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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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er der erstaunten Welt zum ersten Male zeigte, wozu ein Physiker das Phantom
des vierfach ausgedehnten Raumes gebrauchen kann, Zoellner sucht nämlich
nichts Geringeres, als die Wunder und Geisterzitirungen spiritistischer Art
durch den Raum vou vier Dimensionen begreiflich zu machen.^) Er laßt die
spiritistischen Medien gewissermaßen eine vermittelnde Rolle spielen zwischen den¬
jenigen Wesen, mit denen er den vierdimensionalen Raum bevölkert, und den
dreidimensionalen Menschen, weil erstere nur in Gegenwart solcher Medien
auf kurze Zeit in unserem Raume erscheinen und allerlei Experimente ausfiihren,
welche die meisten Dreidimensionalen für Trug und Taschenspielerei zu halte"
meistens beschränkt genug sind. Das allerdings sind die pikantesten Früchte,
die im Garten der mathematischen Mystik bisher gereift sind, die aber immer¬
hin das Gute haben, dem fernerstehenden Publikum zu zeigen, was in der
strengen Wissenschaft alles möglich werden kann, wenn sie anfängt, mit der
Metaphysik anstatt mit der Wirklichkeit sich zu befassen.

Eine Vorstellung von dem vierfach ausgedehnten Raume hat uns übrigens
noch kein Hypergeometer zu geben vermocht, was ja auch der Natur der Sache
nach nie gelingen kann. Angesichts dieser Unmöglichkeit tröstet sich Zoellner
mit der vermeintlich gleichen Unmöglichkeit, jedem Bauern die Richtigkeit des
Pythagoreischen Satzes darzuthun, indem er zugleich jene höhere Raumanschauung
darwinistisch für eine höhere Stufe in der Entwickelung des menschlichen In¬
tellekts ansieht, die sich zur gegenwärtigen etwa so verhalten würde, wie diese
zum thierischen Intellekt; Ganß begnügt sich damit, die Sache sür so einfach
zu erklären, daß nur ein Böotier kein Verständniß dafür habe. Bei solcher
Sachlage bleibt allerdings der durch seine drei (zu einander rechtwinkelig
stehenden) Dimensionen und die Axiome charakterisirte Raum vorläufig uoch
der einzige, von dem wir einen Begriff haben können. Zwar kann die Geo¬
metrie mit diesem Begriffe der allgemeinen Raumvorstellung, weit und leer
wie er ist, allein noch nichts ausrichten; sie hat vielmehr begriffliche Regeln,
nach denen bestimmte Gebilde entworfen werden, als weitere Grundlage vor¬
auszusetzen. Durch diese Nothwendigkeit bekommt sie einen rein logischen
Bestandtheil, mit welchem sich eine Hypergeometrie ganz besonders auseinander
zu setzen hat, sobald sie nur einen einzigen positiven Satz entwickeln will.
Darum würde nach unserer Ansicht anch die wirksamste Zurückweisung der
hypergeometrischen Zumuthungen in einer Untersuchung nud Begründung der
logischen Verfassung der Geometrie bestehen oder vielmehr der gesammten
Mathematik, um überhaupt jedem mathematischen Mystizismus für immer den
Boden zu nehmen.



*) Wissenschaftliche Abhandlungen. 2 Bände. Leipzig, Staackmann. 1878.

er der erstaunten Welt zum ersten Male zeigte, wozu ein Physiker das Phantom
des vierfach ausgedehnten Raumes gebrauchen kann, Zoellner sucht nämlich
nichts Geringeres, als die Wunder und Geisterzitirungen spiritistischer Art
durch den Raum vou vier Dimensionen begreiflich zu machen.^) Er laßt die
spiritistischen Medien gewissermaßen eine vermittelnde Rolle spielen zwischen den¬
jenigen Wesen, mit denen er den vierdimensionalen Raum bevölkert, und den
dreidimensionalen Menschen, weil erstere nur in Gegenwart solcher Medien
auf kurze Zeit in unserem Raume erscheinen und allerlei Experimente ausfiihren,
welche die meisten Dreidimensionalen für Trug und Taschenspielerei zu halte»
meistens beschränkt genug sind. Das allerdings sind die pikantesten Früchte,
die im Garten der mathematischen Mystik bisher gereift sind, die aber immer¬
hin das Gute haben, dem fernerstehenden Publikum zu zeigen, was in der
strengen Wissenschaft alles möglich werden kann, wenn sie anfängt, mit der
Metaphysik anstatt mit der Wirklichkeit sich zu befassen.

Eine Vorstellung von dem vierfach ausgedehnten Raume hat uns übrigens
noch kein Hypergeometer zu geben vermocht, was ja auch der Natur der Sache
nach nie gelingen kann. Angesichts dieser Unmöglichkeit tröstet sich Zoellner
mit der vermeintlich gleichen Unmöglichkeit, jedem Bauern die Richtigkeit des
Pythagoreischen Satzes darzuthun, indem er zugleich jene höhere Raumanschauung
darwinistisch für eine höhere Stufe in der Entwickelung des menschlichen In¬
tellekts ansieht, die sich zur gegenwärtigen etwa so verhalten würde, wie diese
zum thierischen Intellekt; Ganß begnügt sich damit, die Sache sür so einfach
zu erklären, daß nur ein Böotier kein Verständniß dafür habe. Bei solcher
Sachlage bleibt allerdings der durch seine drei (zu einander rechtwinkelig
stehenden) Dimensionen und die Axiome charakterisirte Raum vorläufig uoch
der einzige, von dem wir einen Begriff haben können. Zwar kann die Geo¬
metrie mit diesem Begriffe der allgemeinen Raumvorstellung, weit und leer
wie er ist, allein noch nichts ausrichten; sie hat vielmehr begriffliche Regeln,
nach denen bestimmte Gebilde entworfen werden, als weitere Grundlage vor¬
auszusetzen. Durch diese Nothwendigkeit bekommt sie einen rein logischen
Bestandtheil, mit welchem sich eine Hypergeometrie ganz besonders auseinander
zu setzen hat, sobald sie nur einen einzigen positiven Satz entwickeln will.
Darum würde nach unserer Ansicht anch die wirksamste Zurückweisung der
hypergeometrischen Zumuthungen in einer Untersuchung nud Begründung der
logischen Verfassung der Geometrie bestehen oder vielmehr der gesammten
Mathematik, um überhaupt jedem mathematischen Mystizismus für immer den
Boden zu nehmen.



*) Wissenschaftliche Abhandlungen. 2 Bände. Leipzig, Staackmann. 1878.
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[0311] er der erstaunten Welt zum ersten Male zeigte, wozu ein Physiker das Phantom des vierfach ausgedehnten Raumes gebrauchen kann, Zoellner sucht nämlich nichts Geringeres, als die Wunder und Geisterzitirungen spiritistischer Art durch den Raum vou vier Dimensionen begreiflich zu machen.^) Er laßt die spiritistischen Medien gewissermaßen eine vermittelnde Rolle spielen zwischen den¬ jenigen Wesen, mit denen er den vierdimensionalen Raum bevölkert, und den dreidimensionalen Menschen, weil erstere nur in Gegenwart solcher Medien auf kurze Zeit in unserem Raume erscheinen und allerlei Experimente ausfiihren, welche die meisten Dreidimensionalen für Trug und Taschenspielerei zu halte» meistens beschränkt genug sind. Das allerdings sind die pikantesten Früchte, die im Garten der mathematischen Mystik bisher gereift sind, die aber immer¬ hin das Gute haben, dem fernerstehenden Publikum zu zeigen, was in der strengen Wissenschaft alles möglich werden kann, wenn sie anfängt, mit der Metaphysik anstatt mit der Wirklichkeit sich zu befassen. Eine Vorstellung von dem vierfach ausgedehnten Raume hat uns übrigens noch kein Hypergeometer zu geben vermocht, was ja auch der Natur der Sache nach nie gelingen kann. Angesichts dieser Unmöglichkeit tröstet sich Zoellner mit der vermeintlich gleichen Unmöglichkeit, jedem Bauern die Richtigkeit des Pythagoreischen Satzes darzuthun, indem er zugleich jene höhere Raumanschauung darwinistisch für eine höhere Stufe in der Entwickelung des menschlichen In¬ tellekts ansieht, die sich zur gegenwärtigen etwa so verhalten würde, wie diese zum thierischen Intellekt; Ganß begnügt sich damit, die Sache sür so einfach zu erklären, daß nur ein Böotier kein Verständniß dafür habe. Bei solcher Sachlage bleibt allerdings der durch seine drei (zu einander rechtwinkelig stehenden) Dimensionen und die Axiome charakterisirte Raum vorläufig uoch der einzige, von dem wir einen Begriff haben können. Zwar kann die Geo¬ metrie mit diesem Begriffe der allgemeinen Raumvorstellung, weit und leer wie er ist, allein noch nichts ausrichten; sie hat vielmehr begriffliche Regeln, nach denen bestimmte Gebilde entworfen werden, als weitere Grundlage vor¬ auszusetzen. Durch diese Nothwendigkeit bekommt sie einen rein logischen Bestandtheil, mit welchem sich eine Hypergeometrie ganz besonders auseinander zu setzen hat, sobald sie nur einen einzigen positiven Satz entwickeln will. Darum würde nach unserer Ansicht anch die wirksamste Zurückweisung der hypergeometrischen Zumuthungen in einer Untersuchung nud Begründung der logischen Verfassung der Geometrie bestehen oder vielmehr der gesammten Mathematik, um überhaupt jedem mathematischen Mystizismus für immer den Boden zu nehmen. *) Wissenschaftliche Abhandlungen. 2 Bände. Leipzig, Staackmann. 1878.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/311>, abgerufen am 05.02.2025.