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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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duch eintrug, beim Schreiben nicht lesen konnte; ein Zwielicht "so matt und
feierlich wie in gemäßigten Zonen eine Stunde nach Sonnenuntergang. Wir
wußten nicht, ob draußen die Sonne hell scheine, oder ob der Tag dunkel, trübe
oder neblig sei." Die Temperatur war die eines russischen Dampfbades. Eine
klebrige Feuchtigkeit stieg in Schwaden aus dem Boden, tropfte unablässig von
den großen gedunsenen Blättern der Bäume, wie Regen. Der Pfad wurde
bald zu einem zähen, lehmigen Teig, und bei jedem Schritte spritzte man
schlammiges Wasser über die Beine der Vorder- und Nebenmänner. Kein
Wunder, denn der Boden ist ein dunkelbrauner vegetabilischer Humus, aus
dem die seit Jahren angehäuften Ueberreste faulender Blätter und Zweige ein
ständiges Mistbeet gemacht haben. Bis zu zwanzig Fuß Höhe schießt allein
das Unterholz in tropischer Ueppigkeit empor. Kein Wind dringt in das tiefe
Gefängniß dieses Waldschattens ein. Geschähe es, so würde er die ganze
Waldherrlichkeit zu Boden werfen, denn selbst die stolzesten Stämme legen den
größten Theil ihrer Wurzeln bloß und sind nicht tief in den weichen Boden
eingewachsen. Unendlich mühevoll wankt die Kolonne in Schlamm und Dunkel
vorwärts. Uebermenschliche Anstrengungen haben die Bootträger zu leisten.
Als man ihnen einen Pfad durch das Dickicht mit Aexten zu hauen sucht,
zwingt jeder gefallene Baumriese zu mißlichen Umwegen. Bald mußte Stanley
und sein weißer Begleiter das letzte Paar Schuhe aus dem Koffer hervorholen,
obwohl sie die Hälfte des Weges barfuß gingen. Das Barfußgehen war aber
uicht sehr geheuer auf einem Pfade, ans welchem sie, abgesehen von ganzen
Armeen von Beißameisen und von sechs Zoll langen Tausendfüßen, sowie vou
Käfern und Insekten aller Art, auch einem zehn Fuß langen Python (Riesen¬
schlange), einer grünen Viper und einer scheußlichen Pusfnatter begegneten.
Und die armen schwarzen Männer, Frauen und Kinder, die Stanley das
Geleit gaben, mußten barfuß gehen. Ein Ausblick von der Höhe eines Baumes,
der erklommen wurde, zeigte nach allen Seiten hin eine trostlose, unendliche
Waldwildniß. Auch die spärlichen Negerdörfer, die inmitten dieser Baumwüste
angetroffen wurden, vermochten nicht zu trösten. Die Dorfstraßen waren
überall eingesäumt mit Schädeln, welche die Eingeborenen wohl für Schädel
des "Solo" (Schimpanse) ausgaben, die aber Stanley für Negerschädel hielt,
eine Vermuthung, die später Prof. Hu-xley bestimmt bestätigte, als ihm Stan¬
ley zwei Exemplare dieser schauerlichen Dorfstraßengarnirung zur Prüfung
vorlegte. Man befand sich also bereits mitten unter heuchlerischen Kannibalen.

Unter diesen Umständen war es Tippu-Tid kaum zu verargen, wenn er
bereits am 15. November seinem Herrn rundweg erklärte, daß er auf einem
Wege nicht weiter anziehe, der nnr "für nichtswürdige Heiden, für Affen und
wilde Thiere geschaffen sei." Die Heiligkeit der Verträge, die ihm Stanley


duch eintrug, beim Schreiben nicht lesen konnte; ein Zwielicht „so matt und
feierlich wie in gemäßigten Zonen eine Stunde nach Sonnenuntergang. Wir
wußten nicht, ob draußen die Sonne hell scheine, oder ob der Tag dunkel, trübe
oder neblig sei." Die Temperatur war die eines russischen Dampfbades. Eine
klebrige Feuchtigkeit stieg in Schwaden aus dem Boden, tropfte unablässig von
den großen gedunsenen Blättern der Bäume, wie Regen. Der Pfad wurde
bald zu einem zähen, lehmigen Teig, und bei jedem Schritte spritzte man
schlammiges Wasser über die Beine der Vorder- und Nebenmänner. Kein
Wunder, denn der Boden ist ein dunkelbrauner vegetabilischer Humus, aus
dem die seit Jahren angehäuften Ueberreste faulender Blätter und Zweige ein
ständiges Mistbeet gemacht haben. Bis zu zwanzig Fuß Höhe schießt allein
das Unterholz in tropischer Ueppigkeit empor. Kein Wind dringt in das tiefe
Gefängniß dieses Waldschattens ein. Geschähe es, so würde er die ganze
Waldherrlichkeit zu Boden werfen, denn selbst die stolzesten Stämme legen den
größten Theil ihrer Wurzeln bloß und sind nicht tief in den weichen Boden
eingewachsen. Unendlich mühevoll wankt die Kolonne in Schlamm und Dunkel
vorwärts. Uebermenschliche Anstrengungen haben die Bootträger zu leisten.
Als man ihnen einen Pfad durch das Dickicht mit Aexten zu hauen sucht,
zwingt jeder gefallene Baumriese zu mißlichen Umwegen. Bald mußte Stanley
und sein weißer Begleiter das letzte Paar Schuhe aus dem Koffer hervorholen,
obwohl sie die Hälfte des Weges barfuß gingen. Das Barfußgehen war aber
uicht sehr geheuer auf einem Pfade, ans welchem sie, abgesehen von ganzen
Armeen von Beißameisen und von sechs Zoll langen Tausendfüßen, sowie vou
Käfern und Insekten aller Art, auch einem zehn Fuß langen Python (Riesen¬
schlange), einer grünen Viper und einer scheußlichen Pusfnatter begegneten.
Und die armen schwarzen Männer, Frauen und Kinder, die Stanley das
Geleit gaben, mußten barfuß gehen. Ein Ausblick von der Höhe eines Baumes,
der erklommen wurde, zeigte nach allen Seiten hin eine trostlose, unendliche
Waldwildniß. Auch die spärlichen Negerdörfer, die inmitten dieser Baumwüste
angetroffen wurden, vermochten nicht zu trösten. Die Dorfstraßen waren
überall eingesäumt mit Schädeln, welche die Eingeborenen wohl für Schädel
des „Solo" (Schimpanse) ausgaben, die aber Stanley für Negerschädel hielt,
eine Vermuthung, die später Prof. Hu-xley bestimmt bestätigte, als ihm Stan¬
ley zwei Exemplare dieser schauerlichen Dorfstraßengarnirung zur Prüfung
vorlegte. Man befand sich also bereits mitten unter heuchlerischen Kannibalen.

Unter diesen Umständen war es Tippu-Tid kaum zu verargen, wenn er
bereits am 15. November seinem Herrn rundweg erklärte, daß er auf einem
Wege nicht weiter anziehe, der nnr „für nichtswürdige Heiden, für Affen und
wilde Thiere geschaffen sei." Die Heiligkeit der Verträge, die ihm Stanley


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[0305] duch eintrug, beim Schreiben nicht lesen konnte; ein Zwielicht „so matt und feierlich wie in gemäßigten Zonen eine Stunde nach Sonnenuntergang. Wir wußten nicht, ob draußen die Sonne hell scheine, oder ob der Tag dunkel, trübe oder neblig sei." Die Temperatur war die eines russischen Dampfbades. Eine klebrige Feuchtigkeit stieg in Schwaden aus dem Boden, tropfte unablässig von den großen gedunsenen Blättern der Bäume, wie Regen. Der Pfad wurde bald zu einem zähen, lehmigen Teig, und bei jedem Schritte spritzte man schlammiges Wasser über die Beine der Vorder- und Nebenmänner. Kein Wunder, denn der Boden ist ein dunkelbrauner vegetabilischer Humus, aus dem die seit Jahren angehäuften Ueberreste faulender Blätter und Zweige ein ständiges Mistbeet gemacht haben. Bis zu zwanzig Fuß Höhe schießt allein das Unterholz in tropischer Ueppigkeit empor. Kein Wind dringt in das tiefe Gefängniß dieses Waldschattens ein. Geschähe es, so würde er die ganze Waldherrlichkeit zu Boden werfen, denn selbst die stolzesten Stämme legen den größten Theil ihrer Wurzeln bloß und sind nicht tief in den weichen Boden eingewachsen. Unendlich mühevoll wankt die Kolonne in Schlamm und Dunkel vorwärts. Uebermenschliche Anstrengungen haben die Bootträger zu leisten. Als man ihnen einen Pfad durch das Dickicht mit Aexten zu hauen sucht, zwingt jeder gefallene Baumriese zu mißlichen Umwegen. Bald mußte Stanley und sein weißer Begleiter das letzte Paar Schuhe aus dem Koffer hervorholen, obwohl sie die Hälfte des Weges barfuß gingen. Das Barfußgehen war aber uicht sehr geheuer auf einem Pfade, ans welchem sie, abgesehen von ganzen Armeen von Beißameisen und von sechs Zoll langen Tausendfüßen, sowie vou Käfern und Insekten aller Art, auch einem zehn Fuß langen Python (Riesen¬ schlange), einer grünen Viper und einer scheußlichen Pusfnatter begegneten. Und die armen schwarzen Männer, Frauen und Kinder, die Stanley das Geleit gaben, mußten barfuß gehen. Ein Ausblick von der Höhe eines Baumes, der erklommen wurde, zeigte nach allen Seiten hin eine trostlose, unendliche Waldwildniß. Auch die spärlichen Negerdörfer, die inmitten dieser Baumwüste angetroffen wurden, vermochten nicht zu trösten. Die Dorfstraßen waren überall eingesäumt mit Schädeln, welche die Eingeborenen wohl für Schädel des „Solo" (Schimpanse) ausgaben, die aber Stanley für Negerschädel hielt, eine Vermuthung, die später Prof. Hu-xley bestimmt bestätigte, als ihm Stan¬ ley zwei Exemplare dieser schauerlichen Dorfstraßengarnirung zur Prüfung vorlegte. Man befand sich also bereits mitten unter heuchlerischen Kannibalen. Unter diesen Umständen war es Tippu-Tid kaum zu verargen, wenn er bereits am 15. November seinem Herrn rundweg erklärte, daß er auf einem Wege nicht weiter anziehe, der nnr „für nichtswürdige Heiden, für Affen und wilde Thiere geschaffen sei." Die Heiligkeit der Verträge, die ihm Stanley

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/305>, abgerufen am 05.02.2025.