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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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nicht auffallen: nach den neulichen Kundgebungen, beim Kulturkampfe aus¬
harren zu wollen, kann man, wie die Dinge zwischen Berlin und Rom neuer¬
dings stehen, doch nicht wissen, zu welcher Rolle die streitbaren Helden der
Mitte sich am Ende noch werden verstehen müssen. Wozu sich also unnöthig
vergaloppiren? Und so hält es diese Partei, wie aus der von Herrn von
Frankenstein verlesenen Erklärung der 91 Zeutrumsmitglieder und der 10 um
ihren Rockschößen hängenden wölfischen Hospitanten hervorgeht, für den Augen¬
blick am angemessensten, ihre Rolle eines Vertheidigers freiheitlicher Bestre¬
bungen gerade jetzt stark hervorzukehren und zu diesem Zwecke die Entscheidung
der Kommission für genügend zu halten, um die grundsätzliche Opposition gegen
das Ausnahmegesetz aufzugeben und vorwiegend in erhabenem Schweigen als
Hort der Freiheit zu glänzen.

Mit um so größerer Eloquenz trat ein neuer und ganz junger Kämpe
der Konservativen, von Marschall aus Mannheim, auf. Die Konservativen
leiden, wie sich immer deutlicher zeigt, an einem großen Mangel hervorragen¬
der Persönlichkeiten und Redner, sonst hätte man wohl nicht gerade den jüng¬
sten vorgeschickt; aber der junge Herr hat seine Sache ganz gut gemacht. Zum
§ 1 plädirte er für den Ausdruck "Untergraben" und erging sich dann in einer
ganz hübschen Wiederholung der grundsätzlichen Gesichtspunkte für die Vorlage;
sein Hauptverdienst aber besteht darin, daß er als der erste Herrn Hänel bei
seinem Vorschlage des Haß- und Verachtnngsparagraphen zweiten Grades fest¬
hielt. Der arme Herr Hänel scheint wirklich den Rückweg nicht recht wieder finden
zu können, so sehr es ihn treibt, zu den die Hände ringenden Genossen heim¬
zukehren. Es könnte ihm fast gruselig werden, da der junge Konservative, der
ihm so freundlich die Hand bietet, ihm sogar noch eine umfassende Revision
des Strafgesetzbuchs und vieler anderer Gesetze in lockende Aussicht stellt. Im
weitere" Verlaufe der Verhandlungen gerieth Herr Hänel noch mehr in Bedräng-
niß. Als Fürst Bismarck ihn wegen seiner Durchbrechung des Bannes der negi-
renden Fortschrittler belobte, erklärte er dreist, diese billigten sein Verfahren.
Ist dein wirklich so, dann steht eben die gesammte fortschrittliche Presse in
Kriegszustand mit ihrer eigenen Partei.

Das Loos brachte sodann eine Erscheinung auf die Tribüne, welche hier
gar nicht hinzugehören scheint. Wenn in Sonnemann's Rede nur die extremste
fortschrittliche Richtung zum Ausdruck gelangt wäre, so würde sie immerhin
noch als berechtigt erschienen sein; daß es sich um "ein Tendenzgesetz im
schlimmsten Sinne" handle, daß dasselbe "eine Reihe mühsam errungener Frei¬
heiten vernichtet und unser bestes Gesetz in der schärfsten Weise durchlöchert",
das war eben nur jene unglückliche beschränkte Auffassung, welche schon am
16. September von Hänel vorgebracht war; aber Sonnemann nahm außerdem


nicht auffallen: nach den neulichen Kundgebungen, beim Kulturkampfe aus¬
harren zu wollen, kann man, wie die Dinge zwischen Berlin und Rom neuer¬
dings stehen, doch nicht wissen, zu welcher Rolle die streitbaren Helden der
Mitte sich am Ende noch werden verstehen müssen. Wozu sich also unnöthig
vergaloppiren? Und so hält es diese Partei, wie aus der von Herrn von
Frankenstein verlesenen Erklärung der 91 Zeutrumsmitglieder und der 10 um
ihren Rockschößen hängenden wölfischen Hospitanten hervorgeht, für den Augen¬
blick am angemessensten, ihre Rolle eines Vertheidigers freiheitlicher Bestre¬
bungen gerade jetzt stark hervorzukehren und zu diesem Zwecke die Entscheidung
der Kommission für genügend zu halten, um die grundsätzliche Opposition gegen
das Ausnahmegesetz aufzugeben und vorwiegend in erhabenem Schweigen als
Hort der Freiheit zu glänzen.

Mit um so größerer Eloquenz trat ein neuer und ganz junger Kämpe
der Konservativen, von Marschall aus Mannheim, auf. Die Konservativen
leiden, wie sich immer deutlicher zeigt, an einem großen Mangel hervorragen¬
der Persönlichkeiten und Redner, sonst hätte man wohl nicht gerade den jüng¬
sten vorgeschickt; aber der junge Herr hat seine Sache ganz gut gemacht. Zum
§ 1 plädirte er für den Ausdruck „Untergraben" und erging sich dann in einer
ganz hübschen Wiederholung der grundsätzlichen Gesichtspunkte für die Vorlage;
sein Hauptverdienst aber besteht darin, daß er als der erste Herrn Hänel bei
seinem Vorschlage des Haß- und Verachtnngsparagraphen zweiten Grades fest¬
hielt. Der arme Herr Hänel scheint wirklich den Rückweg nicht recht wieder finden
zu können, so sehr es ihn treibt, zu den die Hände ringenden Genossen heim¬
zukehren. Es könnte ihm fast gruselig werden, da der junge Konservative, der
ihm so freundlich die Hand bietet, ihm sogar noch eine umfassende Revision
des Strafgesetzbuchs und vieler anderer Gesetze in lockende Aussicht stellt. Im
weitere» Verlaufe der Verhandlungen gerieth Herr Hänel noch mehr in Bedräng-
niß. Als Fürst Bismarck ihn wegen seiner Durchbrechung des Bannes der negi-
renden Fortschrittler belobte, erklärte er dreist, diese billigten sein Verfahren.
Ist dein wirklich so, dann steht eben die gesammte fortschrittliche Presse in
Kriegszustand mit ihrer eigenen Partei.

Das Loos brachte sodann eine Erscheinung auf die Tribüne, welche hier
gar nicht hinzugehören scheint. Wenn in Sonnemann's Rede nur die extremste
fortschrittliche Richtung zum Ausdruck gelangt wäre, so würde sie immerhin
noch als berechtigt erschienen sein; daß es sich um „ein Tendenzgesetz im
schlimmsten Sinne" handle, daß dasselbe „eine Reihe mühsam errungener Frei¬
heiten vernichtet und unser bestes Gesetz in der schärfsten Weise durchlöchert",
das war eben nur jene unglückliche beschränkte Auffassung, welche schon am
16. September von Hänel vorgebracht war; aber Sonnemann nahm außerdem


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[0119] nicht auffallen: nach den neulichen Kundgebungen, beim Kulturkampfe aus¬ harren zu wollen, kann man, wie die Dinge zwischen Berlin und Rom neuer¬ dings stehen, doch nicht wissen, zu welcher Rolle die streitbaren Helden der Mitte sich am Ende noch werden verstehen müssen. Wozu sich also unnöthig vergaloppiren? Und so hält es diese Partei, wie aus der von Herrn von Frankenstein verlesenen Erklärung der 91 Zeutrumsmitglieder und der 10 um ihren Rockschößen hängenden wölfischen Hospitanten hervorgeht, für den Augen¬ blick am angemessensten, ihre Rolle eines Vertheidigers freiheitlicher Bestre¬ bungen gerade jetzt stark hervorzukehren und zu diesem Zwecke die Entscheidung der Kommission für genügend zu halten, um die grundsätzliche Opposition gegen das Ausnahmegesetz aufzugeben und vorwiegend in erhabenem Schweigen als Hort der Freiheit zu glänzen. Mit um so größerer Eloquenz trat ein neuer und ganz junger Kämpe der Konservativen, von Marschall aus Mannheim, auf. Die Konservativen leiden, wie sich immer deutlicher zeigt, an einem großen Mangel hervorragen¬ der Persönlichkeiten und Redner, sonst hätte man wohl nicht gerade den jüng¬ sten vorgeschickt; aber der junge Herr hat seine Sache ganz gut gemacht. Zum § 1 plädirte er für den Ausdruck „Untergraben" und erging sich dann in einer ganz hübschen Wiederholung der grundsätzlichen Gesichtspunkte für die Vorlage; sein Hauptverdienst aber besteht darin, daß er als der erste Herrn Hänel bei seinem Vorschlage des Haß- und Verachtnngsparagraphen zweiten Grades fest¬ hielt. Der arme Herr Hänel scheint wirklich den Rückweg nicht recht wieder finden zu können, so sehr es ihn treibt, zu den die Hände ringenden Genossen heim¬ zukehren. Es könnte ihm fast gruselig werden, da der junge Konservative, der ihm so freundlich die Hand bietet, ihm sogar noch eine umfassende Revision des Strafgesetzbuchs und vieler anderer Gesetze in lockende Aussicht stellt. Im weitere» Verlaufe der Verhandlungen gerieth Herr Hänel noch mehr in Bedräng- niß. Als Fürst Bismarck ihn wegen seiner Durchbrechung des Bannes der negi- renden Fortschrittler belobte, erklärte er dreist, diese billigten sein Verfahren. Ist dein wirklich so, dann steht eben die gesammte fortschrittliche Presse in Kriegszustand mit ihrer eigenen Partei. Das Loos brachte sodann eine Erscheinung auf die Tribüne, welche hier gar nicht hinzugehören scheint. Wenn in Sonnemann's Rede nur die extremste fortschrittliche Richtung zum Ausdruck gelangt wäre, so würde sie immerhin noch als berechtigt erschienen sein; daß es sich um „ein Tendenzgesetz im schlimmsten Sinne" handle, daß dasselbe „eine Reihe mühsam errungener Frei¬ heiten vernichtet und unser bestes Gesetz in der schärfsten Weise durchlöchert", das war eben nur jene unglückliche beschränkte Auffassung, welche schon am 16. September von Hänel vorgebracht war; aber Sonnemann nahm außerdem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/119>, abgerufen am 05.02.2025.