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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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dem Geräusch auf dem Platze. Vor viertel zehn Uhr Nachts erschien der große
Zapfenstreich der Kommnnalgarde vor dem Hotel mit einem Theil der Wach¬
mannschaft und mit diesem eine große, heftig bewegte Volksmenge, welche so
laut schrie, pfiff und tobte, daß man die Musik fast nicht hören konnte. Nach
wenigen Minuten schon zog die Musik, ans Anweisung des Kommandanten
Dr. Haase, ab. Man glaubte, die unruhige Menge werde sich mit der Musik
verziehen. Aber man irrte. Die Menge blieb ans dem Roßplatz und ihre
Aufregung wuchs immer mehr. Rufe: "Es lebe Norge, Czerski! Nieder mit
den Jesuiten!" wurden laut. Plötzlich stimmte die gesnmmte Menge, die Kopf
an Kopf vom Hotel bis in die Promenaden, die sogenannte Lerchenallee hin-
eiustand, das ernste Trost- und Schlachtlied der Reformation an: "Ein' feste
Burg ist unser Gott". Alle Strophen des Liedes wurden gesungen. Dann
folgten andre Lieder: "Ein freies Leben fuhren wir", "Gute Nacht, gute
Nacht" u. f. w., gewöhnliche Gassenhauer. Gelächter, Toben, Schreien, Pfeifen,
gemeine Schimpfworte, die offenbar dem Prinzen galten, füllten die Kunst-
pausen aus.

Es war halb zehn Uhr geworden; der Prinz hatte die Tafel aufgehoben
und unterhielt sich im Gartensalon mit seinen Gästen. Das Geschrei vom
Platze war nun auch im Gartensalon hörbar. Der Prinz fragte einen der
Anwesenden: "Was ist das?" worauf dieser mit traurigem Byzantinismus
erwiederte: "Es wird ein Vivat sein, das man Ew, Kgl. Hoheit bringt, ein
Hurrah."

Schon bei Tafel hatten einige Bataillonskommandanteu der Kommnnal-
garde, Dr. Osterloh und von Canig, den Kommandanten Dr. Haase durch
Zeichen darauf aufmerksam gemacht, daß es wohl nöthig sei, Generalmarsch
schlagen zu lassen, um den Platz durch die Kommnnalgarde zu säubern. Die
Herren wiederholten diese Vorstellung nach Aufhebung der Tafel nachdrücklich,
da unterdessen der Tumult vor dem Hotel einen wesentlich ruchloseren Charakter
angenommen hatte. Der Pöbel nämlich, des Singens und Brüllens müde,
und keineswegs gewillt, in der milden Augustnacht schon nach Hause zu gehen,
hatte Massen von Steinen nach der vorderen Fensterfront des Hotels geschleu¬
dert. Durch einen dieser Steine ward sogar aus dem Gitter des Balkons der
ersten Etage ein Stück Eisen von drei Viertel Ellen Länge herausgeschlagen
Mehrere Steine flogen in die Hausflur des Hauptgebäudes und selbst bis in
den hinter demselben gelegenen Hof. Doch fand weder gegen den Doppelposten
vor dem Hotel, noch gegen die Chaine der Polizeimannschaften, die vor dem



*) Offizielle Bekanntmachung des Ministeriums (letzte der S. 62. 83. namhaft gemachte
Schriften) S. 16. U ,

dem Geräusch auf dem Platze. Vor viertel zehn Uhr Nachts erschien der große
Zapfenstreich der Kommnnalgarde vor dem Hotel mit einem Theil der Wach¬
mannschaft und mit diesem eine große, heftig bewegte Volksmenge, welche so
laut schrie, pfiff und tobte, daß man die Musik fast nicht hören konnte. Nach
wenigen Minuten schon zog die Musik, ans Anweisung des Kommandanten
Dr. Haase, ab. Man glaubte, die unruhige Menge werde sich mit der Musik
verziehen. Aber man irrte. Die Menge blieb ans dem Roßplatz und ihre
Aufregung wuchs immer mehr. Rufe: „Es lebe Norge, Czerski! Nieder mit
den Jesuiten!" wurden laut. Plötzlich stimmte die gesnmmte Menge, die Kopf
an Kopf vom Hotel bis in die Promenaden, die sogenannte Lerchenallee hin-
eiustand, das ernste Trost- und Schlachtlied der Reformation an: „Ein' feste
Burg ist unser Gott". Alle Strophen des Liedes wurden gesungen. Dann
folgten andre Lieder: „Ein freies Leben fuhren wir", „Gute Nacht, gute
Nacht" u. f. w., gewöhnliche Gassenhauer. Gelächter, Toben, Schreien, Pfeifen,
gemeine Schimpfworte, die offenbar dem Prinzen galten, füllten die Kunst-
pausen aus.

Es war halb zehn Uhr geworden; der Prinz hatte die Tafel aufgehoben
und unterhielt sich im Gartensalon mit seinen Gästen. Das Geschrei vom
Platze war nun auch im Gartensalon hörbar. Der Prinz fragte einen der
Anwesenden: „Was ist das?" worauf dieser mit traurigem Byzantinismus
erwiederte: „Es wird ein Vivat sein, das man Ew, Kgl. Hoheit bringt, ein
Hurrah."

Schon bei Tafel hatten einige Bataillonskommandanteu der Kommnnal-
garde, Dr. Osterloh und von Canig, den Kommandanten Dr. Haase durch
Zeichen darauf aufmerksam gemacht, daß es wohl nöthig sei, Generalmarsch
schlagen zu lassen, um den Platz durch die Kommnnalgarde zu säubern. Die
Herren wiederholten diese Vorstellung nach Aufhebung der Tafel nachdrücklich,
da unterdessen der Tumult vor dem Hotel einen wesentlich ruchloseren Charakter
angenommen hatte. Der Pöbel nämlich, des Singens und Brüllens müde,
und keineswegs gewillt, in der milden Augustnacht schon nach Hause zu gehen,
hatte Massen von Steinen nach der vorderen Fensterfront des Hotels geschleu¬
dert. Durch einen dieser Steine ward sogar aus dem Gitter des Balkons der
ersten Etage ein Stück Eisen von drei Viertel Ellen Länge herausgeschlagen
Mehrere Steine flogen in die Hausflur des Hauptgebäudes und selbst bis in
den hinter demselben gelegenen Hof. Doch fand weder gegen den Doppelposten
vor dem Hotel, noch gegen die Chaine der Polizeimannschaften, die vor dem



*) Offizielle Bekanntmachung des Ministeriums (letzte der S. 62. 83. namhaft gemachte
Schriften) S. 16. U ,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/58>, abgerufen am 05.02.2025.