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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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genannte, und da auf der linken Seite statt der von dem Periegeten ausge¬
führten zwei Männer ein Mann und ein Mädchen aufgefunden worden sind,
so glaubt man auf Grund dieses augenscheinlichen Irrthums die ganze
Schilderung des Pauscinias als irrig verwerfen zu dürfen. Man wird diesen
Einwendungen eine gewisse Berechtigung nicht absprechen können. Aber es
sind jedenfalls alle Elemente vorhanden, um dereinst eine Restauration der
Giebelgruppe zu versuchen, die nicht allzu weit von der ursprünglichen Komposition
des Paionios abweicht.

Glücklicher sind wir bei der Rekonstruktion des Westgiebels, welcher den
Kampf der Kentauren und Lapithen bei der Hochzeit des Peirithoos darstellte.
Zwar wird auch hier die Autorität des Pausanias umgestoßen, welcher berichtet,
daß der thessalische Held den Mittelpunkt der Komposition eingenommen habe.
Die ideale Gestalt von übermenschlicher Bildung und Hoheit, von der freilich
nur der trefflich erhaltene Kopf und der Oberkörper übrig ist, könne, so hat man
gemeint, nur ein Gott sein, der "strafend in das wilde Getümmel eintritt". Mail
hat keinen andern als Apollon ausfindig machen können; indessen ist es noch
Niemandem gelungen, den Zusammenhang des Lichtgottes mit dem Zeustempel
von Olympia nachzuweisen. Man sieht, wie sich trotz der großen Zahl der vorhan¬
denen Trümmer die Schwierigkeiten der Interpretation auf Schritt und Tritt häufen.

Der Zusammenhang der übrigen Gruppen läßt sich dagegen sicherer nach¬
weisen. Wir haben nämlich zu beiden Seiten der Mittelgestalt drei eng mit
einander verbundene Gruppen, von denen die erste und letzte aus je drei
Figuren bestehen, während die mittlere nur je zwei umfassen. In der Letzteren
ist je ein Kentaur mit einem Lapithen in wildem Kampfe vereinigt, während
zu den anderen Gruppen noch je eine Lapithenfrau hinzukommt, welche sich
gegen die Umschlingungen der trunkenen Unholde wehrt. In einer dieser
Gruppen wird man den Kentauern Eurytion, den frevlen Friedensbrecher zu
erkennen haben, welcher die Braut des Peirithoos, die Hippodamia, davonschleppt.
Es wird wahrscheinlich die sein, welche mit beiden Armen den Kopf des zu¬
dringlichen Räubers von sich stößt. Der Gattin des Helden steht eine so
energische Aktion jedenfalls besser zu Gesicht als die Passivität der anderen
Frau, die von einer Ohnmacht befangen zu sein scheint, wie ihr gesenktes Haupt
errathen läßt. Den Abschluß bilden auf beiden Seiten je zwei liegende Figuren.
Die Ersteren, Frauen mit alten, nnhellenischen Gesichtszügen, scheinen vor
Schreck niedergefallen oder mit Gewalt umgeworfen zu 'sein, während man in
den ruhig gelagerten, weiblichen Figuren der Ecken wiederum Ortsgottheiten,
die Berguymphen des Pelion zu erkennen hat.

Die Inschrift auf dem Postamente der Nike des Paionios, die wir nach¬
her besprechen werden, sagt uns, daß Paionios in der Verfertigung der Giebel-


genannte, und da auf der linken Seite statt der von dem Periegeten ausge¬
führten zwei Männer ein Mann und ein Mädchen aufgefunden worden sind,
so glaubt man auf Grund dieses augenscheinlichen Irrthums die ganze
Schilderung des Pauscinias als irrig verwerfen zu dürfen. Man wird diesen
Einwendungen eine gewisse Berechtigung nicht absprechen können. Aber es
sind jedenfalls alle Elemente vorhanden, um dereinst eine Restauration der
Giebelgruppe zu versuchen, die nicht allzu weit von der ursprünglichen Komposition
des Paionios abweicht.

Glücklicher sind wir bei der Rekonstruktion des Westgiebels, welcher den
Kampf der Kentauren und Lapithen bei der Hochzeit des Peirithoos darstellte.
Zwar wird auch hier die Autorität des Pausanias umgestoßen, welcher berichtet,
daß der thessalische Held den Mittelpunkt der Komposition eingenommen habe.
Die ideale Gestalt von übermenschlicher Bildung und Hoheit, von der freilich
nur der trefflich erhaltene Kopf und der Oberkörper übrig ist, könne, so hat man
gemeint, nur ein Gott sein, der „strafend in das wilde Getümmel eintritt". Mail
hat keinen andern als Apollon ausfindig machen können; indessen ist es noch
Niemandem gelungen, den Zusammenhang des Lichtgottes mit dem Zeustempel
von Olympia nachzuweisen. Man sieht, wie sich trotz der großen Zahl der vorhan¬
denen Trümmer die Schwierigkeiten der Interpretation auf Schritt und Tritt häufen.

Der Zusammenhang der übrigen Gruppen läßt sich dagegen sicherer nach¬
weisen. Wir haben nämlich zu beiden Seiten der Mittelgestalt drei eng mit
einander verbundene Gruppen, von denen die erste und letzte aus je drei
Figuren bestehen, während die mittlere nur je zwei umfassen. In der Letzteren
ist je ein Kentaur mit einem Lapithen in wildem Kampfe vereinigt, während
zu den anderen Gruppen noch je eine Lapithenfrau hinzukommt, welche sich
gegen die Umschlingungen der trunkenen Unholde wehrt. In einer dieser
Gruppen wird man den Kentauern Eurytion, den frevlen Friedensbrecher zu
erkennen haben, welcher die Braut des Peirithoos, die Hippodamia, davonschleppt.
Es wird wahrscheinlich die sein, welche mit beiden Armen den Kopf des zu¬
dringlichen Räubers von sich stößt. Der Gattin des Helden steht eine so
energische Aktion jedenfalls besser zu Gesicht als die Passivität der anderen
Frau, die von einer Ohnmacht befangen zu sein scheint, wie ihr gesenktes Haupt
errathen läßt. Den Abschluß bilden auf beiden Seiten je zwei liegende Figuren.
Die Ersteren, Frauen mit alten, nnhellenischen Gesichtszügen, scheinen vor
Schreck niedergefallen oder mit Gewalt umgeworfen zu 'sein, während man in
den ruhig gelagerten, weiblichen Figuren der Ecken wiederum Ortsgottheiten,
die Berguymphen des Pelion zu erkennen hat.

Die Inschrift auf dem Postamente der Nike des Paionios, die wir nach¬
her besprechen werden, sagt uns, daß Paionios in der Verfertigung der Giebel-


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[0265] genannte, und da auf der linken Seite statt der von dem Periegeten ausge¬ führten zwei Männer ein Mann und ein Mädchen aufgefunden worden sind, so glaubt man auf Grund dieses augenscheinlichen Irrthums die ganze Schilderung des Pauscinias als irrig verwerfen zu dürfen. Man wird diesen Einwendungen eine gewisse Berechtigung nicht absprechen können. Aber es sind jedenfalls alle Elemente vorhanden, um dereinst eine Restauration der Giebelgruppe zu versuchen, die nicht allzu weit von der ursprünglichen Komposition des Paionios abweicht. Glücklicher sind wir bei der Rekonstruktion des Westgiebels, welcher den Kampf der Kentauren und Lapithen bei der Hochzeit des Peirithoos darstellte. Zwar wird auch hier die Autorität des Pausanias umgestoßen, welcher berichtet, daß der thessalische Held den Mittelpunkt der Komposition eingenommen habe. Die ideale Gestalt von übermenschlicher Bildung und Hoheit, von der freilich nur der trefflich erhaltene Kopf und der Oberkörper übrig ist, könne, so hat man gemeint, nur ein Gott sein, der „strafend in das wilde Getümmel eintritt". Mail hat keinen andern als Apollon ausfindig machen können; indessen ist es noch Niemandem gelungen, den Zusammenhang des Lichtgottes mit dem Zeustempel von Olympia nachzuweisen. Man sieht, wie sich trotz der großen Zahl der vorhan¬ denen Trümmer die Schwierigkeiten der Interpretation auf Schritt und Tritt häufen. Der Zusammenhang der übrigen Gruppen läßt sich dagegen sicherer nach¬ weisen. Wir haben nämlich zu beiden Seiten der Mittelgestalt drei eng mit einander verbundene Gruppen, von denen die erste und letzte aus je drei Figuren bestehen, während die mittlere nur je zwei umfassen. In der Letzteren ist je ein Kentaur mit einem Lapithen in wildem Kampfe vereinigt, während zu den anderen Gruppen noch je eine Lapithenfrau hinzukommt, welche sich gegen die Umschlingungen der trunkenen Unholde wehrt. In einer dieser Gruppen wird man den Kentauern Eurytion, den frevlen Friedensbrecher zu erkennen haben, welcher die Braut des Peirithoos, die Hippodamia, davonschleppt. Es wird wahrscheinlich die sein, welche mit beiden Armen den Kopf des zu¬ dringlichen Räubers von sich stößt. Der Gattin des Helden steht eine so energische Aktion jedenfalls besser zu Gesicht als die Passivität der anderen Frau, die von einer Ohnmacht befangen zu sein scheint, wie ihr gesenktes Haupt errathen läßt. Den Abschluß bilden auf beiden Seiten je zwei liegende Figuren. Die Ersteren, Frauen mit alten, nnhellenischen Gesichtszügen, scheinen vor Schreck niedergefallen oder mit Gewalt umgeworfen zu 'sein, während man in den ruhig gelagerten, weiblichen Figuren der Ecken wiederum Ortsgottheiten, die Berguymphen des Pelion zu erkennen hat. Die Inschrift auf dem Postamente der Nike des Paionios, die wir nach¬ her besprechen werden, sagt uns, daß Paionios in der Verfertigung der Giebel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/265>, abgerufen am 05.02.2025.