Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.Die russische Presse freilich will diese Geschichte nicht Wort haben, doch Grenzbotm IV. 187ö. S4
Die russische Presse freilich will diese Geschichte nicht Wort haben, doch Grenzbotm IV. 187ö. S4
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Die russische Presse freilich will diese Geschichte nicht Wort haben, doch
kann sie nicht leugnen, daß Nußland und seine Politik im gegenwärtigen
Kampfe zwischen Afghanistan und England sich freundlich zu ersterem stellen.
Es ist das auch ganz natürlich und kann keinerlei Befremden erregen, wenn
man den alten Rivalitätsstreit beider Mächte in Asien bedenkt, deren Macht¬
sphäre nnr durch das „neutrale" Afghanistan getrennt ist. Es sind erst vier
Jahre darüber vergangen, daß diese Neutralität zwischen den beiden Rivalen
vereinbart und damit die Hoffnung wach wurde, des alten Streites sei genug.
Hätte das zumeist gebirgige Land besser geordnete staatliche Verhältnisse, als
in der That vorliegen, wäre es nicht chronisch von Bürgerkriegen zerrissen und
wären in Folge dessen seine Einwohner nicht ein unruhiges, zu ewigem Streite
aufgelegtes Volk, so könnte vielleicht die Neutralität von einigem Nutzen,
Afghanistan eine gute Scheidemauer zwischen dem indischen und russischen
Kaiserreiche in Asien geworden sein. Wir müssen aber das Land der Afghanen
so nehmen wie es ist und dürfen nicht vergessen, daß schir Ali nicht unbe¬
stritten im Besitze seiner väterlichen Erbschaft dasteht. Er hat eine zahlreiche
Verwandtschaft von Oheimen und Neffen, welche nicht ungerechte Ansprüche
auf die Verwaltung einzelner Provinzen, ja auf den Thron machen, und die
er nur in blutigen Bürgerkriegen niederzuwerfen vermochte. Theils außer
Landes geflohen, sind diese Verwandten stets bereit, wieder in Afghanistan ein¬
zubrechen und mit jeder fremden Macht zu Pallirer, die ihnen zu ihren Zwecken
behilflich ist, sei dies nun Persien, Rußland oder England. Die Afghanen
sind aber auch an und für sich, ohne durch Prätendenten aufgestachelt zu sein,
das unbotmäßigste Volk, welches sich denken läßt. Die Häupter der verschie¬
denen Stämme haben sich zu keiner Zeit gern der Suprematie eines einzigen
Herrschers unterworfen, und da das Land im Allgemeinen ein armes zu nennen
ist, so hat das Schwert immer mehr Freunde als der Pflug gehabt, und der
Handel war und ist ausschließlich in den Händen einer fremden Race, der
persischen Tadschiks, welche dort eine ähnliche Rolle spielen, wie die Juden
bei uns. Den Widerwillen gegen die Obrigkeit vermehrt noch der Umstand,
daß schir Ali den Pfad der Reformen betrat und der Anarchie ein Ende zu
machen suchte, was die eingefleischter Orientalen noch feindlicher stimmte. Zu
der neutralen Zone zwischen dem russischen und indischen Reiche wurden ferner
noch jene Provinzen gerechnet, die nur lose mit Afghanistan verknüpft sind und
unwillig das Joch schir Ali's tragen. Herat, diese wichtige gegen Buchara
hin gelegene Festung, wo lange Zeit Jakub, schir Ali's Sohn, Statthalter war,
ist von dem eigentlichen Afghanistan immer halb unabhängig gewesen, und so
sind auch die kleinen Fürstentümer Maimene und Andchui immer unsichere
Besitzungen gewesen, die nach dem Rußland verpflichteten Buchara hin gravi-
Grenzbotm IV. 187ö. S4
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