Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.Menschen wie er den ganzen Bau der sittlichen Welt zu Grunde richten Auch "Was ihr wollt" stellt an den heutigen Geschmack starke Zumuthungen. Die Meininger spielen bei uns im "alten Hause", wie der Leipziger sagt. Menschen wie er den ganzen Bau der sittlichen Welt zu Grunde richten Auch „Was ihr wollt" stellt an den heutigen Geschmack starke Zumuthungen. Die Meininger spielen bei uns im „alten Hause", wie der Leipziger sagt. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141080"/> <p xml:id="ID_694" prev="#ID_693"> Menschen wie er den ganzen Bau der sittlichen Welt zu Grunde richten<lb/> würden — es ist zu kläglich. Man muß sich alle Mühe geben, dem Schau¬<lb/> spieler nicht entgelten zu lassen, was in der Rolle liegt; wir haben der treff¬<lb/> lichen Leistung des Herrn Nesper neben der Rolle Schweizer's bereits oben<lb/> gedacht. Auch der alte Moor des Herrn Godet und der Spiegelberg des<lb/> Herrn Heine reihten sich würdig den Uebrigen an. In keiner Aufführung<lb/> der Meininger aber ist uns so wie in den „Räubern" der temporäre Gehalt,<lb/> das Zwingende und Ueberzeugende der Zeitstimmung nahe getreten. Eine solche<lb/> Darstellung wirkt mehr, als ganze Kapitel Kulturgeschichte.</p><lb/> <p xml:id="ID_695"> Auch „Was ihr wollt" stellt an den heutigen Geschmack starke Zumuthungen.<lb/> Eine jener naiven italienischen Erzählungen — sie stammt ans den Novellen<lb/> des Bcmdello — deren recht unwahrscheinliche Verwicklungen sich aus den<lb/> üblichen Verwechslungen und Verkleidungen von Zwillingen ergeben, hat<lb/> Shakespeare mit den possenhaften Intermezzi seiner Clowns durchflochten, so<lb/> daß der Hauptreiz der Handlung in dem fortwährenden Kontrast liegt zwischen<lb/> lyrischen Szenen, die voll tiefen poetischen Gehaltes, aber daneben auch voll<lb/> bloßen blinkenden Wortgepläukels sind, und Rüpelszenen, in denen dieses Ge¬<lb/> plänkel die massiveren Formen des Kalauers annimmt. Das Stück muß aus¬<lb/> nehmend geistvoll, frisch und munter gespielt werden, wenn es genießbar werden<lb/> soll. Und welch' ein lustiger Theaterabend war das! In die Lorbeeren des Abends<lb/> theilten sich die beiden Damen Frl. Pauli (Viola - Cesario) und Frl. Werner<lb/> (Olivia), die an Grazie und Schelmerei mit einander wetteiferten; die Wng-<lb/> schale des Beifalls neigte sich schließlich vielleicht etwas tiefer auf Seiten Viola's.<lb/> Die wenig dankbare Rolle des Herzogs Orsino stattete Herr Richard mit aller<lb/> Feinheit der Empfindung aus. Die Clownszenen, in denen Junker Tobias<lb/> von Junker Bleichenwang (Herr Gvrner) und Maria (Frl. Grevenberg) auf's<lb/> Beste fekundirt wurde, wirkten mit elementarer Gewalt anf die Lachmuskelw<lb/> neigten freilich, wie schon erwähnt, zur Uebertreibung. Der Narr des Stückes<lb/> ist keiner von den schlimmsten Shakespeare'schen Narren, er ist ein harmloser<lb/> Gesell, den Herr Teller mit Maß und feinem Verständniß spielte. Am wenigsten<lb/> sagte uns der Malvolio des Herrn Pückert zu, der allerdings in unserm Ur¬<lb/> theil zu leiden hatte unter der Parallele mit dem unnachahmlichen Dresdner<lb/> Malvolio, Herrn Jaffö. Herr Pückert trug von vornherein die Farben zu<lb/> dick auf, und gegen das Ende hin verblaßten sie merklich.</p><lb/> <p xml:id="ID_696" next="#ID_697"> Die Meininger spielen bei uns im „alten Hause", wie der Leipziger sagt.<lb/> Ein wahres Glück, daß wir dieses alte Haus noch haben, denn ihm verdanken<lb/> wir ja zum Theil das interessante Gastspiel. Herrn or. Förster hindert nichts, in¬<lb/> zwischen im neuen Hause die Wagner'schen „Tvndramen" und den „Meineidbauer"<lb/> zu geben, oder noch ein „Konzert des (!) Josefsy" zu veranstalten, während die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0201]
Menschen wie er den ganzen Bau der sittlichen Welt zu Grunde richten
würden — es ist zu kläglich. Man muß sich alle Mühe geben, dem Schau¬
spieler nicht entgelten zu lassen, was in der Rolle liegt; wir haben der treff¬
lichen Leistung des Herrn Nesper neben der Rolle Schweizer's bereits oben
gedacht. Auch der alte Moor des Herrn Godet und der Spiegelberg des
Herrn Heine reihten sich würdig den Uebrigen an. In keiner Aufführung
der Meininger aber ist uns so wie in den „Räubern" der temporäre Gehalt,
das Zwingende und Ueberzeugende der Zeitstimmung nahe getreten. Eine solche
Darstellung wirkt mehr, als ganze Kapitel Kulturgeschichte.
Auch „Was ihr wollt" stellt an den heutigen Geschmack starke Zumuthungen.
Eine jener naiven italienischen Erzählungen — sie stammt ans den Novellen
des Bcmdello — deren recht unwahrscheinliche Verwicklungen sich aus den
üblichen Verwechslungen und Verkleidungen von Zwillingen ergeben, hat
Shakespeare mit den possenhaften Intermezzi seiner Clowns durchflochten, so
daß der Hauptreiz der Handlung in dem fortwährenden Kontrast liegt zwischen
lyrischen Szenen, die voll tiefen poetischen Gehaltes, aber daneben auch voll
bloßen blinkenden Wortgepläukels sind, und Rüpelszenen, in denen dieses Ge¬
plänkel die massiveren Formen des Kalauers annimmt. Das Stück muß aus¬
nehmend geistvoll, frisch und munter gespielt werden, wenn es genießbar werden
soll. Und welch' ein lustiger Theaterabend war das! In die Lorbeeren des Abends
theilten sich die beiden Damen Frl. Pauli (Viola - Cesario) und Frl. Werner
(Olivia), die an Grazie und Schelmerei mit einander wetteiferten; die Wng-
schale des Beifalls neigte sich schließlich vielleicht etwas tiefer auf Seiten Viola's.
Die wenig dankbare Rolle des Herzogs Orsino stattete Herr Richard mit aller
Feinheit der Empfindung aus. Die Clownszenen, in denen Junker Tobias
von Junker Bleichenwang (Herr Gvrner) und Maria (Frl. Grevenberg) auf's
Beste fekundirt wurde, wirkten mit elementarer Gewalt anf die Lachmuskelw
neigten freilich, wie schon erwähnt, zur Uebertreibung. Der Narr des Stückes
ist keiner von den schlimmsten Shakespeare'schen Narren, er ist ein harmloser
Gesell, den Herr Teller mit Maß und feinem Verständniß spielte. Am wenigsten
sagte uns der Malvolio des Herrn Pückert zu, der allerdings in unserm Ur¬
theil zu leiden hatte unter der Parallele mit dem unnachahmlichen Dresdner
Malvolio, Herrn Jaffö. Herr Pückert trug von vornherein die Farben zu
dick auf, und gegen das Ende hin verblaßten sie merklich.
Die Meininger spielen bei uns im „alten Hause", wie der Leipziger sagt.
Ein wahres Glück, daß wir dieses alte Haus noch haben, denn ihm verdanken
wir ja zum Theil das interessante Gastspiel. Herrn or. Förster hindert nichts, in¬
zwischen im neuen Hause die Wagner'schen „Tvndramen" und den „Meineidbauer"
zu geben, oder noch ein „Konzert des (!) Josefsy" zu veranstalten, während die
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