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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Leibe China's herausgeschnittene Staaten, jener Jakub's und jener der Dun¬
ganen nebeneinander. Mehr und mehr befestigte sich das Gebäude der Herr¬
schaft des Ersteren; seine Armee, die alle jene unruhigen Elemente in sich auf¬
nahm, welche durch Rußland's Eroberungen am Jaxartes und am Serefshan
den Tummelplatz abenteuerlicher Gelüste verloren hatten, schwoll zu bedeutenden
Dimensionen an und erhielt durch ihres siegreichen Führers Umsicht, Energie
und Ausdauer eine Disziplin, wie sie in Mittelasien längst nicht bestanden hatte.

Nicht lange dauerte es und die beiden in der Revolution unabhängig ge¬
wordenen Mächte, Jakub Knschbegi und die Dunganen, geriethen in Streit.
Jahrelang wüthete ein wilder, blutiger Krieg zwischen beiden Theilen, bis
Jakub die Oberhand gewann und auch seine Hand nach der bedeutenden
Stadt Kuldsche am Ili auszustrecken begann. Bis hierher war Rußland ein
stillschweigender Zuschauer des mörderischen Kampfes gewesen, der an seiner
unmittelbaren Grenze sich abspielte; nun aber sah es seine Interessen bedroht,
denn in Kuldsche hatten kraft ihrer Verträge mit China die Russen Handels¬
niederlassungen und da durch die immerwährenden Kriege ihr Handel überhaupt
schwer geschädigt wurde, so beschlossen sie nun zuzugreifen. Im Mai 1871
besetzte General Kolpakowsky mit 2000 Mann Kuldsche. Die erste Maßregel
Kolpcckowsky's war die Freilassung von 75,000 Sklaven; Ordnung und Ruhe
kehrte in die Stadt zurück, in welcher zwei Parteien (Dunganen und Tarantschen)
um die Herrschaft gekämpft hatten. Rußland erklärte nun Kuldsche und den
Ili-Distrikt für ewige Zeiten als sein Eigenthum und kümmerte sich nicht um
Pekinger Proteste, die in der That machtlos verhallten, da ja weit und breit
um Kuldsche herum China's Macht aufgehört hatte zu existiren.

In Kuldsche fingen die Russen an sich häuslich einzurichten und unter
ihrer Herrschaft begann der von der Natur reich gesegnete Bezirk schnell auf¬
zubinden, während ringsum die Kriege auf ehemals chinesischem Boden fort¬
wütheten. Zahlreiche russische Kolonisten ließen sich hier nieder und Ackerbau
und Viehzucht nahmen einen mächtigen Aufschwung.*) Natürlich dachte Rußland
nicht daran, daß ihm jemals der Besitz Kuldsche's wieder streitig gemacht werden
könne. Und doch ist dieser Fall jetzt eingetreten.

Sobald China in den letzten Jahren wieder erstarkt war, mußte seine
ganze Kraft darauf gerichtet sein, die dnrch die mohammedanischen Aufstände
verlorenen Landesgebiete wieder zu gewinnen. Zunächst rückte 1875 eine
chinesische Armee gegen Jünnan und zerstörte das neue Reich des Kaisers



*) Am besten orientirt über die Verhältnisse Kuldsche's das Werk des russischen Oberst
Wenjukow: Die russisch - asiat > schen Grenzlnndc. Deutsch von Krcihmcr, Leipzig.
Grunow. 1874, P. 271 ff.

Leibe China's herausgeschnittene Staaten, jener Jakub's und jener der Dun¬
ganen nebeneinander. Mehr und mehr befestigte sich das Gebäude der Herr¬
schaft des Ersteren; seine Armee, die alle jene unruhigen Elemente in sich auf¬
nahm, welche durch Rußland's Eroberungen am Jaxartes und am Serefshan
den Tummelplatz abenteuerlicher Gelüste verloren hatten, schwoll zu bedeutenden
Dimensionen an und erhielt durch ihres siegreichen Führers Umsicht, Energie
und Ausdauer eine Disziplin, wie sie in Mittelasien längst nicht bestanden hatte.

Nicht lange dauerte es und die beiden in der Revolution unabhängig ge¬
wordenen Mächte, Jakub Knschbegi und die Dunganen, geriethen in Streit.
Jahrelang wüthete ein wilder, blutiger Krieg zwischen beiden Theilen, bis
Jakub die Oberhand gewann und auch seine Hand nach der bedeutenden
Stadt Kuldsche am Ili auszustrecken begann. Bis hierher war Rußland ein
stillschweigender Zuschauer des mörderischen Kampfes gewesen, der an seiner
unmittelbaren Grenze sich abspielte; nun aber sah es seine Interessen bedroht,
denn in Kuldsche hatten kraft ihrer Verträge mit China die Russen Handels¬
niederlassungen und da durch die immerwährenden Kriege ihr Handel überhaupt
schwer geschädigt wurde, so beschlossen sie nun zuzugreifen. Im Mai 1871
besetzte General Kolpakowsky mit 2000 Mann Kuldsche. Die erste Maßregel
Kolpcckowsky's war die Freilassung von 75,000 Sklaven; Ordnung und Ruhe
kehrte in die Stadt zurück, in welcher zwei Parteien (Dunganen und Tarantschen)
um die Herrschaft gekämpft hatten. Rußland erklärte nun Kuldsche und den
Ili-Distrikt für ewige Zeiten als sein Eigenthum und kümmerte sich nicht um
Pekinger Proteste, die in der That machtlos verhallten, da ja weit und breit
um Kuldsche herum China's Macht aufgehört hatte zu existiren.

In Kuldsche fingen die Russen an sich häuslich einzurichten und unter
ihrer Herrschaft begann der von der Natur reich gesegnete Bezirk schnell auf¬
zubinden, während ringsum die Kriege auf ehemals chinesischem Boden fort¬
wütheten. Zahlreiche russische Kolonisten ließen sich hier nieder und Ackerbau
und Viehzucht nahmen einen mächtigen Aufschwung.*) Natürlich dachte Rußland
nicht daran, daß ihm jemals der Besitz Kuldsche's wieder streitig gemacht werden
könne. Und doch ist dieser Fall jetzt eingetreten.

Sobald China in den letzten Jahren wieder erstarkt war, mußte seine
ganze Kraft darauf gerichtet sein, die dnrch die mohammedanischen Aufstände
verlorenen Landesgebiete wieder zu gewinnen. Zunächst rückte 1875 eine
chinesische Armee gegen Jünnan und zerstörte das neue Reich des Kaisers



*) Am besten orientirt über die Verhältnisse Kuldsche's das Werk des russischen Oberst
Wenjukow: Die russisch - asiat > schen Grenzlnndc. Deutsch von Krcihmcr, Leipzig.
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[0143] Leibe China's herausgeschnittene Staaten, jener Jakub's und jener der Dun¬ ganen nebeneinander. Mehr und mehr befestigte sich das Gebäude der Herr¬ schaft des Ersteren; seine Armee, die alle jene unruhigen Elemente in sich auf¬ nahm, welche durch Rußland's Eroberungen am Jaxartes und am Serefshan den Tummelplatz abenteuerlicher Gelüste verloren hatten, schwoll zu bedeutenden Dimensionen an und erhielt durch ihres siegreichen Führers Umsicht, Energie und Ausdauer eine Disziplin, wie sie in Mittelasien längst nicht bestanden hatte. Nicht lange dauerte es und die beiden in der Revolution unabhängig ge¬ wordenen Mächte, Jakub Knschbegi und die Dunganen, geriethen in Streit. Jahrelang wüthete ein wilder, blutiger Krieg zwischen beiden Theilen, bis Jakub die Oberhand gewann und auch seine Hand nach der bedeutenden Stadt Kuldsche am Ili auszustrecken begann. Bis hierher war Rußland ein stillschweigender Zuschauer des mörderischen Kampfes gewesen, der an seiner unmittelbaren Grenze sich abspielte; nun aber sah es seine Interessen bedroht, denn in Kuldsche hatten kraft ihrer Verträge mit China die Russen Handels¬ niederlassungen und da durch die immerwährenden Kriege ihr Handel überhaupt schwer geschädigt wurde, so beschlossen sie nun zuzugreifen. Im Mai 1871 besetzte General Kolpakowsky mit 2000 Mann Kuldsche. Die erste Maßregel Kolpcckowsky's war die Freilassung von 75,000 Sklaven; Ordnung und Ruhe kehrte in die Stadt zurück, in welcher zwei Parteien (Dunganen und Tarantschen) um die Herrschaft gekämpft hatten. Rußland erklärte nun Kuldsche und den Ili-Distrikt für ewige Zeiten als sein Eigenthum und kümmerte sich nicht um Pekinger Proteste, die in der That machtlos verhallten, da ja weit und breit um Kuldsche herum China's Macht aufgehört hatte zu existiren. In Kuldsche fingen die Russen an sich häuslich einzurichten und unter ihrer Herrschaft begann der von der Natur reich gesegnete Bezirk schnell auf¬ zubinden, während ringsum die Kriege auf ehemals chinesischem Boden fort¬ wütheten. Zahlreiche russische Kolonisten ließen sich hier nieder und Ackerbau und Viehzucht nahmen einen mächtigen Aufschwung.*) Natürlich dachte Rußland nicht daran, daß ihm jemals der Besitz Kuldsche's wieder streitig gemacht werden könne. Und doch ist dieser Fall jetzt eingetreten. Sobald China in den letzten Jahren wieder erstarkt war, mußte seine ganze Kraft darauf gerichtet sein, die dnrch die mohammedanischen Aufstände verlorenen Landesgebiete wieder zu gewinnen. Zunächst rückte 1875 eine chinesische Armee gegen Jünnan und zerstörte das neue Reich des Kaisers *) Am besten orientirt über die Verhältnisse Kuldsche's das Werk des russischen Oberst Wenjukow: Die russisch - asiat > schen Grenzlnndc. Deutsch von Krcihmcr, Leipzig. Grunow. 1874, P. 271 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/143>, abgerufen am 05.02.2025.