Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.Artikel der Verfassung, nach welcher der König die Minister ernennt, nachzu¬ In der vorliegenden Schrift führt Gneist die damals von ihm vertretenen Artikel der Verfassung, nach welcher der König die Minister ernennt, nachzu¬ In der vorliegenden Schrift führt Gneist die damals von ihm vertretenen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141535"/> <p xml:id="ID_376" prev="#ID_375"> Artikel der Verfassung, nach welcher der König die Minister ernennt, nachzu¬<lb/> weisen versuchte, die Abgeordneten könnten aus dem Budgetrechte die Befugniß,<lb/> Ministergehalte zu bewilligen oder zu versagen, nicht herleiten. Eine gesetzliche<lb/> Organisation der Verfassung des Staatsministeriums existirte also nach Gneist<lb/> nicht und war nach ihm auch nicht zu wünschen- Die Versammlung eignete<lb/> sich diesen Gedankengang nicht an, und die Vertreter der Regierung fügten sich.</p><lb/> <p xml:id="ID_377" next="#ID_378"> In der vorliegenden Schrift führt Gneist die damals von ihm vertretenen<lb/> Ansichten weiter aus; und mögen seine Beweise nach der formalen Seite hin<lb/> anfechtbar sein, so muß zugegeben werden, daß er vom Standpunkte des Poli¬<lb/> tikers sehr beachtenswerthe Wahrheiten vorträgt. Die Frage, die er bespricht,<lb/> ist natürlich durch den Ausgang jener Kammerverhandlung nicht für immer<lb/> entschieden, sie wird über kurz oder lang wieder diskutirt werden, da sie sich<lb/> um das Machtverhältniß der obersten Faktoren des Staates dreht, und da sie<lb/> sich nicht mit Anwendung formaler Regeln lösen läßt. Der Aberglaube, daß<lb/> Letzteres bei allen Verfassungsfragen möglich, gehört, wie der Verfasser unserer<lb/> Schrift mit vollem Rechte behauptet, zu den Mängeln unseres Konstitutiona-<lb/> lismus und spielt bei der Behandlung der meisten Aufgaben unseres parla¬<lb/> mentarischen Lebens seine nachtheilige Rolle. Die preußische Verfassung ist in<lb/> Folge ihrer unnatürlichen Entstehung rein schematischer Natur, enthält in Folge<lb/> dessen eine große Anzahl unklarer Stellen und ruft hierdurch wieder das stete<lb/> Bestreben hervor, die Fülle und Mannichfaltigkeit des nationalen Lebens in<lb/> ein todtes Buchstabenrecht hineinzubanuen. Andererseits aber fehlt unsern An¬<lb/> forderungen an die politische Rednerbühne und die Presse der Ernst und die<lb/> Tiefe, welche allein die starren Formen einer politischen Ordnung mit frucht¬<lb/> barem Leben zu erfüllen vermögen. Sehr deutlich wird dies, wenn man mit<lb/> Gneist die Verfassung des deutschen Reiches mit der preußischen zusammenhält.<lb/> Jene ist zwar noch jung und unvollendet, und sie hat bei ihrer Weiterentwicke¬<lb/> lung große Schwierigkeiten vor sich. Ihr Grund aber wurde durch Zusam¬<lb/> menwirken aller berechtigten Faktoren gelegt, sie knüpft an die Geschichte der<lb/> Nation an und ist ein natürliches Produkt derselben, welches eine Zukunft<lb/> hat. Fast das gerade Gegentheil hiervon ist die Verfassung Preußen's. Aus<lb/> eiuer Katastrophe hervorgegangen, ist sie mit ihren wesentlichsten Bestimmungen<lb/> gar uicht auf deutschem Boden gewachsen, sondern ein Abklatsch der belgischen<lb/> Konstitution, die einem Geiste und Verhältnissen das Leben verdankt, welche<lb/> zu dem Gott Lob noch immer sehr kräftigen Walten der monarchischen Idee<lb/> in preußischen Landen äußerst wenig stimmen. Und wenn diese in ihren<lb/> Hauptzügen von auswärts hergeholte staatliche Ordnung nur auf der Seite<lb/> der Volksvertretung die rechte Behandlung erführe! So aber begegnet man<lb/> hier nur zu oft Geistern, die in dem bloßen Spiel mit Formen Befriedigung</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0124]
Artikel der Verfassung, nach welcher der König die Minister ernennt, nachzu¬
weisen versuchte, die Abgeordneten könnten aus dem Budgetrechte die Befugniß,
Ministergehalte zu bewilligen oder zu versagen, nicht herleiten. Eine gesetzliche
Organisation der Verfassung des Staatsministeriums existirte also nach Gneist
nicht und war nach ihm auch nicht zu wünschen- Die Versammlung eignete
sich diesen Gedankengang nicht an, und die Vertreter der Regierung fügten sich.
In der vorliegenden Schrift führt Gneist die damals von ihm vertretenen
Ansichten weiter aus; und mögen seine Beweise nach der formalen Seite hin
anfechtbar sein, so muß zugegeben werden, daß er vom Standpunkte des Poli¬
tikers sehr beachtenswerthe Wahrheiten vorträgt. Die Frage, die er bespricht,
ist natürlich durch den Ausgang jener Kammerverhandlung nicht für immer
entschieden, sie wird über kurz oder lang wieder diskutirt werden, da sie sich
um das Machtverhältniß der obersten Faktoren des Staates dreht, und da sie
sich nicht mit Anwendung formaler Regeln lösen läßt. Der Aberglaube, daß
Letzteres bei allen Verfassungsfragen möglich, gehört, wie der Verfasser unserer
Schrift mit vollem Rechte behauptet, zu den Mängeln unseres Konstitutiona-
lismus und spielt bei der Behandlung der meisten Aufgaben unseres parla¬
mentarischen Lebens seine nachtheilige Rolle. Die preußische Verfassung ist in
Folge ihrer unnatürlichen Entstehung rein schematischer Natur, enthält in Folge
dessen eine große Anzahl unklarer Stellen und ruft hierdurch wieder das stete
Bestreben hervor, die Fülle und Mannichfaltigkeit des nationalen Lebens in
ein todtes Buchstabenrecht hineinzubanuen. Andererseits aber fehlt unsern An¬
forderungen an die politische Rednerbühne und die Presse der Ernst und die
Tiefe, welche allein die starren Formen einer politischen Ordnung mit frucht¬
barem Leben zu erfüllen vermögen. Sehr deutlich wird dies, wenn man mit
Gneist die Verfassung des deutschen Reiches mit der preußischen zusammenhält.
Jene ist zwar noch jung und unvollendet, und sie hat bei ihrer Weiterentwicke¬
lung große Schwierigkeiten vor sich. Ihr Grund aber wurde durch Zusam¬
menwirken aller berechtigten Faktoren gelegt, sie knüpft an die Geschichte der
Nation an und ist ein natürliches Produkt derselben, welches eine Zukunft
hat. Fast das gerade Gegentheil hiervon ist die Verfassung Preußen's. Aus
eiuer Katastrophe hervorgegangen, ist sie mit ihren wesentlichsten Bestimmungen
gar uicht auf deutschem Boden gewachsen, sondern ein Abklatsch der belgischen
Konstitution, die einem Geiste und Verhältnissen das Leben verdankt, welche
zu dem Gott Lob noch immer sehr kräftigen Walten der monarchischen Idee
in preußischen Landen äußerst wenig stimmen. Und wenn diese in ihren
Hauptzügen von auswärts hergeholte staatliche Ordnung nur auf der Seite
der Volksvertretung die rechte Behandlung erführe! So aber begegnet man
hier nur zu oft Geistern, die in dem bloßen Spiel mit Formen Befriedigung
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