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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Anstalt zu bilden. Die Themata waren Schilderungen der Schlachten des
Monats August 1813. Erklärlicher Weise interessirte dieses Thema den Ver¬
fasser ganz besouders, und er spricht sich auch hier mit offener Anerkennung
aus, die seinen "patriotischen Beklemmungen" hoch anzurechnen ist. Er sagt:
"Mit einiger Neugier blätterte ich in diesen Studien künftiger Schulmeister:
aber ihre Arbeiten zeichneten sich sehr ans durch die Genauigkeit, mit der sie
den Hergang der strategischen Bewegungen wiedergaben. Die Positionen der
Armeen Vandamme's, Oudinot's, Macdonald's einerseits, die Stellungen
Blücher's, Bernadotte's, Schwarzenberg's andrerseits waren mit scharfer
Deutlichkeit wiedergegeben. Man fühlt überall heraus, daß dem Deutschen
geographische Kenntnisse in Fleisch und Blut übergegangen sind. Bemerkens¬
werth erschien mir auch die Sorgfalt, mit der überall kleine anekdotenhafte
Züge behandelt waren, um wichtige Personen oder Verhältnisse im Gedächtnisse
der Kinder zu fixiren. -- Ueberall auch fand ich eine loyale Anhänglichkeit an
das Königshaus, die sich in ruhiger, durchaus nicht deklamatorischer Art und
Weise aussprach, ebenso eine große Begeisterung für die nationalen Helden
und die Freiwilligen. Die unvermeidlichen Ausfälle gegen den Erbfeind, so¬
wie die "Hinweisung ans Gottes Strafgericht schienen mir mehr offiziösen
Ursprungs zu sein" (!). --

Ganz besonders aber frappirt den Verfasser ein Besuch in einer oberen
Klasse der Viktoria-Mädchen)schule.*) Wer den Unterricht französischer Mäd¬
chenpensionate -- Schulen kann man derartige Dressiranstalten nicht nennen --
kennt, wird über das Erstannen des Verfassers keineswegs erstaunen. -- Auch
hier wählte der Verfasser den Geschichtsunterricht für seinen Besuch: "Der
Lehrer, ein entschiede" oratorisches Talent, hatte seinen Vortrag dem Zwecke
durchaus angepaßt. Daten und Namen traten mehr in den Hintergrund,
während das Interesse der Schülerinnen auf Sittenschilderung und Personen,
namentlich hervorragender Weiblichkeiten der Epoche (Karl's V. Zeit) gelenkt
wurde. So verweilte der Lehrer mit besonderer Betonung bei der Gemahlin
des Kurfürsten von Sachsen, welche mit kluger Energie das Land und Erbe
ihrer Kinder regierte und vertheidigte, da ihr Gatte dem kaiserlichen Zorne
weichen mußte." -- Bewundernswerth fand der Verfasser die Einrichtung,
daß jedes Kind ein Blatt aus dem betreffenden Geschichtsatlas der Periode
vor sich hatte, um so dem Gang der Ereignisse besser folgen zu können. Charak¬
teristisch für seinen Standpunkt schildert Hr. B.: "Der Lehrer erwähnte den
Namen der Festung Torgau und setzte hinzu: "Suchet ans der Karte!" Als¬
bald senkten sich die jungen Köpfe nieder. "Habt Ihr gefunden?" "Ja!"



*) Unter der Protektion der Kronprinzessin 1867 gestiftet.

Anstalt zu bilden. Die Themata waren Schilderungen der Schlachten des
Monats August 1813. Erklärlicher Weise interessirte dieses Thema den Ver¬
fasser ganz besouders, und er spricht sich auch hier mit offener Anerkennung
aus, die seinen „patriotischen Beklemmungen" hoch anzurechnen ist. Er sagt:
„Mit einiger Neugier blätterte ich in diesen Studien künftiger Schulmeister:
aber ihre Arbeiten zeichneten sich sehr ans durch die Genauigkeit, mit der sie
den Hergang der strategischen Bewegungen wiedergaben. Die Positionen der
Armeen Vandamme's, Oudinot's, Macdonald's einerseits, die Stellungen
Blücher's, Bernadotte's, Schwarzenberg's andrerseits waren mit scharfer
Deutlichkeit wiedergegeben. Man fühlt überall heraus, daß dem Deutschen
geographische Kenntnisse in Fleisch und Blut übergegangen sind. Bemerkens¬
werth erschien mir auch die Sorgfalt, mit der überall kleine anekdotenhafte
Züge behandelt waren, um wichtige Personen oder Verhältnisse im Gedächtnisse
der Kinder zu fixiren. — Ueberall auch fand ich eine loyale Anhänglichkeit an
das Königshaus, die sich in ruhiger, durchaus nicht deklamatorischer Art und
Weise aussprach, ebenso eine große Begeisterung für die nationalen Helden
und die Freiwilligen. Die unvermeidlichen Ausfälle gegen den Erbfeind, so¬
wie die „Hinweisung ans Gottes Strafgericht schienen mir mehr offiziösen
Ursprungs zu sein" (!). —

Ganz besonders aber frappirt den Verfasser ein Besuch in einer oberen
Klasse der Viktoria-Mädchen)schule.*) Wer den Unterricht französischer Mäd¬
chenpensionate — Schulen kann man derartige Dressiranstalten nicht nennen —
kennt, wird über das Erstannen des Verfassers keineswegs erstaunen. — Auch
hier wählte der Verfasser den Geschichtsunterricht für seinen Besuch: „Der
Lehrer, ein entschiede» oratorisches Talent, hatte seinen Vortrag dem Zwecke
durchaus angepaßt. Daten und Namen traten mehr in den Hintergrund,
während das Interesse der Schülerinnen auf Sittenschilderung und Personen,
namentlich hervorragender Weiblichkeiten der Epoche (Karl's V. Zeit) gelenkt
wurde. So verweilte der Lehrer mit besonderer Betonung bei der Gemahlin
des Kurfürsten von Sachsen, welche mit kluger Energie das Land und Erbe
ihrer Kinder regierte und vertheidigte, da ihr Gatte dem kaiserlichen Zorne
weichen mußte." — Bewundernswerth fand der Verfasser die Einrichtung,
daß jedes Kind ein Blatt aus dem betreffenden Geschichtsatlas der Periode
vor sich hatte, um so dem Gang der Ereignisse besser folgen zu können. Charak¬
teristisch für seinen Standpunkt schildert Hr. B.: „Der Lehrer erwähnte den
Namen der Festung Torgau und setzte hinzu: „Suchet ans der Karte!" Als¬
bald senkten sich die jungen Köpfe nieder. „Habt Ihr gefunden?" „Ja!"



*) Unter der Protektion der Kronprinzessin 1867 gestiftet.
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[0219] Anstalt zu bilden. Die Themata waren Schilderungen der Schlachten des Monats August 1813. Erklärlicher Weise interessirte dieses Thema den Ver¬ fasser ganz besouders, und er spricht sich auch hier mit offener Anerkennung aus, die seinen „patriotischen Beklemmungen" hoch anzurechnen ist. Er sagt: „Mit einiger Neugier blätterte ich in diesen Studien künftiger Schulmeister: aber ihre Arbeiten zeichneten sich sehr ans durch die Genauigkeit, mit der sie den Hergang der strategischen Bewegungen wiedergaben. Die Positionen der Armeen Vandamme's, Oudinot's, Macdonald's einerseits, die Stellungen Blücher's, Bernadotte's, Schwarzenberg's andrerseits waren mit scharfer Deutlichkeit wiedergegeben. Man fühlt überall heraus, daß dem Deutschen geographische Kenntnisse in Fleisch und Blut übergegangen sind. Bemerkens¬ werth erschien mir auch die Sorgfalt, mit der überall kleine anekdotenhafte Züge behandelt waren, um wichtige Personen oder Verhältnisse im Gedächtnisse der Kinder zu fixiren. — Ueberall auch fand ich eine loyale Anhänglichkeit an das Königshaus, die sich in ruhiger, durchaus nicht deklamatorischer Art und Weise aussprach, ebenso eine große Begeisterung für die nationalen Helden und die Freiwilligen. Die unvermeidlichen Ausfälle gegen den Erbfeind, so¬ wie die „Hinweisung ans Gottes Strafgericht schienen mir mehr offiziösen Ursprungs zu sein" (!). — Ganz besonders aber frappirt den Verfasser ein Besuch in einer oberen Klasse der Viktoria-Mädchen)schule.*) Wer den Unterricht französischer Mäd¬ chenpensionate — Schulen kann man derartige Dressiranstalten nicht nennen — kennt, wird über das Erstannen des Verfassers keineswegs erstaunen. — Auch hier wählte der Verfasser den Geschichtsunterricht für seinen Besuch: „Der Lehrer, ein entschiede» oratorisches Talent, hatte seinen Vortrag dem Zwecke durchaus angepaßt. Daten und Namen traten mehr in den Hintergrund, während das Interesse der Schülerinnen auf Sittenschilderung und Personen, namentlich hervorragender Weiblichkeiten der Epoche (Karl's V. Zeit) gelenkt wurde. So verweilte der Lehrer mit besonderer Betonung bei der Gemahlin des Kurfürsten von Sachsen, welche mit kluger Energie das Land und Erbe ihrer Kinder regierte und vertheidigte, da ihr Gatte dem kaiserlichen Zorne weichen mußte." — Bewundernswerth fand der Verfasser die Einrichtung, daß jedes Kind ein Blatt aus dem betreffenden Geschichtsatlas der Periode vor sich hatte, um so dem Gang der Ereignisse besser folgen zu können. Charak¬ teristisch für seinen Standpunkt schildert Hr. B.: „Der Lehrer erwähnte den Namen der Festung Torgau und setzte hinzu: „Suchet ans der Karte!" Als¬ bald senkten sich die jungen Köpfe nieder. „Habt Ihr gefunden?" „Ja!" *) Unter der Protektion der Kronprinzessin 1867 gestiftet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/219>, abgerufen am 05.02.2025.