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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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bisherige Verhalten der Regierung, welche auch die allgemeine Entrüstung der
Bevölkerung über die Juli-Bekanntmachung einfach ignorirte, zu einem furcht¬
baren Ausbruch des Vvlksunwillens geführt.

Seitdem das sächsische Regentenhaus, das solange der rühmlichste Vorkämpfer
der deutschen Reformation gewesen, um der unseligen Krone Polen's willen,
zum katholischen Glauben übergetreten war, machte das rege Mißtrauen des
protestantischen Volkes stets den katholischen Hof in erster Linie verantwortlich
sür solche Mißgriffe der Regierung, hier namentlich für die Begünstigung der
Jesuiten, die Unterdrückung der Deutsch-Katholiken. Unbegreiflicher Weise be¬
zeichnete damals die öffentliche Stimme in erster Linie den Bruder des regie¬
renden Königs Friedrich August, den Prinzen (und späteren König) Johann
von Sachsen als Förderer der jesuitischen Umtriebe und als geheimes Mitglied des
Ordens. Dieser Prinz hatte die reichste humanste Bildung genossen. Als ganz
jungen Mann hatte Jean Paul ihn kennen gelernt und ihm begeistertes Lob
gespendet. Seine literarischen Neigungen und Studien waren weltbekannt. Er
führte sein Leben am liebsten zurückgezogen, seiner Familie, seinen Studien hin¬
gegeben. Bei dem geringen Altersunterschied, der zwischen ihm und dem regie¬
renden, älteren Bruder bestand, dachte er kaum daran diesem jemals in der
Regierung zu folgen. Von seinem ersten öffentlichen Auftreten an in der
Sächsischen Ersten Kammer hatte er sich als scharfsinniger Jurist, als wohl¬
wollender und aufgeklärter Menschenfreund erwiesen, der jeder schroffen Partei¬
äußerung abhold war. Seine Aeußerung bei Gelegenheit des Kniebeuguugs-
streites zu Gunsten der von den protestantischen Superintendenten "erfochtenen
Meinung ist schon oben erwähnt worden. Seine ganze spätere Thätigkeit als
Prinz und als König hat niemals den Schatten eines Verdachtes dafür auf¬
kommen lassen, als sei er ein religiöser Fanatiker, zugeneigt kirchlichem
Hader, thätig für eine streitbare, von Grund ans unsittliche Ordensgewalt.
Aber wann wird jemals die Vernunft erfolgreich rechten mit vorgefaßten Mei¬
nungen des Volksglaubens? Genug, daß der Prinz im Jahre 1845 allgemein
als Träger der ultramontanen Bestrebungen in Sachsen, als die festeste Stütze
der reaktionären kirchlichen Politik der Regierung überhaupt galt. Es fehlte
nur der äußere Anlaß, um dieser Mißstimmung in grellen Dissonanzen Aus¬
druck zu verschaffen. Dieser Anlaß sollte sich leider finden.*)



5) Die von mir über die Leipziger Augustereignisse benutzten Quellen sind: die Sachs,
Ladtagsmitthciluugeu von 1346/46. -- Das Leipziger Tageblatt vom 14. August
1846 an (Leipziger NatlMbliothck), -- Eduard Hermsdorf, Mittheilungen ans den
Plcnarvcrhandlnngen der Stadtverordneten zu Leipzig, 2. Band, 2. Heft, Jahrgang 134S.
Leipzig, Fest'sehe Buchhandlung, 1846, S. 33 fig. --'Biedermann,'Sachs, Zustände a. a.
O. S. 338--361. -- Deutsche Allgemeine Zeitung, 1846 vom 14, August an, --
Dr. Carl Krause, der 12. 13. 14. und Is, August 1846 in Leipzig, Leipzig, Hoßfelo,

bisherige Verhalten der Regierung, welche auch die allgemeine Entrüstung der
Bevölkerung über die Juli-Bekanntmachung einfach ignorirte, zu einem furcht¬
baren Ausbruch des Vvlksunwillens geführt.

Seitdem das sächsische Regentenhaus, das solange der rühmlichste Vorkämpfer
der deutschen Reformation gewesen, um der unseligen Krone Polen's willen,
zum katholischen Glauben übergetreten war, machte das rege Mißtrauen des
protestantischen Volkes stets den katholischen Hof in erster Linie verantwortlich
sür solche Mißgriffe der Regierung, hier namentlich für die Begünstigung der
Jesuiten, die Unterdrückung der Deutsch-Katholiken. Unbegreiflicher Weise be¬
zeichnete damals die öffentliche Stimme in erster Linie den Bruder des regie¬
renden Königs Friedrich August, den Prinzen (und späteren König) Johann
von Sachsen als Förderer der jesuitischen Umtriebe und als geheimes Mitglied des
Ordens. Dieser Prinz hatte die reichste humanste Bildung genossen. Als ganz
jungen Mann hatte Jean Paul ihn kennen gelernt und ihm begeistertes Lob
gespendet. Seine literarischen Neigungen und Studien waren weltbekannt. Er
führte sein Leben am liebsten zurückgezogen, seiner Familie, seinen Studien hin¬
gegeben. Bei dem geringen Altersunterschied, der zwischen ihm und dem regie¬
renden, älteren Bruder bestand, dachte er kaum daran diesem jemals in der
Regierung zu folgen. Von seinem ersten öffentlichen Auftreten an in der
Sächsischen Ersten Kammer hatte er sich als scharfsinniger Jurist, als wohl¬
wollender und aufgeklärter Menschenfreund erwiesen, der jeder schroffen Partei¬
äußerung abhold war. Seine Aeußerung bei Gelegenheit des Kniebeuguugs-
streites zu Gunsten der von den protestantischen Superintendenten »erfochtenen
Meinung ist schon oben erwähnt worden. Seine ganze spätere Thätigkeit als
Prinz und als König hat niemals den Schatten eines Verdachtes dafür auf¬
kommen lassen, als sei er ein religiöser Fanatiker, zugeneigt kirchlichem
Hader, thätig für eine streitbare, von Grund ans unsittliche Ordensgewalt.
Aber wann wird jemals die Vernunft erfolgreich rechten mit vorgefaßten Mei¬
nungen des Volksglaubens? Genug, daß der Prinz im Jahre 1845 allgemein
als Träger der ultramontanen Bestrebungen in Sachsen, als die festeste Stütze
der reaktionären kirchlichen Politik der Regierung überhaupt galt. Es fehlte
nur der äußere Anlaß, um dieser Mißstimmung in grellen Dissonanzen Aus¬
druck zu verschaffen. Dieser Anlaß sollte sich leider finden.*)



5) Die von mir über die Leipziger Augustereignisse benutzten Quellen sind: die Sachs,
Ladtagsmitthciluugeu von 1346/46. — Das Leipziger Tageblatt vom 14. August
1846 an (Leipziger NatlMbliothck), — Eduard Hermsdorf, Mittheilungen ans den
Plcnarvcrhandlnngen der Stadtverordneten zu Leipzig, 2. Band, 2. Heft, Jahrgang 134S.
Leipzig, Fest'sehe Buchhandlung, 1846, S. 33 fig. —'Biedermann,'Sachs, Zustände a. a.
O. S. 338—361. — Deutsche Allgemeine Zeitung, 1846 vom 14, August an, —
Dr. Carl Krause, der 12. 13. 14. und Is, August 1846 in Leipzig, Leipzig, Hoßfelo,
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[0056] bisherige Verhalten der Regierung, welche auch die allgemeine Entrüstung der Bevölkerung über die Juli-Bekanntmachung einfach ignorirte, zu einem furcht¬ baren Ausbruch des Vvlksunwillens geführt. Seitdem das sächsische Regentenhaus, das solange der rühmlichste Vorkämpfer der deutschen Reformation gewesen, um der unseligen Krone Polen's willen, zum katholischen Glauben übergetreten war, machte das rege Mißtrauen des protestantischen Volkes stets den katholischen Hof in erster Linie verantwortlich sür solche Mißgriffe der Regierung, hier namentlich für die Begünstigung der Jesuiten, die Unterdrückung der Deutsch-Katholiken. Unbegreiflicher Weise be¬ zeichnete damals die öffentliche Stimme in erster Linie den Bruder des regie¬ renden Königs Friedrich August, den Prinzen (und späteren König) Johann von Sachsen als Förderer der jesuitischen Umtriebe und als geheimes Mitglied des Ordens. Dieser Prinz hatte die reichste humanste Bildung genossen. Als ganz jungen Mann hatte Jean Paul ihn kennen gelernt und ihm begeistertes Lob gespendet. Seine literarischen Neigungen und Studien waren weltbekannt. Er führte sein Leben am liebsten zurückgezogen, seiner Familie, seinen Studien hin¬ gegeben. Bei dem geringen Altersunterschied, der zwischen ihm und dem regie¬ renden, älteren Bruder bestand, dachte er kaum daran diesem jemals in der Regierung zu folgen. Von seinem ersten öffentlichen Auftreten an in der Sächsischen Ersten Kammer hatte er sich als scharfsinniger Jurist, als wohl¬ wollender und aufgeklärter Menschenfreund erwiesen, der jeder schroffen Partei¬ äußerung abhold war. Seine Aeußerung bei Gelegenheit des Kniebeuguugs- streites zu Gunsten der von den protestantischen Superintendenten »erfochtenen Meinung ist schon oben erwähnt worden. Seine ganze spätere Thätigkeit als Prinz und als König hat niemals den Schatten eines Verdachtes dafür auf¬ kommen lassen, als sei er ein religiöser Fanatiker, zugeneigt kirchlichem Hader, thätig für eine streitbare, von Grund ans unsittliche Ordensgewalt. Aber wann wird jemals die Vernunft erfolgreich rechten mit vorgefaßten Mei¬ nungen des Volksglaubens? Genug, daß der Prinz im Jahre 1845 allgemein als Träger der ultramontanen Bestrebungen in Sachsen, als die festeste Stütze der reaktionären kirchlichen Politik der Regierung überhaupt galt. Es fehlte nur der äußere Anlaß, um dieser Mißstimmung in grellen Dissonanzen Aus¬ druck zu verschaffen. Dieser Anlaß sollte sich leider finden.*) 5) Die von mir über die Leipziger Augustereignisse benutzten Quellen sind: die Sachs, Ladtagsmitthciluugeu von 1346/46. — Das Leipziger Tageblatt vom 14. August 1846 an (Leipziger NatlMbliothck), — Eduard Hermsdorf, Mittheilungen ans den Plcnarvcrhandlnngen der Stadtverordneten zu Leipzig, 2. Band, 2. Heft, Jahrgang 134S. Leipzig, Fest'sehe Buchhandlung, 1846, S. 33 fig. —'Biedermann,'Sachs, Zustände a. a. O. S. 338—361. — Deutsche Allgemeine Zeitung, 1846 vom 14, August an, — Dr. Carl Krause, der 12. 13. 14. und Is, August 1846 in Leipzig, Leipzig, Hoßfelo,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/56>, abgerufen am 05.02.2025.