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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Feldherrn eben in die Gegenden zu locken, wo ihnen der Untergang bereitet
war, oder sie gerade da zu überfallen, wo sie sich vollkommen sicher glaubten.
Und so kurzsichtig und talentlos waren jene Römer, daß sie einer um den
andern, wie sie sich jährlich im Kommando folgten, immer in dieselbe Falle
gingen. Welch ein Schauspiel gewährt der Kampf gegen Numantia, ein
Städtchen von 8000 Einwohnern, das der stolzen Republik zehn ganze Jahre
zu trotzen vermochte und erst fiel, nachdem es über das mächtige Rom die
Schmach von Caudium verhängt hatte. Erst im Jahre 133 erlag die Stadt
dem Hunger, und Scipio Aemilianus machte sie dem Erdboden gleich.

Mit dem Falle von Numantia war der ernstliche Widerstand in Spanien
gebrochen, und die römische Herrschaft dehnte sich bis an den atlantischen Ozean
ans. Nur in den asturischen Bergen blieben die Eingeborenen unberührt vom
italischen Joch; auf der übrigen Halbinsel bürgerte sich das Römerthum all-
mälig fest ein. -- Parallel mit den Kriegen in Makedonien und Griechenland,
in Syrien, Afrika und Spanien, also durch siebenzig Jahre, läuft eine fast
ununterbrochene Reihe wechselvoller Kämpfe mit den italienischen Galliern und
Lignriern, welche in hohem Maße denjenigen gleichen, die von den barbarischen
Stämmen Spanien's mit so großer Ausdauer und Hartnäckigkeit geführt wurden.
Erst um 140 v. Chr. erloschen die Kämpfe mit den Ligurern vollkommen.

Um diese Zeit umfaßte das Reich des römischen Volkes außer ganz Italien
die Provinzen Sizilien, Sardinien mit Corsica, Spanien, Afrika, Makedonien,
Achaia (Griechenland) und Asia (das pergamenische Reich). Mit Ausnahme
weniger bevorzugter Städte galten alle diese Provinzen als Unterthanenländer,
welche von Statthaltern (Prokonsuln) regiert und ausgebeutet wurden. Eine
ungeheuere Machtfülle ruhte in den Händen des Senates; wie einem Natur¬
gesetze folgend hatte sich die Ausbreitung des römischen Staates in unaufhalt¬
samem Wachsthum vollzogen, ohne irgend eine andere Wurzel als das kriege¬
rische und soldatisch disziplinirte Volksthum der Römer selbst. -- Gerade zu
der Zeit aber, da aus dieser Wurzel ein so gewaltiger, weitschallender Baum
emporgewachsen war, begann die Wurzel selbst zu kranken.

Wenn man Rom's Geschichte unter dem Gesichtspunkte seiner inneren Entwicke¬
lung betrachtet, so umsaßt die erste Periode desselben die Kämpfe des Patriziats
erst mit dem Königthum, dann mit der Plebs. Die zweite Periode kenn¬
zeichnet sich durch die unbestrittene Herrschaft der patrizisch-plebejischen Nobi-
lität; die dritte, welche von den Gracchen bis auf Cäsar reicht, ist die Zeit
des Ueberganges zur Monarchie. Bis zum Anfange des zweiten Jahrhunderts
hatte in den Städten Italien's eine gewisse soziale Harmonie bestanden. Neben
der an Ehre, Gütern und Macht reichen Aristokratie lebte ein zahlreicher bäuer¬
licher Mittelstand, und mit Hilfe der systematisch betriebenen Anlegung von


Feldherrn eben in die Gegenden zu locken, wo ihnen der Untergang bereitet
war, oder sie gerade da zu überfallen, wo sie sich vollkommen sicher glaubten.
Und so kurzsichtig und talentlos waren jene Römer, daß sie einer um den
andern, wie sie sich jährlich im Kommando folgten, immer in dieselbe Falle
gingen. Welch ein Schauspiel gewährt der Kampf gegen Numantia, ein
Städtchen von 8000 Einwohnern, das der stolzen Republik zehn ganze Jahre
zu trotzen vermochte und erst fiel, nachdem es über das mächtige Rom die
Schmach von Caudium verhängt hatte. Erst im Jahre 133 erlag die Stadt
dem Hunger, und Scipio Aemilianus machte sie dem Erdboden gleich.

Mit dem Falle von Numantia war der ernstliche Widerstand in Spanien
gebrochen, und die römische Herrschaft dehnte sich bis an den atlantischen Ozean
ans. Nur in den asturischen Bergen blieben die Eingeborenen unberührt vom
italischen Joch; auf der übrigen Halbinsel bürgerte sich das Römerthum all-
mälig fest ein. — Parallel mit den Kriegen in Makedonien und Griechenland,
in Syrien, Afrika und Spanien, also durch siebenzig Jahre, läuft eine fast
ununterbrochene Reihe wechselvoller Kämpfe mit den italienischen Galliern und
Lignriern, welche in hohem Maße denjenigen gleichen, die von den barbarischen
Stämmen Spanien's mit so großer Ausdauer und Hartnäckigkeit geführt wurden.
Erst um 140 v. Chr. erloschen die Kämpfe mit den Ligurern vollkommen.

Um diese Zeit umfaßte das Reich des römischen Volkes außer ganz Italien
die Provinzen Sizilien, Sardinien mit Corsica, Spanien, Afrika, Makedonien,
Achaia (Griechenland) und Asia (das pergamenische Reich). Mit Ausnahme
weniger bevorzugter Städte galten alle diese Provinzen als Unterthanenländer,
welche von Statthaltern (Prokonsuln) regiert und ausgebeutet wurden. Eine
ungeheuere Machtfülle ruhte in den Händen des Senates; wie einem Natur¬
gesetze folgend hatte sich die Ausbreitung des römischen Staates in unaufhalt¬
samem Wachsthum vollzogen, ohne irgend eine andere Wurzel als das kriege¬
rische und soldatisch disziplinirte Volksthum der Römer selbst. — Gerade zu
der Zeit aber, da aus dieser Wurzel ein so gewaltiger, weitschallender Baum
emporgewachsen war, begann die Wurzel selbst zu kranken.

Wenn man Rom's Geschichte unter dem Gesichtspunkte seiner inneren Entwicke¬
lung betrachtet, so umsaßt die erste Periode desselben die Kämpfe des Patriziats
erst mit dem Königthum, dann mit der Plebs. Die zweite Periode kenn¬
zeichnet sich durch die unbestrittene Herrschaft der patrizisch-plebejischen Nobi-
lität; die dritte, welche von den Gracchen bis auf Cäsar reicht, ist die Zeit
des Ueberganges zur Monarchie. Bis zum Anfange des zweiten Jahrhunderts
hatte in den Städten Italien's eine gewisse soziale Harmonie bestanden. Neben
der an Ehre, Gütern und Macht reichen Aristokratie lebte ein zahlreicher bäuer¬
licher Mittelstand, und mit Hilfe der systematisch betriebenen Anlegung von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/491>, abgerufen am 22.07.2024.