
werden muß: mit der Darstellung eines Eisenwalzwerks. Schon die Wahl
des Stoffes ist für den Realisten des neunzehnten Jahrhunderts, der für den
„eisernen Pulsschlag der Zeit" ein volles Verständniß hat, ungemein charak¬
teristisch. In noch höherem Grade die selbständige Stellung des Meisters gegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/239>, abgerufen am 23.07.2024.