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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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des Malerischen wie nach seiner Charakteristik gleich wohl gelungen und um
so interessanter ist, als Bleibtreu, Camphausen's ebenbürtiger Rivale auf dem
Gebiete der Kriegsmalerei, die Katastrophe dargestellt hat, welche dem ersten
Napoleon definitiv den Thron kostete: die Schlacht bei Waterloo oder vielmehr
den letzten Akt dieses Drama's, die Flucht Napoleon's. In gestreckter Karriere
saust der Kaiser auf weißem Rosse, dem er nur widerwillig die Zügel schießen
läßt, dahin. Ihm zur Seite jagt der Marschall Soult, mit der Hand dem
Kaiser den Weg durch das Gedränge der Fliehenden weisend. Keine Fiber
zuckt in dem gelben pergamentenen Antlitz des Geschlagenen; nur die dunklen,
ni unheimlichem Feuer erglühenden Augen verrathen den furchtbaren Seelen¬
kampf, der den eisernen Mann bewegt. Im Hintergrunde stehen noch seine
Garden aufrecht, in deren Reihen das feindliche Granatfeuer starke Lücken reißt.
Auch Bleibtreu hat den tragischen Moment ergreifend dargestellt; nur war sein
Vorwurf dankbarer und würdiger als der schlottrige Mann, der den Tod an
der Spitze seiner Truppen nicht finden konnte.

Braun und Encke, die unermüdlichen Chronisten des deutsch-französischen
Krieges, haben auch in diesem Jahre einige ihrer interessanten Erinnerungs¬
tafeln an Hauptmomente und Episoden aus jener Zeit ausgestellt, die man
mit Vorliebe die "denkwürdige" zu nennen pflegt, deren Andenken aber in
unserer schnelllebenden, hastigen, Pietätslosen Generation von Jahr zu Jahr
verblaßt; indessen können sich die Bilder dieser beiden Maler mit der Meister¬
schöpfung Camphausen's nicht messen.

Einen glücklichen Griff in die nordische Sage hat der klassierende Roman¬
tiker A. v. Heyden mit einem Gemälde großen Stils, dem nächtlichen Ritt
Herrn Olof's über das Moor, gethan. Herder hat in seinen Stimmen der
Völker eine alte dänische Ballade mitgetheilt, die nachmals Goethe so mächtig
^griff, daß sie ihm seinen Erlkönig inspirirte. Der junge Herr Olof reitet
Zur Nachtzeit über das Moor, um Gäste zu seiner Hochzeit zu laden. Da
naht sich ihm die Tochter des Erlkönigs mit ihren Elfen und wirbt um seine
Liebe. Den echt dramatisch pulsirenden Dialog, den die alte Ballade von der
werbenden Elfe mit dem auf Tod und Leben dahinjagenden Ritter führen
läßt, hat Goethe genau nachgebildet.

Auch dem Maler ist es gelungen, den dämonischen Zug, der die Ballade
durchweht, auf seinem Gemälde, welches auch ohne das Gedicht verständlich
ist, zum ungeschmälerten Ausdruck zu bringen. Nur unterwärts von einem
Weißen, langhinwallenden Schleier bedeckt, dessen Enden sich in den Nebel ver¬
lieren, schwebt die schlanke Gestalt der Elfe, gespenstisch und wesenlos wie ein
Nebelstreif, über dem rabenschwarzen Rosse Olof's und streckt in liebendem
Verlangen die Hand nach dem Ritter aus, der mit entsetzensvollen Mienen zu


des Malerischen wie nach seiner Charakteristik gleich wohl gelungen und um
so interessanter ist, als Bleibtreu, Camphausen's ebenbürtiger Rivale auf dem
Gebiete der Kriegsmalerei, die Katastrophe dargestellt hat, welche dem ersten
Napoleon definitiv den Thron kostete: die Schlacht bei Waterloo oder vielmehr
den letzten Akt dieses Drama's, die Flucht Napoleon's. In gestreckter Karriere
saust der Kaiser auf weißem Rosse, dem er nur widerwillig die Zügel schießen
läßt, dahin. Ihm zur Seite jagt der Marschall Soult, mit der Hand dem
Kaiser den Weg durch das Gedränge der Fliehenden weisend. Keine Fiber
zuckt in dem gelben pergamentenen Antlitz des Geschlagenen; nur die dunklen,
ni unheimlichem Feuer erglühenden Augen verrathen den furchtbaren Seelen¬
kampf, der den eisernen Mann bewegt. Im Hintergrunde stehen noch seine
Garden aufrecht, in deren Reihen das feindliche Granatfeuer starke Lücken reißt.
Auch Bleibtreu hat den tragischen Moment ergreifend dargestellt; nur war sein
Vorwurf dankbarer und würdiger als der schlottrige Mann, der den Tod an
der Spitze seiner Truppen nicht finden konnte.

Braun und Encke, die unermüdlichen Chronisten des deutsch-französischen
Krieges, haben auch in diesem Jahre einige ihrer interessanten Erinnerungs¬
tafeln an Hauptmomente und Episoden aus jener Zeit ausgestellt, die man
mit Vorliebe die „denkwürdige" zu nennen pflegt, deren Andenken aber in
unserer schnelllebenden, hastigen, Pietätslosen Generation von Jahr zu Jahr
verblaßt; indessen können sich die Bilder dieser beiden Maler mit der Meister¬
schöpfung Camphausen's nicht messen.

Einen glücklichen Griff in die nordische Sage hat der klassierende Roman¬
tiker A. v. Heyden mit einem Gemälde großen Stils, dem nächtlichen Ritt
Herrn Olof's über das Moor, gethan. Herder hat in seinen Stimmen der
Völker eine alte dänische Ballade mitgetheilt, die nachmals Goethe so mächtig
^griff, daß sie ihm seinen Erlkönig inspirirte. Der junge Herr Olof reitet
Zur Nachtzeit über das Moor, um Gäste zu seiner Hochzeit zu laden. Da
naht sich ihm die Tochter des Erlkönigs mit ihren Elfen und wirbt um seine
Liebe. Den echt dramatisch pulsirenden Dialog, den die alte Ballade von der
werbenden Elfe mit dem auf Tod und Leben dahinjagenden Ritter führen
läßt, hat Goethe genau nachgebildet.

Auch dem Maler ist es gelungen, den dämonischen Zug, der die Ballade
durchweht, auf seinem Gemälde, welches auch ohne das Gedicht verständlich
ist, zum ungeschmälerten Ausdruck zu bringen. Nur unterwärts von einem
Weißen, langhinwallenden Schleier bedeckt, dessen Enden sich in den Nebel ver¬
lieren, schwebt die schlanke Gestalt der Elfe, gespenstisch und wesenlos wie ein
Nebelstreif, über dem rabenschwarzen Rosse Olof's und streckt in liebendem
Verlangen die Hand nach dem Ritter aus, der mit entsetzensvollen Mienen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/89>, abgerufen am 05.02.2025.