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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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der Straße sich treffen lassen, haben auf erfolgte Bedeutung der Patrouillen
der Kvminnnalgarde sofort auseinanderzugehen. 4) Der Aufenthalt in öffent¬
lichen Schankstcitten ist Gästen nur bis 9 Uhr zu gestatten" u. s. w. Gleich¬
zeitig eröffnete der Rath der durch diesen Ukas nur noch mehr verstimmten
Bürgerschaft: "Der zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicher¬
heit allhier erforderliche Dienst der bewaffneten Macht ist ausschließend (!) der
hiesigen Kommnnalgarde, der sich zu diesem Zwecke die Herren Studirenden
auf das Bereitwilligste angeschlossen haben, übergeben worden."

Nichts bezeichnet wohl so sehr die Rathlosigkeit des Rathes und der könig¬
lichen Behörden, als daß man -- und zwar mit Vorwissen der königlichen
Kreis-Direktion -- "die Herren Studirenden", die noch vor wenigen Stunden
die bewaffnete Macht attakiren wollten, zu Hütern der Ordnung einsetzte; und
es war daher den Musensvhnen durchaus nicht zu verargen, daß sie, einmal
zu einer Art Leipziger Vorsehung erhoben, sich sofort anschickten ihre Rolle
würdevoll zu spielen. Sie ließen an allen Straßenecken eine Einladung zu
einer Versammlung der Studirenden, die im Schützenhause Nachmittags zwei
Uhr stattfinden sollte, anschlagen. Hier fanden sich etwa siebenhundert Stu-
dirende und etwa dreimal so viel Bürger ein.*) Immer wilder wogten die
Leidenschaften in der großen Versammlung. Den lebhaftesten Beifall ernteten
die extremsten Vorschläge. Immer höher stieg die Hitze des Zorns, immer
verwirrter wurden die Vorschläge, die Anträge, immer unheimlicher ward der
Ruf nach Sühne und Vergeltung; schließlich erschien das Verlangen nach Rache
um jeden Preis als der herrschende Grundton der Stimmung dieser Ver¬
sammlung. Wenn die wildeste Meinung siegte und dann die entfesselten Tau¬
sende, die studirenden Hüter der Ordnung an der Spitze, fraternisirend mit der
durch Militär und königliche Behörden tief gekränkten Kommunalgarde, sich
durch die Stadt ergossen, Rache heischend und suchend -- was dann? Seit
dem Tage, da der fliehende Napoleon am Ende der Völkerschlacht seinen Myr-
midonen in Leipzig den Befehl hinterlassen, die Stadt nur als rauchenden
Trümmerhaufen dem einziehenden Sieger zu überliefern, hatte die Stadt nicht
mehr in so ernster Gefahr geschwebt, als heute.

Da trat, "von seinen Freunden auf die Tribüne gedrängt, und von der
Versammlung mit dem lautesten Beifall begrüßt," ^) Robert Blum als Redner
auf. Er war die vorhergehenden Tage in Geschäften verreist gewesen und
hatte eben erst am Bahnhof die Schreckenskunde des Geschehenen vernommen.
Sofort war er in die Volksversammlung des Schtttzenhauses geeilt. Sein Wort
zündete wie kein anderes zuvor; begeistert hingen die erregten Tausende an



y D, Mg, Ztg. v. 16. August 184S. *") Ebenda.

der Straße sich treffen lassen, haben auf erfolgte Bedeutung der Patrouillen
der Kvminnnalgarde sofort auseinanderzugehen. 4) Der Aufenthalt in öffent¬
lichen Schankstcitten ist Gästen nur bis 9 Uhr zu gestatten" u. s. w. Gleich¬
zeitig eröffnete der Rath der durch diesen Ukas nur noch mehr verstimmten
Bürgerschaft: „Der zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicher¬
heit allhier erforderliche Dienst der bewaffneten Macht ist ausschließend (!) der
hiesigen Kommnnalgarde, der sich zu diesem Zwecke die Herren Studirenden
auf das Bereitwilligste angeschlossen haben, übergeben worden."

Nichts bezeichnet wohl so sehr die Rathlosigkeit des Rathes und der könig¬
lichen Behörden, als daß man — und zwar mit Vorwissen der königlichen
Kreis-Direktion — „die Herren Studirenden", die noch vor wenigen Stunden
die bewaffnete Macht attakiren wollten, zu Hütern der Ordnung einsetzte; und
es war daher den Musensvhnen durchaus nicht zu verargen, daß sie, einmal
zu einer Art Leipziger Vorsehung erhoben, sich sofort anschickten ihre Rolle
würdevoll zu spielen. Sie ließen an allen Straßenecken eine Einladung zu
einer Versammlung der Studirenden, die im Schützenhause Nachmittags zwei
Uhr stattfinden sollte, anschlagen. Hier fanden sich etwa siebenhundert Stu-
dirende und etwa dreimal so viel Bürger ein.*) Immer wilder wogten die
Leidenschaften in der großen Versammlung. Den lebhaftesten Beifall ernteten
die extremsten Vorschläge. Immer höher stieg die Hitze des Zorns, immer
verwirrter wurden die Vorschläge, die Anträge, immer unheimlicher ward der
Ruf nach Sühne und Vergeltung; schließlich erschien das Verlangen nach Rache
um jeden Preis als der herrschende Grundton der Stimmung dieser Ver¬
sammlung. Wenn die wildeste Meinung siegte und dann die entfesselten Tau¬
sende, die studirenden Hüter der Ordnung an der Spitze, fraternisirend mit der
durch Militär und königliche Behörden tief gekränkten Kommunalgarde, sich
durch die Stadt ergossen, Rache heischend und suchend — was dann? Seit
dem Tage, da der fliehende Napoleon am Ende der Völkerschlacht seinen Myr-
midonen in Leipzig den Befehl hinterlassen, die Stadt nur als rauchenden
Trümmerhaufen dem einziehenden Sieger zu überliefern, hatte die Stadt nicht
mehr in so ernster Gefahr geschwebt, als heute.

Da trat, „von seinen Freunden auf die Tribüne gedrängt, und von der
Versammlung mit dem lautesten Beifall begrüßt," ^) Robert Blum als Redner
auf. Er war die vorhergehenden Tage in Geschäften verreist gewesen und
hatte eben erst am Bahnhof die Schreckenskunde des Geschehenen vernommen.
Sofort war er in die Volksversammlung des Schtttzenhauses geeilt. Sein Wort
zündete wie kein anderes zuvor; begeistert hingen die erregten Tausende an



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[0108] der Straße sich treffen lassen, haben auf erfolgte Bedeutung der Patrouillen der Kvminnnalgarde sofort auseinanderzugehen. 4) Der Aufenthalt in öffent¬ lichen Schankstcitten ist Gästen nur bis 9 Uhr zu gestatten" u. s. w. Gleich¬ zeitig eröffnete der Rath der durch diesen Ukas nur noch mehr verstimmten Bürgerschaft: „Der zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicher¬ heit allhier erforderliche Dienst der bewaffneten Macht ist ausschließend (!) der hiesigen Kommnnalgarde, der sich zu diesem Zwecke die Herren Studirenden auf das Bereitwilligste angeschlossen haben, übergeben worden." Nichts bezeichnet wohl so sehr die Rathlosigkeit des Rathes und der könig¬ lichen Behörden, als daß man — und zwar mit Vorwissen der königlichen Kreis-Direktion — „die Herren Studirenden", die noch vor wenigen Stunden die bewaffnete Macht attakiren wollten, zu Hütern der Ordnung einsetzte; und es war daher den Musensvhnen durchaus nicht zu verargen, daß sie, einmal zu einer Art Leipziger Vorsehung erhoben, sich sofort anschickten ihre Rolle würdevoll zu spielen. Sie ließen an allen Straßenecken eine Einladung zu einer Versammlung der Studirenden, die im Schützenhause Nachmittags zwei Uhr stattfinden sollte, anschlagen. Hier fanden sich etwa siebenhundert Stu- dirende und etwa dreimal so viel Bürger ein.*) Immer wilder wogten die Leidenschaften in der großen Versammlung. Den lebhaftesten Beifall ernteten die extremsten Vorschläge. Immer höher stieg die Hitze des Zorns, immer verwirrter wurden die Vorschläge, die Anträge, immer unheimlicher ward der Ruf nach Sühne und Vergeltung; schließlich erschien das Verlangen nach Rache um jeden Preis als der herrschende Grundton der Stimmung dieser Ver¬ sammlung. Wenn die wildeste Meinung siegte und dann die entfesselten Tau¬ sende, die studirenden Hüter der Ordnung an der Spitze, fraternisirend mit der durch Militär und königliche Behörden tief gekränkten Kommunalgarde, sich durch die Stadt ergossen, Rache heischend und suchend — was dann? Seit dem Tage, da der fliehende Napoleon am Ende der Völkerschlacht seinen Myr- midonen in Leipzig den Befehl hinterlassen, die Stadt nur als rauchenden Trümmerhaufen dem einziehenden Sieger zu überliefern, hatte die Stadt nicht mehr in so ernster Gefahr geschwebt, als heute. Da trat, „von seinen Freunden auf die Tribüne gedrängt, und von der Versammlung mit dem lautesten Beifall begrüßt," ^) Robert Blum als Redner auf. Er war die vorhergehenden Tage in Geschäften verreist gewesen und hatte eben erst am Bahnhof die Schreckenskunde des Geschehenen vernommen. Sofort war er in die Volksversammlung des Schtttzenhauses geeilt. Sein Wort zündete wie kein anderes zuvor; begeistert hingen die erregten Tausende an y D, Mg, Ztg. v. 16. August 184S. *») Ebenda.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/108>, abgerufen am 05.02.2025.