Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.Das Streben nach Wahrheit und Natur, auf welche diese Mittel abzwecken, Freilich ist uun nicht zu leugnen, daß alle diese Vorzüge mit gewissen Das Streben nach Wahrheit und Natur, auf welche diese Mittel abzwecken, Freilich ist uun nicht zu leugnen, daß alle diese Vorzüge mit gewissen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141075"/> <p xml:id="ID_683"> Das Streben nach Wahrheit und Natur, auf welche diese Mittel abzwecken,<lb/> tritt nun aber vor allem auch im Arrangement der Massen hervor. Hierin<lb/> liegt geradezu eine Spezialität der Meininger. Was ist hier durch die Hand<lb/> eines einsichtsvollen, energischen Dirigenten aus der trägen, langweiligen<lb/> Statistenmasse geworden! Das sind keine Statisten mehr, die nur zählen und<lb/> den Raum füllen, das sind Individuen, die alle leben, reden und agiren, jedes<lb/> in seiner Weise, und die den lebhaftesten Antheil an der Handlung zu nehmen<lb/> scheinen. Man muß sie gesehen haben, diese bewegten, in buntester Mannich-<lb/> faltigkeit kostümirten, malerisch angeordneten Räubergruppen in den Schiller'-<lb/> schen „Räubern", diese erregten Volksmassen, die im „Julius Caesar" um die<lb/> Leiche des großen Imperators toben, den Anwnius auf der Rednerbühne um¬<lb/> drängen und in prächtig pyramidalen Aufbau hundert Arme nach dem ver¬<lb/> heißungsvoller Pergamente strecken, dem Testamente Caesar's, das Antonius in<lb/> hvcherhobener Rechten ihnen zeigt, man muß sie gesehen haben, um es zu glauben,<lb/> was mit solchem Material sich erreichen läßt. Eine Crux aller Theaterleitungen<lb/> ist die Vorführung von Heeresmassen, sind Schlacht- und Gefechtszenen; in der<lb/> Regel wirken sie unwiderstehlich komisch. Und mit welchem erstaunlichen Ge¬<lb/> schick greifen die Meiniuger dergleichen an! Im fünften Akte des „Julius<lb/> Caesar" treten vor der Schlacht bei Philippi die Führer der beiden Heere mit<lb/> ihrem Gefolge zu einer Unterredung einander gegenüber. Wie ist diese Szene arran-<lb/> girt! Links im Vordergründe die eine Partei, halb nach der Seite, halb in die Bühne<lb/> hinein gewandt; die Führer des feindlichen Heeres rechts im Hintergrunde auf einer<lb/> kleine Anhöhe. So treten sie zur letzten Unterhandlung einander gegenüber.<lb/> Die Illusion ist vollständig. Man könnte glauben, daß es nur die Spitzen<lb/> gewaltiger Heereskörper seien, die hier aufeinander treffen, daß beiderseits die<lb/> Massen drohend im Hintergründe stehen. Die kleine Bühne des alten Leipziger<lb/> Theaters schien sich zu erweitern, man hatte die deutliche Vorstellung, daß die<lb/> beiden Parteien, trotzdem daß sie keine zwanzig Schritt von einander standen,<lb/> in ziemlicher Entfernung von einander wären und nnr mit lauten Zurufen sich<lb/> vernehmbar machen könnten. Und dann die Schlacht selbst. Wie die Truppen da<lb/> so lautlos und gehalten anrückten und zum Gefecht sich aufstellten — <5t/H ^of«<lb/> Tr^-iovrx?, wie die Achäer in der Ilias - die Sache hatte wirklich etwas<lb/> Unheimliches, und es sah aus, als ob hier Ernst gemacht werden sollte. Auf<lb/> welchem Theater hat man jemals diesen Eindruck gehabt? In der Ausstattung<lb/> werden auch audere Bühnen, wenn sie wollen, in Kurzem mit den Meiningern<lb/> wetteifern können, diese Beseelung der Massen wird ihnen Niemand so leicht<lb/> nachmachen, denn dazu gehören zahllose Proben und eine Riesengeduld.</p><lb/> <p xml:id="ID_684" next="#ID_685"> Freilich ist uun nicht zu leugnen, daß alle diese Vorzüge mit gewissen<lb/> Gefahren verknüpft sind. Wo viel Licht ist, ist starker Schatten. Die Forder-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0196]
Das Streben nach Wahrheit und Natur, auf welche diese Mittel abzwecken,
tritt nun aber vor allem auch im Arrangement der Massen hervor. Hierin
liegt geradezu eine Spezialität der Meininger. Was ist hier durch die Hand
eines einsichtsvollen, energischen Dirigenten aus der trägen, langweiligen
Statistenmasse geworden! Das sind keine Statisten mehr, die nur zählen und
den Raum füllen, das sind Individuen, die alle leben, reden und agiren, jedes
in seiner Weise, und die den lebhaftesten Antheil an der Handlung zu nehmen
scheinen. Man muß sie gesehen haben, diese bewegten, in buntester Mannich-
faltigkeit kostümirten, malerisch angeordneten Räubergruppen in den Schiller'-
schen „Räubern", diese erregten Volksmassen, die im „Julius Caesar" um die
Leiche des großen Imperators toben, den Anwnius auf der Rednerbühne um¬
drängen und in prächtig pyramidalen Aufbau hundert Arme nach dem ver¬
heißungsvoller Pergamente strecken, dem Testamente Caesar's, das Antonius in
hvcherhobener Rechten ihnen zeigt, man muß sie gesehen haben, um es zu glauben,
was mit solchem Material sich erreichen läßt. Eine Crux aller Theaterleitungen
ist die Vorführung von Heeresmassen, sind Schlacht- und Gefechtszenen; in der
Regel wirken sie unwiderstehlich komisch. Und mit welchem erstaunlichen Ge¬
schick greifen die Meiniuger dergleichen an! Im fünften Akte des „Julius
Caesar" treten vor der Schlacht bei Philippi die Führer der beiden Heere mit
ihrem Gefolge zu einer Unterredung einander gegenüber. Wie ist diese Szene arran-
girt! Links im Vordergründe die eine Partei, halb nach der Seite, halb in die Bühne
hinein gewandt; die Führer des feindlichen Heeres rechts im Hintergrunde auf einer
kleine Anhöhe. So treten sie zur letzten Unterhandlung einander gegenüber.
Die Illusion ist vollständig. Man könnte glauben, daß es nur die Spitzen
gewaltiger Heereskörper seien, die hier aufeinander treffen, daß beiderseits die
Massen drohend im Hintergründe stehen. Die kleine Bühne des alten Leipziger
Theaters schien sich zu erweitern, man hatte die deutliche Vorstellung, daß die
beiden Parteien, trotzdem daß sie keine zwanzig Schritt von einander standen,
in ziemlicher Entfernung von einander wären und nnr mit lauten Zurufen sich
vernehmbar machen könnten. Und dann die Schlacht selbst. Wie die Truppen da
so lautlos und gehalten anrückten und zum Gefecht sich aufstellten — <5t/H ^of«
Tr^-iovrx?, wie die Achäer in der Ilias - die Sache hatte wirklich etwas
Unheimliches, und es sah aus, als ob hier Ernst gemacht werden sollte. Auf
welchem Theater hat man jemals diesen Eindruck gehabt? In der Ausstattung
werden auch audere Bühnen, wenn sie wollen, in Kurzem mit den Meiningern
wetteifern können, diese Beseelung der Massen wird ihnen Niemand so leicht
nachmachen, denn dazu gehören zahllose Proben und eine Riesengeduld.
Freilich ist uun nicht zu leugnen, daß alle diese Vorzüge mit gewissen
Gefahren verknüpft sind. Wo viel Licht ist, ist starker Schatten. Die Forder-
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