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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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der Konsistorien Lücken entstanden. Diese wurden aber von englischer Seite
auf die unpraktischste Weise und unter großer Unkenntniß der Verhältnisse der
Insel ausgefüllt. Es genügt hier zu erwähnen, daß der Gouverneur eine
Art zweiter Instanz ausübte, was um so bedenklicher erschien, als er mehr¬
fach geradezu betheiligt war, z. B. in Strandungsfällen Prozente bezog. Es
kamen die wunderbarsten Urtheile vor, z. B. Beurtheilungen ans Grund mi߬
verstandener Stellen eines vor 500 Jahren erlassenen Gesetzbuchs zu Strafen,
die inzwischen längst abgeschafft waren.

Die Zustünde wurden derart, daß man auch in England die Nothwen¬
digkeit einer Aenderung einsah. Das Natürlichste wäre nun gewesen, man hätte
sich hierüber mit den Insulanern in Verbindung gesetzt und zu verständigen
gesucht; statt dessen wurden diese plötzlich durch eine Verfassung vom 8. Januar
1864 überrascht, durch welche das gesammte öffentliche Recht der Insel umge¬
stoßen und statt dessen wiederum die alleruupassendsten Einrichtungen getroffen
wurden. Die Verfassung war gar nicht wie für die kleine Insel mit ihren ein¬
fachen Verhältnissen bestimmt, sondern da sollte es auf einmal geben einen gesetz¬
gebenden Rath, ein Gemeindehaus, einen Kcibinetsrath u. f. w., lauter Dinge,
die sich für die Insel ziemlich komisch ausnahmen. Gleichwohl hätte es noch
gehen mögen, wenn ein einsichtsvoller, geschäftserfahrener, Vertrauen genießender
Mann zur Ausführung vorhanden gewesen wäre. Als solcher bewies sich
jedoch der 1863 zum Gouverneur ernannte Oberstlieutenant Maxse nicht. Der¬
selbe erließ eine lange Reihe von Verordnungen, welche von fortdauernder
Unkunde und Ungeschick zeugten und zugleich auf Mißverständnissen, Unwahr¬
heit und Entstellung beruhten. Es war kein Wunder, daß die Zustände noch
unerträglicher wurden. Was soll man auch zu der Leichtfertigkeit sagen, mit
welcher ein gar nicht vorhandenes "Schleswig-holstein'sches Zivil- und Krimi-
nalgesetzbuch" für eingeführt erklärt wurde?

Die Helgoländer wandten sich nunmehr im Jahre 1866 mit bitteren Be¬
schwerden an die Königin Viktoria. Sie erinnerten an die 1807 englischer-
seits ertheilten Verheißungen und klagten über die ohne Zuziehung der Be¬
wohner vorgenommenen Eingriffe, rügten auch namentlich die stattgehabte
"strafbare Gewissenlosigkeit bei der Verwaltung des Bürgerguts". Die Ein¬
gabe hatte jedoch trotz ihrer lebhaften Schilderung keinen Erfolg, sie wurde
vielmehr vom Kolonialamte in einer von der größten Unkenntniß der Verhält¬
nisse zeugenden Weise abgelehnt. Erst nachträglich suchte der Kolonialminister
dieselben kennen zu lernen, als er im Sommer 1867 die Insel besuchte. Die
Helgoländer suchten ihm nochmals alle Mißverhältnisse vorzuführen, es hatte
aber auch dies so wenig Erfolg, daß der Minister schließlich erklärte, an eine
Aufhebung der Verfassung von 1864 sei gar nicht zu denken.


der Konsistorien Lücken entstanden. Diese wurden aber von englischer Seite
auf die unpraktischste Weise und unter großer Unkenntniß der Verhältnisse der
Insel ausgefüllt. Es genügt hier zu erwähnen, daß der Gouverneur eine
Art zweiter Instanz ausübte, was um so bedenklicher erschien, als er mehr¬
fach geradezu betheiligt war, z. B. in Strandungsfällen Prozente bezog. Es
kamen die wunderbarsten Urtheile vor, z. B. Beurtheilungen ans Grund mi߬
verstandener Stellen eines vor 500 Jahren erlassenen Gesetzbuchs zu Strafen,
die inzwischen längst abgeschafft waren.

Die Zustünde wurden derart, daß man auch in England die Nothwen¬
digkeit einer Aenderung einsah. Das Natürlichste wäre nun gewesen, man hätte
sich hierüber mit den Insulanern in Verbindung gesetzt und zu verständigen
gesucht; statt dessen wurden diese plötzlich durch eine Verfassung vom 8. Januar
1864 überrascht, durch welche das gesammte öffentliche Recht der Insel umge¬
stoßen und statt dessen wiederum die alleruupassendsten Einrichtungen getroffen
wurden. Die Verfassung war gar nicht wie für die kleine Insel mit ihren ein¬
fachen Verhältnissen bestimmt, sondern da sollte es auf einmal geben einen gesetz¬
gebenden Rath, ein Gemeindehaus, einen Kcibinetsrath u. f. w., lauter Dinge,
die sich für die Insel ziemlich komisch ausnahmen. Gleichwohl hätte es noch
gehen mögen, wenn ein einsichtsvoller, geschäftserfahrener, Vertrauen genießender
Mann zur Ausführung vorhanden gewesen wäre. Als solcher bewies sich
jedoch der 1863 zum Gouverneur ernannte Oberstlieutenant Maxse nicht. Der¬
selbe erließ eine lange Reihe von Verordnungen, welche von fortdauernder
Unkunde und Ungeschick zeugten und zugleich auf Mißverständnissen, Unwahr¬
heit und Entstellung beruhten. Es war kein Wunder, daß die Zustände noch
unerträglicher wurden. Was soll man auch zu der Leichtfertigkeit sagen, mit
welcher ein gar nicht vorhandenes „Schleswig-holstein'sches Zivil- und Krimi-
nalgesetzbuch" für eingeführt erklärt wurde?

Die Helgoländer wandten sich nunmehr im Jahre 1866 mit bitteren Be¬
schwerden an die Königin Viktoria. Sie erinnerten an die 1807 englischer-
seits ertheilten Verheißungen und klagten über die ohne Zuziehung der Be¬
wohner vorgenommenen Eingriffe, rügten auch namentlich die stattgehabte
„strafbare Gewissenlosigkeit bei der Verwaltung des Bürgerguts". Die Ein¬
gabe hatte jedoch trotz ihrer lebhaften Schilderung keinen Erfolg, sie wurde
vielmehr vom Kolonialamte in einer von der größten Unkenntniß der Verhält¬
nisse zeugenden Weise abgelehnt. Erst nachträglich suchte der Kolonialminister
dieselben kennen zu lernen, als er im Sommer 1867 die Insel besuchte. Die
Helgoländer suchten ihm nochmals alle Mißverhältnisse vorzuführen, es hatte
aber auch dies so wenig Erfolg, daß der Minister schließlich erklärte, an eine
Aufhebung der Verfassung von 1864 sei gar nicht zu denken.


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[0034] der Konsistorien Lücken entstanden. Diese wurden aber von englischer Seite auf die unpraktischste Weise und unter großer Unkenntniß der Verhältnisse der Insel ausgefüllt. Es genügt hier zu erwähnen, daß der Gouverneur eine Art zweiter Instanz ausübte, was um so bedenklicher erschien, als er mehr¬ fach geradezu betheiligt war, z. B. in Strandungsfällen Prozente bezog. Es kamen die wunderbarsten Urtheile vor, z. B. Beurtheilungen ans Grund mi߬ verstandener Stellen eines vor 500 Jahren erlassenen Gesetzbuchs zu Strafen, die inzwischen längst abgeschafft waren. Die Zustünde wurden derart, daß man auch in England die Nothwen¬ digkeit einer Aenderung einsah. Das Natürlichste wäre nun gewesen, man hätte sich hierüber mit den Insulanern in Verbindung gesetzt und zu verständigen gesucht; statt dessen wurden diese plötzlich durch eine Verfassung vom 8. Januar 1864 überrascht, durch welche das gesammte öffentliche Recht der Insel umge¬ stoßen und statt dessen wiederum die alleruupassendsten Einrichtungen getroffen wurden. Die Verfassung war gar nicht wie für die kleine Insel mit ihren ein¬ fachen Verhältnissen bestimmt, sondern da sollte es auf einmal geben einen gesetz¬ gebenden Rath, ein Gemeindehaus, einen Kcibinetsrath u. f. w., lauter Dinge, die sich für die Insel ziemlich komisch ausnahmen. Gleichwohl hätte es noch gehen mögen, wenn ein einsichtsvoller, geschäftserfahrener, Vertrauen genießender Mann zur Ausführung vorhanden gewesen wäre. Als solcher bewies sich jedoch der 1863 zum Gouverneur ernannte Oberstlieutenant Maxse nicht. Der¬ selbe erließ eine lange Reihe von Verordnungen, welche von fortdauernder Unkunde und Ungeschick zeugten und zugleich auf Mißverständnissen, Unwahr¬ heit und Entstellung beruhten. Es war kein Wunder, daß die Zustände noch unerträglicher wurden. Was soll man auch zu der Leichtfertigkeit sagen, mit welcher ein gar nicht vorhandenes „Schleswig-holstein'sches Zivil- und Krimi- nalgesetzbuch" für eingeführt erklärt wurde? Die Helgoländer wandten sich nunmehr im Jahre 1866 mit bitteren Be¬ schwerden an die Königin Viktoria. Sie erinnerten an die 1807 englischer- seits ertheilten Verheißungen und klagten über die ohne Zuziehung der Be¬ wohner vorgenommenen Eingriffe, rügten auch namentlich die stattgehabte „strafbare Gewissenlosigkeit bei der Verwaltung des Bürgerguts". Die Ein¬ gabe hatte jedoch trotz ihrer lebhaften Schilderung keinen Erfolg, sie wurde vielmehr vom Kolonialamte in einer von der größten Unkenntniß der Verhält¬ nisse zeugenden Weise abgelehnt. Erst nachträglich suchte der Kolonialminister dieselben kennen zu lernen, als er im Sommer 1867 die Insel besuchte. Die Helgoländer suchten ihm nochmals alle Mißverhältnisse vorzuführen, es hatte aber auch dies so wenig Erfolg, daß der Minister schließlich erklärte, an eine Aufhebung der Verfassung von 1864 sei gar nicht zu denken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/34>, abgerufen am 05.02.2025.