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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Figuren und im Arrangement der einzelnen Gruppen. Besonders ist der ver¬
schiedenartige Marmor am Gebäude, am Boden, an der Treppe und an deu
Statuen mit einer Naturwahrheit gemalt, welche der vielgerühmten Meister¬
schaft Alma Tadema's in diesem Fache nichts nachgiebt. Aber die Gesammt-
wirkung des Bildes entspricht nicht dem Aufwand der Mittel. Ebensowenig
wie Makart versteht sich Siemiradzki auf eine einheitliche Komposition. Sein
Bild zerfällt in zwei ungleiche Theile, die nicht in sichtbaren Zusammenhang
mit einander gebracht worden sind: links die üppige Pracht des römischen
Lebens, in der sich der Künstler offenbar recht heimisch fühlt, rechts die dürf¬
tige Zahl der christlichen Märtyrer, welche, wenn man die angebliche Tendenz
des Malers ernsthaft zu nehmen hätte, doch die Hauptsache sein sollten. Diese
zweite Hälfte ist leer und unbedeutend. Das Interesse des Beschauers wendet
sich immer wieder nach dem bunten, farbenglühenden Getümmel zur Linken
während er den Märtyrern kaum "das Almosen eines armen Blickes" schenkt.
So schlägt die beabsichtigte Tendenz gerade in ihr Gegentheil um. Statt einer
Glorifikation des christlichen Martyriums wird uns eine koloristische Verherr¬
lichung der römischen Sittenverderbniß geboten! Eine Ausgleichung dieser
Gegensätze, oder gar den Triumph des einen über den anderen darzustellen,
ist dem Maler nicht gelungen.

Ans zwei anderen Bildern von mäßigem Umfange konnte Siemiradzki hin¬
gegen feine hervorragenden koloristischen Fähigkeiten, die, wie bemerkt, mit denen
Alma Tadema's nahe verwandt siud, wohl verwerthen, ohne die Anforderungen
an einheitliche Komposition unerfüllt zu lassen. Das eine dieser Bilder zeigt
uns eine vornehme Römerin, die im Begriff ist, eine prächtig geschmückte Barke
zu besteigen. Am Ufer wird sie von einem alten Manne aufgehalten, der ihr
ein Gemälde zum Kauf anbietet. Auf dem andern Bilde sehen wir den wohl
assortirten Laden eines römischen Kunsthändlers, der nebenbei auch mit schönen
Sklavinnen handelt. Denn eine solche wird dem reichen Kunstliebhaber,
der in die Bude des Antiquars getreten ist und sinnend eine kostbare Vase
betrachtet, in unverhüllter Schönheit präsentirt. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß beide Bilder durch die berühmten Gemälde Alma Tadema's "Bildhauer¬
und Maleratelier" inspirirt sind. --

Von den romanischen Ländern weiß Belgien noch die größte Unabhängig¬
keit von Frankreich zu behaupten. In Belgien sind einerseits noch die Tradi¬
tionen einer großen künstlerischen Vergangenheit lebendig, andererseits lebt noch
unter den Jüngeren der Geist jener Maler, die in den vierziger Jahren unseres
Jahrhunderts die große koloristische Revolution hervorriefen, aus der die moderne
Historienmalerei hervor gegangen ist. Noch stehen unabhängig von Paris die Maler-
schulen von Brüssel und Antwerpen in Blüthe, freilich nicht mehr in so reicher


Figuren und im Arrangement der einzelnen Gruppen. Besonders ist der ver¬
schiedenartige Marmor am Gebäude, am Boden, an der Treppe und an deu
Statuen mit einer Naturwahrheit gemalt, welche der vielgerühmten Meister¬
schaft Alma Tadema's in diesem Fache nichts nachgiebt. Aber die Gesammt-
wirkung des Bildes entspricht nicht dem Aufwand der Mittel. Ebensowenig
wie Makart versteht sich Siemiradzki auf eine einheitliche Komposition. Sein
Bild zerfällt in zwei ungleiche Theile, die nicht in sichtbaren Zusammenhang
mit einander gebracht worden sind: links die üppige Pracht des römischen
Lebens, in der sich der Künstler offenbar recht heimisch fühlt, rechts die dürf¬
tige Zahl der christlichen Märtyrer, welche, wenn man die angebliche Tendenz
des Malers ernsthaft zu nehmen hätte, doch die Hauptsache sein sollten. Diese
zweite Hälfte ist leer und unbedeutend. Das Interesse des Beschauers wendet
sich immer wieder nach dem bunten, farbenglühenden Getümmel zur Linken
während er den Märtyrern kaum „das Almosen eines armen Blickes" schenkt.
So schlägt die beabsichtigte Tendenz gerade in ihr Gegentheil um. Statt einer
Glorifikation des christlichen Martyriums wird uns eine koloristische Verherr¬
lichung der römischen Sittenverderbniß geboten! Eine Ausgleichung dieser
Gegensätze, oder gar den Triumph des einen über den anderen darzustellen,
ist dem Maler nicht gelungen.

Ans zwei anderen Bildern von mäßigem Umfange konnte Siemiradzki hin¬
gegen feine hervorragenden koloristischen Fähigkeiten, die, wie bemerkt, mit denen
Alma Tadema's nahe verwandt siud, wohl verwerthen, ohne die Anforderungen
an einheitliche Komposition unerfüllt zu lassen. Das eine dieser Bilder zeigt
uns eine vornehme Römerin, die im Begriff ist, eine prächtig geschmückte Barke
zu besteigen. Am Ufer wird sie von einem alten Manne aufgehalten, der ihr
ein Gemälde zum Kauf anbietet. Auf dem andern Bilde sehen wir den wohl
assortirten Laden eines römischen Kunsthändlers, der nebenbei auch mit schönen
Sklavinnen handelt. Denn eine solche wird dem reichen Kunstliebhaber,
der in die Bude des Antiquars getreten ist und sinnend eine kostbare Vase
betrachtet, in unverhüllter Schönheit präsentirt. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß beide Bilder durch die berühmten Gemälde Alma Tadema's „Bildhauer¬
und Maleratelier" inspirirt sind. —

Von den romanischen Ländern weiß Belgien noch die größte Unabhängig¬
keit von Frankreich zu behaupten. In Belgien sind einerseits noch die Tradi¬
tionen einer großen künstlerischen Vergangenheit lebendig, andererseits lebt noch
unter den Jüngeren der Geist jener Maler, die in den vierziger Jahren unseres
Jahrhunderts die große koloristische Revolution hervorriefen, aus der die moderne
Historienmalerei hervor gegangen ist. Noch stehen unabhängig von Paris die Maler-
schulen von Brüssel und Antwerpen in Blüthe, freilich nicht mehr in so reicher


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[0519] Figuren und im Arrangement der einzelnen Gruppen. Besonders ist der ver¬ schiedenartige Marmor am Gebäude, am Boden, an der Treppe und an deu Statuen mit einer Naturwahrheit gemalt, welche der vielgerühmten Meister¬ schaft Alma Tadema's in diesem Fache nichts nachgiebt. Aber die Gesammt- wirkung des Bildes entspricht nicht dem Aufwand der Mittel. Ebensowenig wie Makart versteht sich Siemiradzki auf eine einheitliche Komposition. Sein Bild zerfällt in zwei ungleiche Theile, die nicht in sichtbaren Zusammenhang mit einander gebracht worden sind: links die üppige Pracht des römischen Lebens, in der sich der Künstler offenbar recht heimisch fühlt, rechts die dürf¬ tige Zahl der christlichen Märtyrer, welche, wenn man die angebliche Tendenz des Malers ernsthaft zu nehmen hätte, doch die Hauptsache sein sollten. Diese zweite Hälfte ist leer und unbedeutend. Das Interesse des Beschauers wendet sich immer wieder nach dem bunten, farbenglühenden Getümmel zur Linken während er den Märtyrern kaum „das Almosen eines armen Blickes" schenkt. So schlägt die beabsichtigte Tendenz gerade in ihr Gegentheil um. Statt einer Glorifikation des christlichen Martyriums wird uns eine koloristische Verherr¬ lichung der römischen Sittenverderbniß geboten! Eine Ausgleichung dieser Gegensätze, oder gar den Triumph des einen über den anderen darzustellen, ist dem Maler nicht gelungen. Ans zwei anderen Bildern von mäßigem Umfange konnte Siemiradzki hin¬ gegen feine hervorragenden koloristischen Fähigkeiten, die, wie bemerkt, mit denen Alma Tadema's nahe verwandt siud, wohl verwerthen, ohne die Anforderungen an einheitliche Komposition unerfüllt zu lassen. Das eine dieser Bilder zeigt uns eine vornehme Römerin, die im Begriff ist, eine prächtig geschmückte Barke zu besteigen. Am Ufer wird sie von einem alten Manne aufgehalten, der ihr ein Gemälde zum Kauf anbietet. Auf dem andern Bilde sehen wir den wohl assortirten Laden eines römischen Kunsthändlers, der nebenbei auch mit schönen Sklavinnen handelt. Denn eine solche wird dem reichen Kunstliebhaber, der in die Bude des Antiquars getreten ist und sinnend eine kostbare Vase betrachtet, in unverhüllter Schönheit präsentirt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß beide Bilder durch die berühmten Gemälde Alma Tadema's „Bildhauer¬ und Maleratelier" inspirirt sind. — Von den romanischen Ländern weiß Belgien noch die größte Unabhängig¬ keit von Frankreich zu behaupten. In Belgien sind einerseits noch die Tradi¬ tionen einer großen künstlerischen Vergangenheit lebendig, andererseits lebt noch unter den Jüngeren der Geist jener Maler, die in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts die große koloristische Revolution hervorriefen, aus der die moderne Historienmalerei hervor gegangen ist. Noch stehen unabhängig von Paris die Maler- schulen von Brüssel und Antwerpen in Blüthe, freilich nicht mehr in so reicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/519>, abgerufen am 22.07.2024.